Kenntnis bei bloßer Nichtzahlung einer Rechnung?

Die Frage, ob ein Gläubiger bereits aus der Nichtzahlung einer Rechnung seitens des Schuldners zwingend schließen muss, dass dieser Zahlungsunfähig ist, gehört zu den wichtigsten und umstrittensten Fragen des Anfechtungsrechts. Wir meinen mit dem BGH und dem hier sehr progressiven Oberlandesgericht Frankfurt am Main ganz klar: Nein!

Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 01. August 2018 – 4 U 188/17; abgedruckt z.B. in ZInsO 2018, 2196 ff.) Jedem Anfechtungsschreiben ist die Rn. 44 entschieden entgegenzuhalten:

„Ein mehrmonatiger Zahlungsverzug in nicht unerheblicher Höhe alleine genügt jedoch noch nicht, um einen zwingenden Schluss auf Zahlungsunfähigkeit ziehen zu können. Dass ein Schuldner eigenmächtig, d.h. ohne Zahlungsdruck, nicht bei Fälligkeit zahlt, ist für sich betrachtet noch nicht verdächtig. Zusätzlich ist erforderlich, dass Maßnahmen zur Forderungseinziehung getroffen wurden, deren Erfolglosigkeit einen Rückschluss auf eine ungünstige Vermögenslage zulassen. Daraus folgt, dass etwa ein Schuldner, der über eine Dauer von 10 Monaten geschuldete Sozialversicherungsbeiträge jeweils um 3-4 Wochen verspätet zahlt, ohne dass er dazu durch Beitreibungsmaßnahmen gezwungen wurde, nicht zwingend als zahlungsunfähig angesehen werden muss (BGH, Urteil, 22.6.2017, Az. IX ZR 111/14, NZI 17, 718; BGH, Urteil 7.11.2013, Az. IX ZR 49/13, NZI 14, 23). Gleiches gilt, wenn etwa Beitragsrückstände über Monate auf einen Betrag von sogar über 100.000 € angewachsen sind, aber keine Maßnahmen der Forderungseinziehung getroffen wurden (BGH, Urteil 3.4.2014, Az. IX ZR 223/13, ZInsO 14, 1057). Selbst bei monatelangem Zahlungsrückstand in nicht unbeträchtlicher Höhe setzt die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit das ernsthafte Einfordern der Forderung voraus (BGH, Urteil 6.7.2017, Az. IX ZR 178/16, NZI 17, 850).“

Das OLG Frankfurt am Main befindet sich damit auf der Linie der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs:

BGH, Urteil vom 22. Juni 2017 – IX ZR 111/14 –, Rn. 23, 24, juris.

Urteile des BGH aus der Zeit vor dem 22.06.2017 dürfen Sie in Bezug auf das Beweisanzeichen des mehrmonatigen Zahlungsrückstandes schlicht „vergessen“. Es sollte also misstrauisch machen, wenn der Insolvenzverwalter seinen Anspruch auf ältere Entscheidungen des BGH, als vor Juni 2017 stützt.

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