Schutzschirm oder vorläufige Eigenverwaltung?

Mit dem seit 2012 gültigen Insolvenzrecht wird nach wie vor regelmäßig der Begriff Schutzschirmverfahren verbunden. Auch ist der Irrtum immer noch weit verbreitet, dass ein Eigenverwaltungsverfahren überhaupt nur dann in die Wege geleitet werden und zum Erfolg führen kann, wenn das Unternehmen nicht zahlungsunfähig sondern lediglich drohend zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Nachfolgend wird kurz dargestellt, worin die Unterschiede eines Schutzschirmverfahrens zu einer normalen vorläufigen Eigenverwaltung liegen, warum das Schutzschirmver­fahren weniger erstrebenswert ist, als eine vorläufige Eigenverwaltung und warum es nicht unbedingt auf die Frage ankommt, ob Zahlungsunfähigkeit vorliegt oder nicht.

Das Insolvenzverfahren teilt sich in zwei Abschnitte. Der erste Abschnitt, das sogenannte Insolvenzeröffnungsverfahren, bezeichnet den Zeitraum zwischen Insolvenzantragstellung und Insolvenzeröffnung. Meist beträgt dieser Zeitraum zwei, manchmal drei Monate. Die Dauer dieses Zeitraumes wird maßgeblich davon bestimmt, ob zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung die Löhne und Gehälter bezahlt sind oder eben nicht. Die Bundesagentur für Arbeit zahlt regelmäßig drei Monate rückwirkend von der Verfahrenseröffnung die anfallenden Löhne und Gehälter. Dies erfolgt unabhängig davon, wie lange das Insolvenzeröffnungsverfahren dauert. Das sogenannte Schutzschirmverfahren (§ 270d InsO) und die vorläufige Eigenverwaltung (§ 270b InsO) finden ausschließlich in dem Zeitraum zwischen Insolvenzantragstellung und Eröffnung eines Eigenverwaltungsverfahren oder eines Regelinsolvenzverfahrens statt.

Beispiel Insolvenzgeldzahlung

Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Der Insolvenzantrag wird gestellt, dann übernimmt die Bundesagentur für Arbeit drei Monate rückwirkend von der Eröffnung des Verfahrens die Löhne und Gehälter. Sind die Januarlöhne nicht bezahlt, so wird die Eröffnung des Verfahrens am 1. April sein, denn dann übernimmt die Bundesarbeitsagentur die Lohn- und Gehaltszahlung für die Monate März, Februar und Januar. Sollten die Löhne im Januar zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung bereits bezahlt sein, dann wird die Eröffnung auf den 1. Mai gelegt, um den vollen Insolvenzgeldzeitraum zu erhalten. Dem Insolvenzeröffnungsverfahren schließt sich das eröffnete Insolvenzverfahren an. Für den Zeitraum nach der Eröffnung des Verfahrens müssen die Löhne und Gehälter wieder ausschließlich vom Unternehmen übernommen werden. Das eröffnete Insolvenzverfahren endet bei einer Eigenverwaltung in der Regel mit einem Insolvenzplan. Stimmen die Gläubiger dem Plan mit den notwendigen Mehrheiten zu, wird der Plan meist im Abstimmungstermin vom Insolvenzgericht noch bestätigt und das Verfahren meist zwei bis vier Wochen nach der Bestätigung aufgehoben. Das sogenannte Schutzschirmverfahren (§ 270 d InsO) und die vorläufige Eigenverwaltung (§ 270 b InsO) finden ausschließlich in dem Zeitraum zwischen Insolvenzantragstellung und Eröffnung, also im Insolvenzeröffnungsverfahren, statt. In beiden Verfahrensarten wird nur ein vorläufiger Sachwalter bestellt. Ihm stehen lediglich Kontrollrechte, aber nicht die Rechte eines Insolvenzverwalters (bis auf das Anfechtungsrecht) zu. Die übrigen Rechte eines Insolvenzverwalters übernimmt der eigenverwaltende Schuldner, der damit in einer Doppelrolle tätig wird, als eigenverwaltender Schuldner und als Insolvenzverwalter.

Vor und Nachteile der Verfahren

Mit der Insolvenzeröffnung endet jedes Schutzschirmverfahren und jede vorläufige Eigenverwaltung. Beide Verfahrensarten münden in der Eigenverwaltung. In der (eröffneten) Eigenverwaltung bestehen keine Unterschiede mehr, egal welches Verfahren der Eigenverwaltung voranging. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Verfahrensarten besteht darin, dass beim Schutzschirmverfahren keine Zahlungsunfähigkeit vorliegen darf. Eine vorläufige Eigenverwaltung ist auch bei Zahlungsunfähigkeit möglich. Im Schutzschirmverfahren hat der Schuldner einige zusätzliche Rechte, die ihm in der vorläufigen Eigenverwaltung nicht zustehen. Dazu gehört, dass er sich grundsätzlich seinen Sachwalter aussuchen darf und dass Masseverbindlichkeiten vom Gericht stets zugelassen werden müssen. Allerdings ist es nicht zu empfehlen, sich einen Sachwalter auszusuchen, ohne diesen mit dem Gericht und den wichtigsten Gläubigern abgestimmt zu haben. Das Gericht hat dann zahlreiche Möglichkeiten, das Verfahren zu torpedieren. Genauso bedeutend ist meist das Recht des Schuldners, Masseverbindlichkeiten einzugehen. Denn auch in der vorläufigen Eigenverwaltung wird dieses Recht auf Antrag vom Gericht eingeräumt. Der Vorteil des Eingehens von Masseverbindlichkeiten besteht unter Umständen darin, dass die Lieferanten schneller Zahlungsziele einräumen, weil ihre neu begründeten Forderungen Masseforderungen sind, die vor allen anderen Forderungen zu bezahlen wären. Ansonsten bestehen keine gravierenden Unterschiede im positiven Sinne zwischen Schutzschirmverfahren und vorläufiger Eigenverwaltung. Ins Feld geführt wird meist der Name, denn Schutzschirmverfahren klingt wesentlich besser als vorläufige Eigenverwaltung.

Die Nachteile des Schutzschirmverfahrens können aber gravierend sein. Tritt nämlich während des Verfahrens Zahlungsunfähigkeit ein, muss das dem Gericht angezeigt werden. Es hat zwar keine unmittelbaren Konsequenzen, die Anzeige wird aber an die Gläubiger kommuniziert und dann sind Negativreaktionen der Gläubiger nicht auszuschließen. Offen ist, ob Zahlungen des Schuldners dann überhaupt noch zulässig sind oder mit § 15b InsO kollidieren. Danach haftet der Geschäftsführer für Zahlungen, die er nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit leistet. Es ist offen, ob dies auch im Schutzschirmverfahren gilt oder das Insolvenzrecht das Gesellschaftsrecht überlagert. Ein Schutzschirmverfahren kann nur bei drohender Zahlungsunfähigkeit eingeleitet werden. Deshalb muss vorher durch eine Bescheinigung eines neutralen Dritten bestätigt werden, dass lediglich drohende Zahlungsunfähigkeit und keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Die Bescheinigung ist mit Zeit und Kosten verbunden. Zudem gibt es im Rahmen des Schutzschirmverfahrens noch einige ungeklärte Rechtsfragen. Auf die Problematik des § 15b InsO wurde bereits hingewiesen. Im Schutzschirmverfahren muss aber nach spätestens drei Monaten ein Insolvenzplan vorgelegt werden. Geschieht das nicht, ist das Schicksal des Verfahrens völlig offen, selbst die Anordnung der Regelinsolvenz im eröffneten Verfahren ist möglich. Bei einer vorläufigen Eigenverwaltung existiert keine Pflicht zur Vorlage eines Insolvenzplanes in einer bestimmten Frist. Der wirkliche Vorteil des Schutzschirmverfahrens besteht deswegen im Namen und nicht in tatsächlichen Vorteilen, zumal es auch in der vorläufigen Eigenverwaltung mit einem einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses möglich ist, den Sachwalter seiner Wahl durchzusetzen.

Beide Verfahren sind Insolvenzverfahren

Schutzschirmverfahren und vorläufige Eigenverwaltung sind beides Insolvenzeröffnungsverfahren. In beiden Fällen ist deshalb zwingend ein Insolvenzantrag zu stellen. Es wäre deshalb im Rahmen eines Schutzschirmverfahrens gefährlich, zu kommunizieren, dass es sich angeblich nicht um ein Insolvenzeröffnungsverfahren, sondern um ein eigenständiges Sanierungsverfahren handelt. Spätestens mit der Insolvenzeröffnung und vor Einleitung des eigentlichen Eigenverwaltungsverfahrens wird der Sachwalter die Gläubiger wie in jedem normalen Insolvenzeröffnungsverfahren auffordern, ihre Forderungen anzumelden. Wenn jedoch vorher kommuniziert wurde, dass es sich angeblich nicht um ein Insolvenzverfahren handelt, könnte das zu erheblichen Irritationen bei den Gläubigern führen, denn genau diesen Hinweis, dass nunmehr in die Insolvenzeröffnung eingetreten wird, wird der Sachwalter an die Gläubiger geben. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet das Schutzschirmverfahren ebenso wie die vorläufige Eigenverwaltung und beide münden in der normalen Eigenverwaltung. Ab diesem Zeitpunkt besteht auch faktisch kein Unterschied mehr zwischen beiden Verfahrensarten. Das ursprünglich vom Gesetzgeber beabsichtigte Ziel, mit dem Schutzschirmverfahren ein eigenständiges Sanierungsverfahren zu kreieren, wurde jedenfalls nicht erreicht. Deshalb empfiehlt es sich in der Praxis, vom Schutzschirmverfahren nur in absoluten Ausnahmefällen Gebrauch zu machen. Auf jeden Fall kann festgehalten werden, dass bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit nur die vovorläufige Eigenverwaltung der Weg in die Insolvenz ist. Aber die vorläufige Eigenverwaltung hat gegenüber dem Schutzschirmverfahren keine gravierenden Nachteile, sondern bietet eher Vorteile. Diese Auffassung hat sich zwischenzeitlich auch in der Praxis durchgesetzt. Nur noch etwa fünf Prozent aller Eigenverwaltungsverfahren sind Schutzschirmverfahren.

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