• Neues Insolvenzrecht kämpft noch mit Kinderkrankheiten

Mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) hat der Gesetzgeber Anreize geschaffen, Insolvenzanträge früher zu stellen. Seit Inkrafttreten im März 2012 haben mehr als 160 Unternehmen die neuen Möglichkeiten genutzt. Insgesamt müssen in diesem Jahr rund 30.000 Unternehmen den Gang zum Insolvenzgericht gehen.

In der Praxis zeige sich aber, dass es noch viele Kinderkrankheiten bei der Umsetzung des Schutzschirmverfahrens und der vorläufigen Eigenverwaltung gibt. Zu diesem Fazit kamen die Insolvenzexperten Dr. Biner Bähr von der White & Case Insolvenz GbR, Robert Buchalik von Buchalik Brömmekamp, Prof. Dr. Hans Haarmeyer vom Deutschen Institut für angewandtes Insolvenzrecht (DIAI) und Karl-Heinrich Thiele von der Eisengießerei Karlshütte bei einem Pressegespräch in Düsseldorf.

„Die Reform des Insolvenzrechts durch das ESUG wird die Insolvenzlandschaft in Deutschland nachhaltig verändern“, sagt Bähr. „Es ist davon auszugehen, dass größere Unternehmen zukünftig überwiegend eine Sanierung im Wege des Schutzschirmverfahrens oder der Eigenverwaltung in Kombination mit einem Insolvenzplan suchen werden.“ Durch diese Instrumente werde ein Anreiz geschaffen, Insolvenzanträge frühzeitiger zu stellen und dadurch die Chancen einer Sanierung deutlich zu erhöhen.

Mentalitätswechsel nötig

„Zwar wird hierdurch das Image des Insolvenzverfahrens als „Endstation“ positiv verändert. Es wird allerdings noch viele Jahre dauern, bis sich ähnlich wie in den Vereinigten Staaten auch in Deutschland eine Kultur des „fresh start“ oder der „second chance“ im Bewusstsein der Beteiligten durchsetzt“, so Bähr weiter. „Um einen solchen Mentalitätswechsel zu beschleunigen, ist es u.a. erforderlich, das Schutzschirmverfahren, welches nur bei drohender Zahlungsunfähigkeit und damit vor Eintritt der Insolvenz eingeleitet werden darf, vom klassischen Insolvenzverfahren zu entkoppeln.“

Robert Buchalik ergänzt: „Mit dem ESUG ist dem Gesetzgeber aus Beratersicht ein großer Wurf gelungen. Die Sanierung von Unternehmen unter Insolvenzbedingungen wird für das Unternehmen berechenbar und ist nicht mehr von Zufällen abhängig. Damit steigen die Chancen auf den Unternehmenserhalt deutlich.“ Der Sanierungsexperte, der seit März mehr als 20 Verfahren begleitet hat, geht davon aus, dass die Insolvenzverfahren in Zukunft stärker von Beratern dominiert werden als von typischen Insolvenzverwaltern. Viele Insolvenzverwalter stellen sich darauf bereits ein und bieten verstärkt Beratungsleistung an. Insbesondere die Sachwaltertätigkeit sowie Kooperationen mit Wirtschaftsprüfern, Steuer- und Unternehmensberatern würden deutlich erkennbar. In wenigen Jahren würden alle relevanten Verfahren unter ESUG-Bedingungen geführt.

Gerichte müssen erst Erfahrungen sammeln

Dagegen beklagt Buchalik, dass die Akzeptanz bei Gerichten zwar groß sei, allerdings fehle vielerorts noch die Erfahrung mit dem neuen Recht. „Das führt teilweise zu erheblichen Verfahrensverzögerungen. Während dieser Zeit können die Unternehmen praktisch keine Geschäftstätigkeit ausführen. Die Kinderkrankheiten werden aber bald überwunden sein“, erklärt Buchalik.

„Mit dem ESUG sind erstmals die Gläubiger ebenso wie die Arbeitnehmer kriselnder Unternehmen frühzeitig und gestaltend in Sanierungsszenarien eingebunden, werden ernst genommen und partizipieren unmittelbar am Erfolg. Partner dieses Strukturwandels sind unternehmerisch denkende und handelnde Insolvenzverwalter sowie professionell agierende Berater“, meint Prof. Dr. Hans Haarmeyer, Leitender Direktor des DIAI. Deren Zusammenwirken birgt die Chance eines grundsätzlichen Wandels hin zu einer Insolvenzkultur anstelle der Verschleppung von Insolvenzen. Das Maß der Veränderung der vergangenen Monate habe das Potenzial für eine Entstigmatisierung der Insolvenz als Pleite. Was heute nur in relativ wenigen Verfahren erfolgreich abgeschlossen werde, bestimme den Insolvenzalltag der Zukunft – dann allerdings mit sehr viel weniger Insolvenzverwaltern und sehr viel professioneller arbeitenden Gerichten.

In den vergangenen zwei Jahren summierten sich die Forderungen der Gläubiger gegenüber insolventen Unternehmen auf 60 Milliarden Euro. Die Professionalisierung der Verfahrensbeteiligten ist demnach eine berechtigte Forderung des DIAI. Das Schutzschirmverfahren und die vorläufige Eigenverwaltung sind nach einer Untersuchung des DIAI vielen noch unbekannt und überfordern die Beteiligten. Drei Viertel der Befragten halten die Einsetzung eines Chief Restructuring Officer (CRO) für notwendig, der das vorhandene Management in einer Sanierung unterstützt.

Erfolge in der Praxis

Ein Sanierungsgeschäftsführer (CRO) hat auch die Eisengießerei Karlshütte während ihres Insolvenzverfahrens begleitet. Dies sei laut dem geschäftsführenden Gesellschafter Karl-Heinrich Thiele auch ein Grund, dass das Verfahren in einer Rekordzeit von sieben Monaten habe abgeschlossen werden können. Die Eisengießerei hatte im April 2012 ein Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung beantragt. Durch die Eigenverwaltung hatte die Geschäftsführung das Heft des Handelns selbst in der Hand.

„Das war ein wesentlicher Vorteil, denn so konnte meine langjährige Erfahrung in die Entscheidungen über die Sanierungsmaßnahmen einfließen“, meint Thiele. Als Hürde sieht der Geschäftsführer die weitgehende Unbekanntheit der Verfahren bei Kunden, Lieferanten und Banken. Die hohe Skepsis und der zum Teil negative Ruf der Insolvenz standen dem Vorgehen weiter entgegen. Überzeugt habe aber, dass am Ende eine deutlich höhere Quote an die Gläubiger verteilt werden konnte als bei bisherigen Verfahren. Die Eisengießerei gilt als eines der ersten Unternehmen in Deutschland, in dem nach der erfolgreichen Sanierung auch die Aufhebung eines Verfahrens nach neuem Insolvenzrecht erfolgte.

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