EU-Rezept zur Restrukturierung als Wellenbrecher gegen drohende Insolvenzwelle – ein Gastbeitrag von MdEP Prof. Dr.  Angelika Niebler und Prof. Dr. Hans Haarmeyer

„Die Corona-Krise rüttelt an den Grundfesten unseres wirtschaftlichen Erfolgs. Insbesondere der Mittelstand und Familienbetriebe – das Herz unserer deutschen Unternehmenslandschaft – sind extrem gefordert. Der Shutdown führt bei vielen solide aufgestellten Betrieben zu ernsten Liquiditätsproblemen: Umsätze brechen ein, während die wesentlichen Fixkosten der Betriebe weiterlaufen.
Zu Recht haben die Bundesländer, der Bund und die EU umgehend Rettungspakete von historischen Ausmaßen aufgelegt und durch die Einführung der Kurzarbeitsregelungen den Betrieben mehr Spielraum verschafft, Kündigungen ihrer Mitarbeiter möglichst zu vermeiden. Ungeachtet dieser Hilfen kämpfen aber weiterhin viele Unternehmen tagtäglich ums Überleben. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September für Unternehmen, deren Insolvenzreife kraft gesetzlicher Vermutung auf den Folgen der Covid-19-Pandemie beruht, hilft nur zeitlich befristet, drohende Insolvenzverfahren abzuwenden.
Die wahren Probleme verschieben wir damit aber nur in die Zukunft, da die Mehrzahl der Fördermaßnahmen in Folge einer Rückzahlungspflicht schließlich zu mehr Schulden für das Unternehmen führen. Den betroffenen Unternehmen könnten die neuen Möglichkeiten der außergerichtlichen Restrukturierung weitaus effektiver helfen, handelt es sich doch überwiegend um finanzwirtschaftliche Sanierungen.
Der politische Rahmen dafür ist durch die im Juli 2019 in Kraft getretene EU Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen gegeben. Diese soll es kriselnden Unternehmen in der EU ermöglichen, außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens eine Restrukturierung in Angriff zu nehmen, um damit zu verhindern, dass ein formelles Insolvenzverfahren überhaupt notwendig wird.
Zu den neuen Möglichkeiten gehört ein Moratorium, in dem Maßnahmen zur Zwangsvollstreckung ausgesetzt und bestimmte Rechte zur Leistungsverweigerung und Kündigung nicht geltend zu machen sind. Hierdurch können Unternehmen mit ihren Gläubigern einen Restrukturierungsplan ausarbeiten, der die Interessen des notleidenden Unternehmens und seiner Gläubiger befriedigt. Dabei muss es sich nicht um ein Gesamtverfahren handeln; die Restrukturierung ist auch für einen Teilbereich mit drückenden Verbindlichkeiten und nur mit einem Teil der Gläubiger einzuleiten.
Angesichts  der aktuellen Krise mit äußerst negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft, durch die viele Unternehmens unverschuldet ihre Rechnungen nicht mehr begleichen können, könnte der neue Rechtsrahmen einigen Betrieben wieder eine Zukunftsperspektive eröffnen. Außerdem würden zwei wünschenswerte Wirkungen eintreten: Ein Dominoeffekt von Insolvenzen bei vor- oder nachgelagerten Unternehmen in der Wertschöpfungskette könnte verhindert werden. Folglich würde sich auch die Zahl notleidender Kredite verringern, wodurch der Finanzsektor langfristig an Stabilität gewinnt.
Österreich und die Niederlande haben die Chancen erkannt. Unsere Nachbarn arbeiten unter Hochdruck an der nationalen Umsetzung dieser EU-Richtlinie, die bei ihnen schon in der ersten Jahreshälfte 2020 in Kraft treten soll. Wir sehen auch für Deutschland in der schnellen Umsetzung große Vorteile: Unternehmen sind hierzulande nicht zum förmlichen Insolvenzverfahren gezwungen und bewältigen die Krise leichter in einer präventiven Restrukturierung.
Die EU-Richtlinie muss bis Juli 2021 von allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden. So lange zu warten, wäre fahrlässig. Wir sollten alles unternehmen, damit unsere Unternehmen schnellstmöglich die neuen Möglichkeiten nutzen können und Deutschland ein starker Wirtschaftsstandort bleibt.“

Prof. Dr. Haarmeyer ist emeritierter Wirtschaftsprofessor, ehemaliger Insolvenzrichter und heutiger Leitender Direktor des gemeinnützigen Deutschen Instituts für angewandtes Insolvenzrecht (DIAI). Prof. Dr. Angelika Niebler ist seit
1999 Mitglied des Europäischen Parlaments und war Berichterstatterin des Europäischen Parlaments für die EU-Richtlinie zur präventiven Restrukturierung.

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