Ein Jahr StaRUG eine Zwischenbilanz.

Das „Gesetz zur Stabilisierung und Restrukturierung von Unternehmen“ (StaRUG) ist im Zuge fristgerechter Umsetzung der EU-Richtlinie 1023/2019 über ein außerinsolvenzliches Sanierungsverfahren seit Jahresbeginn in Kraft. Während sich das niederländische Pendant, das „Wet Homologatie Onderhands Akkoord“ (WHOA), bereits einiger Beliebtheit erfreut − was sich an einer zum Teil schon beachtlichen Anzahl von Verfahren manifestiert − fristet das StaRUG noch eher ein Schattendasein. Für deren Verfasser sollte dies aber noch kein Grund zur Sorge sein. Zum einen fehlte dem niederländischen Recht bislang ein alternatives Sanierungsverfahren, wie wir es in Deutschland mit dem Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung (ESUG) bereits seit knapp zehn Jahren haben. Zum anderen sind deutsche Unternehmer neuen gesetzlichen Möglichkeiten zur Krisenbewältigung seit jeher zunächst zurückhaltend begegnet. Dies war bei dem in Deutschland mittlerweile fest etablierten ESUG-Verfahren anfangs nicht anders.

1. Ein erstes Fazit aus der Wirtschaft

Das Wirtschaftsmagazin FINANCE hatte zur Jahresmitte nach Befragung qualifizierter Branchenvertreter ein erstes Stimmungsbild der Praxis mit dem StaRUG gezeichnet. Dabei fanden sich mehr kritische als lobende Kommentare. Es wurde wiederholt kritisiert, dass dem neuen Restrukturierungsverfahren mit den gegenüber der Entwurfsfassung sehr kurzfristig erfolgten Änderungen viel an Attraktivität und Durchschlagskraft genommen worden sei. Namentlich wird dabei genannt, dass ein Eingriff in Arbeitnehmerrechte ebenso ausgeschlossen sei wie die Beendigung von langlaufenden, belastenden Verträgen. Damit scheide das Verfahren für eine leistungswirtschaftliche Sanierung fast aus und tauge überwiegend nur für eine finanzwirtschaftliche Restrukturierung, also für einen Vergleich mit den Gläubigerbanken und sonstigen Finanzierern. Begrüßt wird hingegen die Möglichkeit, auch außerhalb einer Insolvenz klassische Akkordstörer auszubremsen, also eine mehrheitlich befürwortete Vergleichslösung auch gegen ablehnende Stimmen durchzusetzen. Die sei durchaus als Drohpotential in bilateralen Verhandlungen mit Gläubigern ein taugliches Mittel zur Durchsetzung eines Sanierungsvorhabens.

Für kleinere Mittelständler oder Einzelunternehmer sei das Verfahren zu komplex und damit zu teuer, was den praktischen Anwendungsbereich weiter einschränke. Einige Marktteilnehmer begründen die bislang eher niedrigen Fallzahlen auch damit, dass der Gesetzgeber noch auf der Zielgeraden den zunächst vorgesehenen „Shift of Duties“ zurückgenommen und nahezu alles beim Alten belassen hat. Vorgesehen war nämlich ein echter Paradigmenwechsel bei der organschaftlichen Haftung. So war angedacht, dass Vorstände und Geschäftsführer in der Unternehmenskrise für Fehlverhalten künftig nicht mehr (nur) gegenüber ihrer Gesellschaft, sondern unmittelbar gegenüber betroffenen Gläubigern haften sollten. Dies hätte durchaus dazu führen können, dass die Geschäftsleitung zur Vermeidung persönlicher Haftung gegenüber Dritten bereitwilliger und zügiger zum StaRUG-Verfahren gegriffen hätte.

2. Konkrete Fallzahlen ungewiss

Da StaRUG-Verfahren nicht per se öffentlich sind, gibt es keine offizielle Statistik über die tatsächlichen bisherigen Fallzahlen. FINANCE schätzte diese zur Jahresmitte auf sieben bis zehn Verfahren, was aber eine sehr konservative Schätzung sein dürfte. Immerhin gibt es bereits erste Gerichtsentscheidungen in StaRUG-Fällen. Das bislang wohl prominenteste Verfahren dürfte die Eterna Mode Holding GmbH betreffen, die eine Unternehmensanleihe in Höhe von nominal 25 Mio. Euro mittels eines Schuldenschnitts von 87,5 Prozent sowie eines Verzichts auf Gesellschafterdarlehen in der Größenordnung von 32 Mio. Euro innerhalb von nur wenigen Wochen durch einen vom Gericht bestätigten Plan restrukturierte.

Der erste Fall unserer Praxis betraf einen Einzelunternehmer, der gleich zwei Firmen betrieb und zudem noch hälftig an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts beteiligt war. Letztere geriet in Schieflage, und der Unternehmer nutzte seine ihm aufgrund der persönlichen Haftung als Gesellschafter drohende Zahlungsunfähigkeit, um eine Teilentschuldung nach dem StaRUG anzustreben. Der Restrukturierungsplan sah für die planbetroffenen Gläubiger − darunter auch das Finanzamt − eine Befriedigungsquote von 5 Prozent vor und wurde nach viermonatiger Verfahrensdauer einstimmig angenommen sowie vom Restrukturierungsgericht postwendend bestätigt.

3. Die ersten Gerichtsentscheidungen

Erwartungsgemäß wurden auch Restrukturierungsgerichte bereits mit StaRUG-Verfahren befasst und haben erste wegweisende oder klarstellende Entscheidungen getroffen.

So hat sich das AG Köln in einem Vorprüfungsbeschluss vom 3. März d. J. (Az: 83 RES 01/2021) mit der Frage beschäftigt, ob bei der Schuldnerin tatsächlich eine für das Betreiben eines Restrukturierungsverfahrens nach StaRUG erforderliche drohende Zahlungsunfähigkeit vorgelegen hat und dies im Ergebnis verneint. Im konkreten Fall begründete die Schuldnerin das Vorliegen drohender Zahlungsunfähigkeit mit der Annahme, dass ein planbetroffenes Bankenkonsortium eine Prolongation herausgereichter Kredite nicht ein weiteres Mal und um ein weiteres Jahr wiederholen werde. Das Kölner Gericht befand, dass diese Annahme nicht überwiegend wahrscheinlich sei (> 50 Prozent) und deshalb eine drohende Zahlungsunfähigkeit (jedenfalls noch) nicht vorliege.

Das AG Köln bestätigte zudem die ersten Stimmen aus der Literatur, dass ein Konsortialkreditvertrag mit Banken nebst zuvor mit diesen getroffener Sanierungsvereinbarung mittels eines Restrukturierungsplans umfassend geändert werden könne. Die alleinige Restrukturierung des Konsortialkreditvertrages setze im Übrigen nicht voraus, dass der Plan auch in Anteilsrechte oder Gesellschafterdarlehen eingreifen müsse, um auch von dort Beiträge einzufordern.

Das AG Hamburg beschäftigt sich in einem planbestätigenden Beschluss vom 12. April d. J. (Az: 61a RES 01/2021) mit der Frage, welches Vergleichsszenario der Schuldner darzulegen und glaubhaft zu machen hat, um eine Schlechterstellung eines den Plan ablehnenden Gläubigers bzw. einer Gläubigergruppe auszuschließen und damit den Plan überhaupt erst bestätigungsfähig zu machen. Behalf sich die Praxis dabei bisher zumeist der Darstellung eines in der Regel nachteilhafteren Liquidationsszenarios, verlangt das Gesetz nunmehr – und zwar für StaRUG und ESUG – die Darstellung eines „nächstbesten Alternativszenarios“. Mit diesem gänzlich unbestimmten Rechtsbegriff ließ der Gesetzgeber die Praxis ziemlich allein. Deswegen ist die gerichtliche Einordnung indessen sehr zu begrüßen. Das AG Hamburg stellte fest, dass der Vergleichsmaßstab ein Insolvenzverfahren mit Liquidationsszenario sei, sollte sich kein konkretes und verlässliches Alternativszenario finden. Das AG Köln (aaO) stellt diesbezüglich klar, dass es nicht etwa Aufgabe des Schuldners sei, im Rahmen des Vergleichsszenarios etwa weitere, alternative Restrukturierungspläne zu erstellen, um nachzuweisen, dass der zur Abstimmung gestellte auch der für die Planbetroffenen günstigste sei. Mit dem AG Dresden (Bestätigungsbeschluss vom 7. Juni d. J., Az: 574 RES 01/2021) ist auch das AG Köln (aaO) der Auffassung, dass für das nächstbeste Alternativszenario die Situation maßgeblich sei, in der sich die Gläubiger im Falle des Scheiterns des Plans wiederfinden würden. Scheidet ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung aus, bleibt die Liquidation das nächstbeste Szenario.

Das AG Dresden beschäftigt sich des Weiteren auch mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine den Plan ablehnende Gläubigergruppe „überstimmt“ werden kann. Nach dem Grundsatz der absoluten Priorität − plastischer formuliert „Vorrang vor Nachrang“ − darf der Restrukturierungsplan einem Nachranggläubiger oder Anteilsinhaber keinen wirtschaftlichen Wert zuweisen, solange nicht vorrangige Gläubiger komplett befriedigt werden. Hierzu stellt das AG Dresden fest, dass die bloße Weiterführung des Unternehmens nicht zwangsläufig bedeutet, dass dem Schuldner/Gesellschafter ein wirtschaftlicher Wert zugewendet wird. Dies wäre allenfalls dann der Fall, wenn ein fremder Dritter dazu bereit gewesen wäre, das Unternehmen an der Stelle des Schuldners zu den im Plan vorgesehenen Bedingungen fortzuführen.

Im konkreten Fall monierte die den Plan ablehnende Gläubigergruppe zudem, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer durch die laufenden Gehaltsbezüge ihnen gegenüber bessergestellt werde. Dieser Ansicht widersprach das AG Dresden mit der Begründung, dass die Vergütung nicht aus dessen Gesellschafterstellung, sondern aus dem Geschäftsführeranstellungsvertrag herrühre.

4. Ausblick

Mit diesen ersten Entscheidungen leisten die damit befassten Restrukturierungsgerichte Pionierarbeit. Andere werden folgen, und das StaRUG wird sich als ein weiteres taugliches Instrument zur Sanierung und Fortführung von Unternehmen außerhalb der Insolvenz etablieren. Dies ist mit der hoffnungsfrohen Erwartung verbunden, dass der Gesetzgeber spätestens im Zuge der Evaluation des Gesetzes neben der finanzwirtschaftlichen auch die leistungswirtschaftlich-operative Restrukturierung im StaRUG zulassen wird.

Über den Autor

Geschäftsführer, Partner, Rechtsanwalt Dr. Utz Brömmekamp

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