E-Mails im Geschäftsverkehr: BGH bejaht Bindungswirkung trotz Widerrufs

Der Versand einer E-Mail im Geschäftsverkehr will gut überlegt sein – sonst kann es schnell teuer werden. Bereut man eine elektronisch übermittelte Willenserklärung im Nachhinein, muss man sich nach neuester Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) selbst dann an ihr festhalten lassen, wenn man die Erklärung wenige Minuten später widerruft.

Mit Urteil vom 06.10.2022 (Az. VII ZR 895/21) hat der BGH entschieden, dass der Absender einer E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr an die darin enthaltene Willenserklärung gebunden ist, sobald die E-Mail innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit eingeht. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für ihren Zugang nicht erforderlich. Ein direkt nach dem Zugang erklärter Widerruf ist wirkungslos.

  1. Vergleichsangebot nicht widerrufbar

Der BGH hat in dem Urteil einer Bauherrin Recht gegeben, die den Widerruf eines per E-Mail unterbreiteten Vergleichsangebots ihrer Vertragspartnerin ignoriert und an diese (nur) den Vergleichsbetrag gezahlt hat.

Die Bauherrin hatte im Jahr 2016 ein Gartenbauunternehmen beauftragt, die Außenwand eines ihrer Objekte zu begrünen. Nach Fertigstellung der Arbeiten stritten die Parteien um die Berechtigung zahlreicher Rechnungskürzungen. Das Gartenbauunternehmen übermittelte um 09:19 Uhr per E-Mail ein Vergleichsangebot, wonach es noch rund EUR 14.000 beanspruche. Sollte die Auftraggeberin diesen Betrag zahlen, würde das Unternehmen keine weiteren Forderungen geltend machen. Um 09:56 Uhr desselben Tages schickte das Unternehmen eine zweite E-Mail mit der gegenteiligen Aussage, dass eine abschließende Prüfung der Forderung noch nicht erfolgt und die vorherige E-Mail daher unbeachtlich sei. Kurz darauf legte das Unternehmen eine neue Schlussrechnung über rund EUR 22.000 vor. Die Bauherrin ignorierte sowohl die zweite E-Mail als auch die Schlussrechnung und bezahlte nur die in der ersten E-Mail genannte Summe über EUR 14.000.

Für die noch offenen EUR 8.000 zog das Unternehmen vor das Landgericht Berlin. Die Klage wurde abgewiesen. Auch die Berufung hatte keinen Erfolg, sodass der Fall schließlich vor dem BGH landete. Dieser bestätigte nun, dass das Unternehmen keinen über den Vergleichsbetrag hinausgehenden Zahlungsanspruch gegen die Bauherrin hat.

2. BGH bestimmt Zugangszeitpunkt für E-Mails im Geschäftsverkehr

Der BGH nahm einen wirksamen Vergleichsvertrag an und führte hierzu in den Entscheidungsgründen seines Urteils aus, dass das Angebot der Gartenbaufirma, einen Vergleich nach § 779 BGB zu schließen, von der Bauherrin durch die Zahlung der Vergleichssumme konkludent angenommen worden sei.

Eine Willenserklärung wie sie das in Rede stehende Vergleichsangebot darstellt, werde gemäß § 130 Abs. 1 BGB nur dann nicht wirksam, wenn sie vor oder gleichzeitig mit dem Zugang widerrufen wird. Da der Widerruf hier erst eine Dreiviertelstunde nach dem Vergleichsangebot erfolgt sei, stehe er der Wirksamkeit des Angebots nicht entgegen.

Wann eine E-Mail als zugegangen gilt, ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt. Während zum Teil angenommen wird, dass eine E-Mail dem Empfänger unmittelbar in dem Zeitpunkt zugeht, in dem sie abrufbereit in seinem elektronischen Postfach eingegangen ist, geht nach anderer Ansicht eine E-Mail dem Empfänger erst dann zu, wenn ein Abruf im geschäftlichen Verkehr erwartet werden kann. Dies soll spätestens bis zum Ende der Geschäftszeit der Fall sein.

Der BGH erklärte nunmehr, dass diese Rechtsfrage in dem Streitfall dahinstehen könne, stellte aber zugleich fest, dass eine E-Mail jedenfalls für den Fall, dass sie im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, diesem grundsätzlich in diesem Zeitpunkt auch zugeht. Die E-Mail sei dann in den Machtbereich des Empfängers gelangt, sodass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen könnte. Ob die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wurde, sei für den Zugang unerheblich.

3. Weitreichende Konsequenzen

Die Entscheidung des BGH hat für Unternehmer drastische Konsequenzen: Die Eigenheit einer E-Mail, den Adressaten kurz nach der Absendung zu erreichen, macht einen Widerruf nach § 130 Abs.1 S. 2 BGB praktisch unmöglich, da der Absender seine Erklärung nicht mehr „einholen“ kann. Selbst wenn er den Empfänger sofort über seinen Sinneswandel unterrichtet und dieser die E-Mail mit der ursprünglichen Willenserklärung noch gar nicht gelesen hat, kommt der Widerruf zu spät.

Unternehmer sollten sich dieses strengen Zugangsgrundsatzes und der damit verbundenen Bindungswirkung ihrer während der Geschäftszeiten abgeschickten E-Mails bewusst sein und die eigenen Mitarbeiter entsprechend sensibilisieren. Will man sich die Möglichkeit offenhalten, von einer Willenserklärung nachträglich Abstand zu nehmen, sollte mit dem jeweiligen Geschäftspartner zwingend ein über die gesetzliche Regelung in § 130 Abs.1 S. 2 BGB hinausgehender vertraglicher Widerrufsvorbehalt vereinbart werden.

Über den Autor

Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht Till Sallwey

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