Darf der gemeinsame Vertreter für seine Kosten, Aufwendungen und seine Vergütung einen Teil der Insolvenzquote einbehalten?

Wird im Rahmen des Insolvenzverfahrens eines Emittenten ein gemeinsamer Vertreter für die Anleihegläubiger bestellt, stellt sich die Frage, wie mit dessen Kosten umzugehen ist. Die Vergütung des im eröffneten Insolvenzverfahrens bestellten gemeinsamen Vertreters für die Anleihegläubiger war Gegenstand zahlreicher BGH-Entscheidungen. In seinem aktuellen Urteil vom 10.03.2022, Az. IX ZR 178/20, bestätigt der IX. Senat die bisher gelebte Praxis, die sich zusammengefasst wie folgt darstellt:

  1. Es besteht eine Pflicht des Amtsgerichts (Insolvenzgerichts), eine Anleihegläubigerversammlung einzuberufen

Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat das Insolvenzgericht nach § 19 Abs. 2 SchVG in Verbindung mit der Insolvenzordnung (InsO) allein für die Anleihegläubiger eine sogenannte Anleihegläubigerversammlung einzuberufen. Im Rahmen dieser – meist vor dem Berichtstermin – einberufenen Versammlung können die Anleihegläubiger darüber entscheiden, ob und wer ihre Rechte im Insolvenzverfahren vertreten soll.

Mit der gemeinsamen Vertretung verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, die Interessen der Anleihegläubiger zu bündeln. Wird ein gemeinsamer Vertreter gewählt, so ist allein er berechtigt, aber auch verpflichtet, die Anleihegläubiger im Insolvenzverfahren zu vertreten. Dies stellt gleichermaßen für den Insolvenzverwalter, wie auch für die Anleihegläubiger eine Erleichterung dar.

Wird kein gemeinsamer Vertreter gewählt, müssen mitunter Tausende Anleihegläubiger ihre Interessen im Insolvenzverfahren selbst vertreten sowie die Forderung zur Insolvenztabelle anmelden. Diese Aufgaben nimmt der gemeinsamen Vertreter wahr.

2. Die Rechtsprechung des BGH wird kontrovers diskutiert

Seit Inkrafttreten des Schuldverschreibungsgesetzes 2009 wird die Frage, wie mit den Kosten, Aufwendungen sowie der Vergütung des gemeinsamen Vertreters im eröffneten Insolvenzverfahren umzugehen ist, kontrovers diskutiert.

 a) Die Kosten der gemeinsamen Vertretung sind keine Massekosten

Seit der Entscheidung des BGH vom 12.01.2017, Az. IX ZR 87/16, steht fest, dass die Kosten der gemeinsamen Vertretung nicht aus der Masse zu zahlen sind. Die Kosten, Aufwendungen sowie die Vergütung des erst im eröffneten Insolvenzverfahren bestellten gemeinsamen Vertreters können mithin nicht zu Lasten sämtlicher Gläubiger der Insolvenzschuldnerin aus der Masse gezahlt werden. Die Anleihegläubiger ermächtigen den gemeinsamen Vertreter regelmäßig, die Kosten, Aufwendungen sowie die Vergütung von der Insolvenzquote in Abzug zu bringen. Die dahingehenden Beschlüsse sahen häufig Verrechnungsmöglichkeiten des gemeinsamen Vertreters vor.

 b) Es besteht kein unmittelbarer, einklagbarer Anspruch des gemeinsamen Vertreters gegen die Anleihegläubiger

Einen unmittelbaren, einklagbaren Anspruch des gemeinsamen Vertreters gegen die einzelnen Anleihegläubiger hat der BGH in seinem Urteil vom 21.01.2021 zurecht verneint. In Anlehnung an die Gesetzesbegründung hat der Senat klargestellt, dass den Anleihegläubigern keine gemeinsamen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen.

Die Anleihegläubiger sollen gerade nicht zusätzlich belastet werden, da dies dem Grundverständnis von Kapitalanlagen widerspräche, so der BGH. Die Anleihegläubiger sollen maximal das Risiko des Totalverlustes tragen, was gegen eine Belastung mit den Kosten des kollektiv bestellten gemeinsamen Vertreters spricht.

 c) Ein Einbehalt der Kosten von der Insolvenzquote durch den gemeinsamen Vertreter ist laut BGH möglich

Das OLG Nürnberg sah in seinem Urteil vom 31.07.2020, Az. 15 O 3678/19, einen Einbehalt des gemeinsamen Vertreters von der Quote der Anleihegläubiger kritisch. Der IX. Senat des BGH teilt diese Bedenken wohl nicht: Grundlage für den Einbehalt ist der gefasste Mehrheitsbeschluss im Rahmen der Anleihegläubigerversammlung. Unerheblich ist, ob sich der einzelne Anleihegläubiger für oder gegen die Verrechnung ausgesprochen hat.

3. Zusammenfassung

Für die Praxis hat dies mitunter weitreichende Folgen: Ein unmittelbarer, einklagbarer und durchsetzbarer Anspruch der Kosten, Aufwendungen sowie der Vergütung des gemeinsamen Vertreters gegen den einzelnen Anleihegläubiger besteht nicht. Unabhängig von dem im Insolvenzverfahren gefassten Beschluss der Anleihegläubiger, ist es dem gemeinsamen Vertreter möglich, seine Kosten von der Insolvenzquote in Abzug zu bringen.

4. Ausblick

Der gemeinsame Vertreter trägt weiterhin das Ausfallrisiko. Sollte keine Insolvenzquote gezahlt werden, kann er die ihm entstandenen Kosten, Aufwendungen und seine Vergütung nicht gegenüber den Anleihegläubigern geltend machen. Die Höhe der vereinnahmten Kosten der gemeinsamen Vertretung kann mitunter zu Differenzen zwischen dem Vertreter und den Vertretenen führen. Der schon in seiner Entscheidung vom 12.01.2017 vom IX. Senat geforderten Harmonisierung des Schuldverschreibungsrechts sowie des Insolvenzrechts kam der Gesetzgeber bisher nicht nach. Die Entscheidung des BGH vom 10.03.2022 vermag die geforderte Harmonisierung nicht zu erreichen, sodass der Gesetzgeber weiterhin in der Pflicht ist.

Über den Autor

Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht Sascha Borowski

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