Dr. Olaf Hiebert in der ZInsO: Insolvenzanfechtung gemäß 133 InsO – eine Arbeitshilfe

Dr. Olaf Hiebert

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht Dr. Olaf Hiebert beleuchtet die Rechtsprechung 2022 zur Insolvenzanfechtung gemäß § 133 ZInsO und liefert eine Arbeitshilfe zur praktischen Umsetzung.

Das Recht der Insolvenzanfechtung war und ist in Theorie und Anwendung kompliziert. Die Rechtsprechung unterliegt nicht nur einem stetigen Wandel, auch grundlegende Voraussetzungen ändern sich rasant. Dieser Beitrag möchte Insolvenzverwaltern[1] und deren Mitarbeitenden, mit der Durchsetzung und Abwehr beauftragten Rechtsanwälten aber auch den Instanzgerichten eine Arbeitshilfe für den Umgang mit der aktuellen Rechtsprechung[2] zu den vielen Fällen der Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO bei sog. kongruenten Deckungsgeschäften[3] bieten. Die Rechtsprechung zwingt bereits bei der Ermittlung von Anfechtungsansprüchen zu einem Umdenken und einem konsequenten Handeln. Die neuen Urteile haben die bisherige Kommentarliteratur zu § 133 InsO an den wesentlichen Punkten überholt. Die nachfolgende Darstellung gibt ausdrücklich nicht die Meinung des Autors zur Auslegung des § 133 InsO wieder, sondern spiegelt die aktuelle Rechtsprechung und die eigene Erfahrung der jahrzehntelangen Praxis, die um den regen Austausch mit Kollegen angereichert ist.

I. Einleitung

Grundlage dieser Arbeitshilfe sind vor allem die neueren, viel diskutierten Entscheidungen des u.a. für das Recht der Insolvenzanfechtung zuständigen IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 10.02.2022[4], vom 24.04.2022[5], und vom 06.05.2021[6]. Dabei wiederholen und erweitern die Urteile aus dem Februar des Jahres 2022 die grundlegende Entscheidung aus Mai 2021. Die aufgestellten Grundsätze werden – dort wo es relevant ist – weiterhin durch den Senat[7] bestätigt und von den Instanzgerichten[8] umgesetzt.  Auch der sehr lesenswerte Beitrag des dem Senat angehörenden Richters am Bundesgerichtshof Dr. Schultz in ZInsO 2022, 1434 ff. wird in dieser Arbeitshilfe berücksichtigt. Auf eine akademische und vor allem kritische Auseinandersetzung wird an dieser Stelle verzichtet.[9] Für die Ermittlung und Bewertung von Anfechtungsansprüchen nach § 133 InsO sind die von der Rechtsprechung entwickelten Beweisanzeichen zum Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und zur Kenntnis immer noch der Dreh- und Angelpunkt. Zwar betont die Rechtsprechung[10] stets, dass sich eine „schematische Betrachtung“ verbiete und der Tatrichter sämtliche Umstände des Einzelfalls – ganz im Sinne des § 286 ZPO – zu würdigen habe. Nur was nützt dies dem Sachbearbeiter im Büro des Insolvenzverwalters, dem mit der Durchsetzung oder Abwehr beauftragten Rechtsanwalt oder dem Tatrichter in seiner täglichen Arbeit?

II. Was ist neu?

Die aktuelle Rechtsprechung bringt an den regelmäßig streitentscheidenden Punkten, nämlich dem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und der Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon, erhebliche Neuerungen.

1. Gläubigerbenachteiligungsvorsatz

Hier gibt es zwei wesentliche Änderungen:

Die Kenntnis des Schuldners von einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit ist nicht mehr gleichbedeutend mit einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz. Die Formel Zahlungsunfähigkeit = Gläubigerbenachteiligungsvorsatz ist schon länger falsch und nach den Entscheidungen im Jahr 2022 nicht mehr zu halten.  Bereits im Urteil[11] des Senats vom 07.05.2020 heißt es:

Die erkannte Zahlungsunfähigkeit stellt aber lediglich ein Beweisanzeichen dar (vgl. etwa BGH, Urteil vom 19. September 2013 – IX ZR 4/13, WM 2013, 2074 Rn. 14 f); entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist in einem solchen Fall nicht „jedenfalls“ – im Sinne von stets – auf einen Benachteiligungsvorsatz des Schuldners zu schließen. Umstände, aus denen auf ein subjektives Tatbestandsmerkmal wie den Benachteiligungsvorsatz geschlossen werden soll, stellen nur mehr oder weniger gewichtige Beweisanzeichen dar, die eine Gesamtwürdigung nicht entbehrlich machen und nicht schematisch im Sinne einer vom anderen Teil zu widerlegenden Vermutung angewandt werden dürfen. Der Tatrichter hat vielmehr die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung gemäß § 286 ZPO unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls auf der Grundlage des Gesamtergebnisses der Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme zu prüfen (BGH, Urteil vom 13. August 2009 – IX ZR 159/06, WM 2009, 1943 Rn. 8; st. Rspr.)

Zur Darlegung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatz kann sich der Insolvenzverwalter also nicht mehr darauf beschränken, für einen bestimmten Zeitpunkt eine Zahlungseinstellung mittels Beweisanzeichen oder einer Zahlungsunfähigkeit durch eine Liquiditätsbilanz[12] zu beweisen. Zusätzlich erforderlich ist immer, dass der Schuldner billigend in Kauf genommen hat seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht mehr vollständig befriedigen zu können. Fehlen entsprechende Darlegungen in einer Klage, soll diese bereits unschlüssig sein[13].

Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz setzt also voraus:

  1. Zahlungseinstellung oder Zahlungsunfähigkeit als Eingangsvoraussetzung und kumulativ
  2. Inkaufnahme des Ausfalls der übrigen Gläubiger mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis)

Spannend und herausfordernd ist hier die Voraussetzung Nr. 2. Am ehesten kann der Nachweis durch Vorlage entsprechender Kommunikation gelingen. Dies ist auch bei dem Nachweis der Kenntnis so, weshalb schon an dieser Stelle auf die erste goldene Regel zu verweisen ist:

Auch unter psychologischen Gesichtspunkten ist die verschriftlichte Kommunikation im Anfechtungsprozess wohl das durchschlagendste Beweismittel. Der Tatrichter kann auf etwas „handfestes“, eine klare Aussage, zurückgreifen.

Wenn die direkte Kommunikation fehlt, wird der Nachweis sehr schwierig. In diesem Fall und grundsätzlich ergänzend kann vorgetragen werden, dass die ermittelte Deckungslücke (Nr. 1) ein solches Ausmaß erreicht hatte, dass selbst bei optimistischer Einschätzung der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung in absehbarer Zeit nicht mehr mit einer vollständigen Befriedigung der vorhandenen und künftigen Gläubiger zu rechnen gewesen ist (Nr. 2). Mögliche Indikatoren sind hier:

  • Die bestehenden Verbindlichkeiten betragen ein Vielfaches der jährlichen Wirtschaftsleistung.
  • Mit einem Wegfall der Krisenursache ist nicht zu rechnen, weil diese nicht temporär und extern (z.B. Pandemie oder kriegsbedingt hohe Energiekosten), sondern „hausgemacht“ und dauerhaft sind.
  • Der Schuldner handelt bei bestehendem Restrukturierungsbedarf nicht, sondern macht so weiter wie bisher.
  • Ergriffene Sanierungsmaßnahmen oder -konzepte waren offensichtlich ungeeignet.
  • Finanzierungsmöglichkeiten sind entfallen, Kreditlinien werden nicht erhöht oder sogar gekürzt, Bürgschaften können nicht mehr in dem erforderlichen Umfang erlangt und Geschäftspartnern zur Verfügung gestellt werden.
  • Sämtliche der zum Nachweis der Kenntnis herangezogenen Beweisanzeichen (hierzu sogleich unter 2.).

Und auch bei der Ermittlung der Zahlungseinstellung und ihrer Vermutungswirkung[14] für eine Zahlungsunfähigkeit sowie bei der unmittelbaren Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit gibt es eine Änderung, zumindest aber eine Klarstellung:

  • Wiederholte Zahlungsverzögerungen reichen weder zum Nachweis der Zahlungseinstellung noch der Zahlungsunfähigkeit; ermitteln Sie also ob, die Gesamtverbindlichkeiten angewachsen („Schuldenberg“) oder zumindest gleichgeblieben („Bugwelle“) sind. Dem Kriterium der Gesamtverbindlichkeiten messen nahezu alle Gerichte eine besonders Aussagekraft bei.

Dies führt zur zweiten goldenen Regel, die eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist:

Spiegelbildlich sollten potenzielle Anfechtungsgegner gegenläufige Korrespondenz mit dem künftigen Schuldner sichern und auf ihr eigenes Kommunikationsverhalten achten. Dass dies für den künftigen Anfechtungsgegner, der von dem herannahenden Unheil häufig noch nichts weiß, naturgemäß sehr schwierig ist, wird durch die nunmehr sehr hohen Anforderungen an die Kenntnis des Anfechtungsgegners im Anfechtungszeitpunkt etwas ausgeglichen.

2. Kenntnis – Gewichtung der Beweisanzeichen

Bei der Kenntnis des Gläubigers von dem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners bzw. dessen eingetretene Zahlungsunfähigkeit[15] gibt es eine deutlich veränderte Gewichtung der Beweisanzeichen. Die Betrachtung darf auch und insbesondere hier nicht schematisch erfolgen. Je mehr Beweisanzeichen vorgebracht werden können und je gewichtiger die Beweisanzeichen sind, desto mehr spricht für die Kenntnis des Gläubigers im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlung[16]. Maßstab für die Kenntnis soll die Überlegung sein, ob eines oder die Summe der Beweisanzeichen ein Gewicht erreichen, das mit der Erklärung des Schuldners vergleichbar ist, er könne mangels liquider Mittel nicht zahlen und sich diese Mittel auch nicht binnen drei Wochen beschaffen.[17]

Nach der jahrelangen Erfahrung des Autors einschließlich des regen Austauschs im Kollegenkreis und unter Berücksichtigung der BGH-Urteile aus 2022 lassen sich die von der Rechtsprechung[18] entwickelten Beweisanzeichen wie folgt von sehr gewichtig bis weniger gewichtig anordnen:

Es ist wichtig klarzustellen, dass diese Beweisanzeichen spiegelbildlich auch für die Zahlungsunfähigkeit und damit den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners herangezogen werden können. Für die Kenntnis des jeweiligen Anfechtungsgegners sind die Beweisanzeichen selbstredend nur aussagekräftig, wenn dieser im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlung von diesen Kenntnis hatte.

Zu den Beweisanzeichen könnte vereinfachend ausgesagt werden, dass Beweisanzeichen umso häufiger vorliegen müssen, desto weniger schwer sie wiegen. Im Zusammenspiel aus wiederholten Mahnungen und unregelmäßigen Zahlungen kann möglicherweise im Einzelfall noch eine Kenntnis hergeleitet werden. Kategorisch ausgeschlossen ist dies nicht. Hat der Schuldner aber schon immer schleppend, also verzögert oder unvollständig gezahlt, muss der Anfechtungsgegner bei Fortsetzung dieses Verhaltens nicht zwingend auf die Zahlungseinstellung oder Zahlungsunfähigkeit des Schuldners schließen.[22] Dies gilt vor allem dann, wenn das als Beweisanzeichen herangezogene Zahlungsverhalten bereits in einem Zeitraum praktiziert wurde, in dem unstreitig noch keine Zahlungseinstellung oder Zahlungsunfähigkeit vorgelegen haben soll.[23]

Ob angesichts der veränderten Rechtsprechung noch allein auf das Zahlungsverhalten ohne Betrachtung der Entwicklung der Gesamtverbindlichkeiten gegenüber dem jeweiligen Gläubiger als Anfechtungsgegner abgestellt werden kann, erscheint angesichts der neueren Rechtsprechung sehr fraglich. Die Tage, in denen der Insolvenzverwalter eine bloße Ratenzahlungsvereinbarung oder zwei Mahnungen und eine einmalige Zahlungsverzögerung darlegen konnte, um die Kenntnis des Anfechtungsgegners zu beweisen, sind nunmehr also endgültig Geschichte. Durchgängig um einen Montag verspätete Zahlungen sind zum Nachweis der Zahlungseinstellung allein nicht mehr ausreichend.[24]

Ebenso wackelig erscheint die Überlegung[25], dass für eine Zahlungsunfähigkeit in besonderem Maße der Umstand spricht, dass der Schuldner Lohnsteuer und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht pünktlich zahlt, obwohl er für diese privat haftet und die Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile sogar strafbar ist (§ 266a StGB). Danach müsste er ein Interesse daran haben, dass diese Verbindlichkeiten zuerst ausgeglichen werden. Passiert dies nicht, sei dies ein gewichtiges Indiz. Schon in der Vergangenheit wurde darauf hingewiesen, dass diese Sichtweise nicht der Lebenswirklichkeit entspricht. Die persönliche Haftung und die Strafbarkeit sind dem Rechtslaien weitgehend unbekannt. Und wer seinen Geschäftsbetrieb retten oder vermeintliche finanzielle Engpässe überwinden möchte wird zunächst den Gläubiger bezahlen, von dem er etwas benötigt[26]. Dies sind Lieferanten und Dienstleister. Das Finanzamt und die Sozialversicherungsträger werden eher als „unfreiwillige“ Kreditgeber behandelt. Anfechtende werden dennoch versuchen, entsprechende unbezahlte Verbindlichkeiten zu ermitteln und dieses Argument zu verwenden.

Die Wertung der Beweisanzeichen ist nicht zwingend und wird auch von den Spruchkörpern unterschiedlich gesehen. Einige Sachverhalte, wie etwa das nachträgliche „Umstellen auf die Vorkasse“ werden bisweilen überhaupt nicht mehr als Beweisanzeichen anerkannt.

Während die Bitte des Schuldners um eine Zahlungserleichterung („Ratenzahlungsvereinbarung“) gemäß gesetzlicher Vermutung in § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO im Fall der hier besprochenen kongruenten Deckungsgeschäfte kein Beweisanzeichen mehr sein soll, bleibt die Kommunikation im Zusammenhang mit dieser Bitte ein taugliches Beweismittel.[27]

III. Weitere Klarstellungen

Für die Praxis sind weitere Punkte relevant:

1.  Fortdauervermutung

Bislang[28] galt: Hatte der Insolvenzverwalter eine Zahlungseinstellung des Schuldners oder die Zahlungsunfähigkeit unmittelbar für einen bestimmten Zeitpunkt bewiesen, musste der Anfechtungsgegner darlegen und beweisen, dass der Schuldner sämtliche Zahlungen wieder aufgenommen hat, was in der Praxis mangels entsprechender Einsicht in die schuldnerischen Unterlagen kaum gelang. Auch der anfechtende Verwalter konnte mangels aussagefähiger Buchhaltung des Schuldners häufig wenig zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen. Zwar hält der BGH[29] hieran „im Grundsatz“ fest. Allerdings soll nunmehr zu beachten sein, in welchem Ausmaß die durch eine Zahlungseinstellung vermutete Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist. Im Vergleich zur Wirtschaftsleistung geringe Forderungen genügen zur Begründung einer Zahlungseinstellung nicht mehr. In der zugrundeliegenden Entscheidung war ein Betrag i.H.v. 2.557,00 Euro offen. Hinzu tritt: Während hinsichtlich des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes sämtliche Verbindlichkeiten des Schuldners für eine Zahlungseinstellung herangezogen werden können, sind für die Kenntnis des Anfechtungsgegners nur diejenigen Verbindlichkeiten maßgeblich, die ihm auch bekannt sind. Bei einem Lieferanten etwa dessen Forderungen aus der Belieferung des Schuldners. Bei Sanierungs- und Steuerberatern können nicht nur deren Honorarforderungen berücksichtigt werden, wenn aufgrund der jeweiligen Tätigkeit weitere Verbindlichkeiten bekannt sein mussten.

Für die Praxis folgt hieraus:

  • Für die Begründung der Zahlungseinstellung sind im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung hohe Forderungen heranzuziehen.
  • Für die Verwalterseite empfiehlt es sich, möglichst zu mehreren Zeitpunkten die Zahlungsunfähigkeit zu ermitteln; vorzugsweises durch stichtagsbezogene Liquiditätsbilanzen.

2. Überschuldung und drohende Zahlungsunfähigkeit als Beweisanzeichen

Bei der Geltendmachung von Ansprüchen gegen Geschäftsführer aus § 64 GmbHG a.F., § 15b InsO n.F., § 43 GmbHG u.a. begründet die handelsbilanzielle Überschuldung eine Beweiserleichterung für den Insolvenzverwalter. Dies gilt im Anfechtungsprozess nur, wenn der Anfechtungsgegner in Bezug auf den Schuldner eine nach § 15a InsO antragspflichtige Person ist.[30] Die Kenntnis von einer veröffentlichten Handelsbilanz, die einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag ausweist, kann für die Kenntnis sonstiger Anfechtungsgegner also nicht herangezogen werden.

Auf der Ebene des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes kann die Kenntnis von einer insolvenzrechtlichen, nicht bloß handelsrechtlichen Überschuldung, wie die eingetretene Zahlungsunfähigkeit ein Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz sein und so die

erste von zwei Voraussetzungen[31] erfüllen.[32] Wie bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist auch bei der insolvenzrechtlichen Überschuldung die anzustellende Fortführungsprognose eine hohe Hürde, sodass in der Praxis der Insolvenzanfechtung wohl auch künftig vorzugsweise auf die Zahlungsunfähigkeit abgestellt wird.

3. „Gegenläufige“ Beweisanzeichen?

Fraglich ist, ob für die Feststellung der Kenntnis etwas daraus herzuleiten ist, dass bestimmte der unter II. 2. genannten Beweisanzeichen für die Kenntnis nicht vorliegen oder aber Tatsachen gegen eine Kenntnis vorliegen, wie etwa bestimmte Aussagen des Schuldners oder die positive Bonitätsauskunft einer Wirtschaftsauskunftsdatei. Dass einzelne, der o.g. Beweisanzeichen nicht vorliegen, ist irrelevant. In den Blick sind die Beweisanzeichen zu nehmen, deren Vorliegen bewiesen ist. Diese sind dahingehend zu würdigen, ob sie den zwingenden Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit bzw. die diese vermutende Zahlungseinstellung zulassen. „Reicht es, oder reicht es nicht“? wäre die vereinfachende Frage. Dabei ist dann allerdings zu berücksichtigen, ob andere bewiesene Tatsachen dafürsprechen, dass der Gläubiger als Anfechtungsgegner auf die Zahlungsfähigkeit seines Schuldners im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlung vertrauen durfte. Derartige Tatsachen können im Rahmen der Gesamtwürdigung dann zu der Überzeugung führen, dass es eben für eine Kenntnis „nicht reicht“. So wird der Tatrichter dem schwierigen Auftrag[33] gerecht, die Frage des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes und der Kenntnis unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu prüfen.

IV. Fazit

Wo stehen wir? Ließe sich das Gleichnis[34] vom Nadelöhr modifiziert anwenden? Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Insolvenzverwalter die Kenntnis des Anfechtungsgegners im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlung nach der neuen BGH-Rechtsprechung nachweisen kann? Ganz so schlimm oder –  je nach Sichtweise –  erfreulich steht es nicht. Im Grunde berücksichtigt die neue Rechtsprechung die Kräfteverhältnisse im Anfechtungsprozess, bei denen der Insolvenzverwalter aufgrund seiner Einsicht in die Geschäftsunterlagen des Schuldners und seinen Ermittlungsmöglichkeiten überlegen ist. Der Anfechtende ist jetzt gezwungen, die tatsächlichen Verhältnisse umfassend darzustellen, was viel Arbeit bedeuten kann, aber auch dem Rechtsfrieden dient. Nur wenn der Anfechtungsgegner vollends davon überzeugt ist, dass sein Vertrags- und Geschäftspartner bereits tatsächlich zahlungsunfähig gewesen ist, als er selbst noch Leistungen erhielt und er dies auch selbst hätte erkennen müssen, wird er ein Rückzahlungsverlangen akzeptieren können. Der Weg hierzu führt über die von der Rechtsprechung entwickelten, unterschiedlich schwer zu gewichtenden Beweisanzeichen. Diese gilt es möglichst umfassend herauszuarbeiten bzw. zu widerlegen.

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