Hinweispflicht bei drohender Insolvenz: Was Berater wissen müssen
Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und andere Berater sind in ihrer beruflichen Praxis auch ohne ein ausdrückliches insolvenzrechtliches Mandat verpflichtet, ihre Mandanten auf eine drohende Insolvenz aufmerksam zu machen, die sogenannte Hinweispflicht. Dabei ist jedoch keine ausdrückliche Aufforderung zur Stellung eines Insolvenzantrags notwendig. Es gibt allerdings Szenarien, in denen eine Haftung trotz eines unterlassenen oder unzureichenden Hinweises ausgeschlossen sein kann, insbesondere dann, wenn sich der Mandant nicht entsprechend der erhaltenen Beratung verhält oder verhalten hätte.
Besprechung des Urteils des Oberlandgerichts Köln vom 25.01.2023 -16 U 179/21- und Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 11.08.2023 – 5 W 774/23e.
- Die Hinweispflicht im Gesetz und in der Rechtsprechung
102 StaRUG hat eine Hinweispflicht für Steuerberater und -bevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte gesetzlich verankert: Diese müssen den Mandanten, wenn sie dessen Insolvenzreife festgestellt haben, auf den Insolvenzgrund und die rechtlichen Folgen hinweisen. Das gilt auch, wenn das Mandat keine ausdrückliche Insolvenzberatung umfasst und die Insolvenzreife nur „bei Gelegenheit“ im Rahmen der Mandatsausübung entdeckt wurde. Dies setzt voraus:
- Die Anhaltspunkte für eine Insolvenzreife müssen offenkundig sein.
- Der Berater muss annehmen, dass dem Mandanten die Insolvenzreife nicht bewusst ist.
Insolvenzreife bedeutet, es muss ein Insolvenzgrund nach den §§ 17 bis 19 InsO vorliegen, also eine (drohende) Zahlungsunfähigkeit oder eine Überschuldung.
Diese Hinweispflicht an sich ist nicht neu, sondern nur die gesetzliche Fassung einer Pflicht, die der Bundesgerichtshof (BGH) schon in einer Entscheidung aus 2017 zum Aktenzeichen-IX ZR 285/14 getroffen hat.
II. Folgende Fragen stellen sich für den Berater bzw. Prüfer:
- Wie weit muss der Hinweis und die Belehrung der Rechtsfolgen gehen?
- Entlastet es den Berater, wenn der Mandant sich als beratungsresistent erweist?
Genau um diese Punkte ging es bei den Entscheidungen der Oberlandesgerichte Köln und München.
III. Der Fall beim Oberlandesgericht Köln
Die F GmbH meldete im Juni 2016 Insolvenz an. Ihr Geschäftsführer war unter anderem Herr B. Der Insolvenzverwalter machte gegen die Steuerberaterin der F GmbH Ansprüche aus Insolvenzverschleppungshaftung und wegen Ein- und Auszahlungen im Stadium der Insolvenzreife ab Anfang 2014 geltend. Insgesamt verlangte er über 570.000,00 Euro von ihr. Ein erhebliches Mitverschulden des Herrn B am Schaden war darin schon berücksichtigt.
Der Verwalter machte geltend:
- Die Steuerberaterin habe den Hinweis auf die Insolvenzreife unterlassen, als spätestens Ende 2013 klar war, dass die Gesellschaft überschuldet war und keine Fortführungsaussichten gegeben waren.
- Auch hätten keine Fortführungswerte im Jahresabschluss 2012 angesetzt werden dürfen, d. h. der nicht gedeckte Fehlbetrag, der sich schon bei unterstellter Fortführung ergab, war tatsächlich noch viel höher als von der Beraterin ausgewiesen. Es lagen nämlich Umstände vor, die die Fortführungsfähigkeit in Frage stellten.
Bereits Anfang 2013 habe es Krisengespräche unter anderem mit Herrn B und dem Prokuristen der GmbH gegeben. Die Zahlungsunfähigkeit der F GmbH war schon damals nur durch Zahlungen der Ehefrau des Herrn B und des Prokuristen abgewendet worden. Darauf stützte der Verwalter seine Ansicht, eine Fortführung der Gesellschaft sei zweifelhaft gewesen.
Erst Ende 2013 war der Jahresabschluss für 2012 endgültig erstellt. Der Jahresfehlbetrag hatte sich gegenüber den vorläufigen Werten noch einmal erhöht. Einen Hinweis an die Geschäftsführung auf die Prüfung einer möglichen Insolvenzreife erteilte die Steuerberaterin nicht.
Der längst fällige Antrag wurde erst 2016 gestellt. Da war die Gesellschaft nicht nur überschuldet, sondern auch eindeutig zahlungsunfähig.
In dem Rechtsstreit wurde Herr B als Zeuge vernommen. Dabei stellte sich heraus, dass dieser offensichtlich gar nicht über den Umfang seiner Pflichten als Geschäftsführer unterrichtet war. Insbesondere die Bedeutung der Überschuldung und die Insolvenzantragspflicht in diesem Fall war ihm völlig unbekannt bzw. er zog daraus falsche Schlüsse.
Außerdem gab er an, nur bei einem eindeutigen Hinweis, er müsse den Antrag zwingend stellen, hätte er noch vor 2016 entsprechend gehandelt. Die Liquidität sei aber vor 2016 immer gegeben gewesen.
IV. Die Entscheidung des OLG Köln zur Hinweispflicht
Das OLG hat die Klage abgewiesen. Die Gründe in Kürze:
Verschulden der Beraterin …
Das Oberlandesgericht Köln hat der Beraterin deutlich ins Stammbuch geschrieben, sie habe in der Tat spätestens bei Vorliegen des Jahresabschlusses 2012 Hinweise auf die Insolvenzreife bzw. auf die genaue Beobachtung der Fortführungsreife der GmbH erteilen müssen. Dies habe sie unterlassen. Die Beraterin habe zwar nicht sagen müssen „Sie müssen den Antrag (wegen Überschuldung) stellen!“ Ein Hinweis, dass die Geschäftsführung die Fortführungsfähigkeit wegen Überschuldung hätte prüfen müssen, hätte genügt.
Auch sei der nicht gedeckte Fehlbetrag im Jahresabschluss 2012 fehlerhaft ausgewiesen; schon seinerzeit hätte nicht mehr mit den Fortführungswerten gerechnet werden dürfen. Denn die Gesellschaft hangelte sich von Zahlungstermin zu Zahlungstermin; es habe an der Durchfinanzierung gefehlt.
… aber beratungsresistenter Mandant
Letztlich kam der Beraterin zugute, dass Herr B sich bezüglich der Überschuldung als vollständig rechtsblind erwiesen hatte. Das habe die Beweisaufnahme eindrücklich bestätigt.
Auch einen deutlichen Hinweis, er müsse den Insolvenzantrag wegen Überschuldung stellen, hätte Herr B ignoriert. Davon war das Oberlandesgericht überzeugt. Erst als die Liquidität Anfang 2016 wegbrach, also die Kasse bereits leer war, wurde der Antrag gestellt.
Die Beraterin kam in diesem Fall wegen des Mitverschuldensanteils von 100 Prozent seitens Herrn B noch einmal davon.
Eigener Einwurf:
Die fehlende Kausalität zwischen unterlassenem Hinweis und Schaden hat die Beraterin vor großem Unheil bewahrt. Auf das Motto „Et hätt noch immer jotjejange“ sollte sich aber kein Steuerberater oder anderer Berater verlassen.
V. Der Fall beim Oberlandesgericht München
Dort begehrte der Insolvenzverwalter Prozesskostenhilfe für einen Rechtsstreit gegen die Wirtschaftsprüferin der Schuldnerin. Dazu musste u. a. die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg haben.
Die Schuldnerin vertrieb mit anderen Schwestergesellschaften Kapitalanlageprodukte, und zwar auch an Verbraucher. Die Anlagebedingungen, auch den Verbrauchern gegenüber enthielten Rangrücktrittsvereinbarungen. Es war und ist streitig, ob solche Vereinbarungen überhaupt gegenüber Verbrauchern wirksam sind. Die Gerichtsentscheidungen hierzu sind unterschiedlich.
Schon 2018 wies die Schuldnerin im Jahresabschluss, den die Prüferin testiert hatte, ein negatives Eigenkapital aus. Nur aufgrund wirksamer Rangrücktrittsvereinbarungen bestand keine Insolvenzreife durch Überschuldung.
Die Prüferin schrieb in den Lagebericht zum Jahresabschluss 2018: „Die Gesellschaft weist zum 31.12.2018 einen nicht durch Vermögenseinlagen gedeckten Fehlbetrag aus. Eine Überschuldung im Sinne der InsO ist aufgrund der Rangrücktrittsvereinbarungen in den der Gesellschaft gewährten Nachrangdarlehen nicht gegeben.“
Der Verwalter behauptete, die Prüferin hätte von einer Unwirksamkeit der Nachrangvereinbarung ausgehen und auf die bestehende Überschuldung im Sinne der Insolvenzordnung hinweisen müssen. Für diesen Fall hätte der Geschäftsführer der Schuldnerin den Antrag auf Verfahrenseröffnung gestellt.
VII. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts München
Das OLG hat die beantragte Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussichten versagt.
Hinweis der Prüferin war ausreichend …
Die Prüferin hat mit ihrem Hinweis im Lagebericht deutlich gemacht, dass die insolvenzrechtliche Überschuldung nur bei wirksam vereinbartem Nachrang entfiel. Ob der Nachrang wirksam vereinbart war, oblag aber der rechtlichen Prüfung durch den Geschäftsführer.
… und beratungsgerechtes Verhalten war nicht zu erwarten
Der Geschäftsführer, so das Oberlandesgericht München weiter, hätte sich aber auch bei einem (noch) deutlicheren Hinweis nicht beratungsgerecht verhalten.
Bei der Prüfung, ob eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht, darf das Gericht Beweise auch vorab würdigen. Diese Würdigung sprach aber klar gegen eine Erfolgsaussicht für den Verwalter.
Denn das OLG kannte das Verhalten des Geschäftsführers aus parallel geführten Rechtsstreiten. Beim OLG München waren nämlich Berufungen bezüglich der Nachrangvereinbarungen zweier Schwestergesellschaften der Schuldnerin anhängig. Mehrere Landgerichte hatten zuvor die Unwirksamkeit der Nachrangvereinbarungen festgestellt. Es erfolgte aber nicht etwa der Insolvenzantrag, sondern für die Schwestergesellschaften legte der Geschäftsführer Rechtsmittel ein. Dabei berief er sich auf Gutachten, die die Rechtsfrage anders sahen als die Landgerichte.
Das OLG München schloss daraus: Der Geschäftsführer der Schuldnerin verteidigte sein Geschäftsmodell unbedingt und über alle Bedenken hinweg. Er hätte auch bei noch deutlicheren Hinweisen der Prüferin keinen Insolvenzantrag gestellt.
Fazit: Hinweispflicht ja, aber …
Auch wenn kein insolvenzrechtliches Mandat besteht, müssen bestimmte Berater (insbesondere Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte) von sich aus Hinweise erteilen, wenn sie eine Insolvenzreife erkennen.
Eine direkte Aufforderung, den Insolvenzantrag zu stellen, wird nicht geschuldet.
Auch wenn der Hinweis im Einzelfall nicht deutlich genug erteilt sein sollte, kann im Einzelfall eine Haftung entfallen, wenn der Mandant nicht auf die Hinweise reagiert (hätte). Der unterlassene Hinweis muss also ursächlich für den verspäteten Insolvenzantrag gewesen sein.
Wird deutlich, dass ein Mandant nicht entsprechend dem Hinweis handeln würde, hat ein beabsichtigter Rechtsstreit bereits keine Aussicht auf Erfolg.
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