Insolvenzanfechtung: Die Karten sind neu gemischt – BGH verbessert die Rechtsposition von Gläubigern

Über die Besonderheiten der Insolvenzanfechtung haben wir in unserem Newsletter und in zahlreichen Fachveröffentlichungen schon häufig geschrieben. Gemeinsam mit Rechtsanwalt Robert Buchalik habe ich in den Jahren 2017 und 2019 zwei Bücher hierzu veröffentlicht.

Es ist also alles gesagt, könnte man meinen. Falsch! Der Bundesgerichtshof hat in der ersten Jahreshälfte 2022 die Rechtsprechung zum Recht der Insolvenzanfechtung mit vier wegweisenden Urteilen (10.02.2022, Az. IX ZR 148/19; 24.02.2022, Az. IX ZR 250/20; 03.03.2022, Az. IX ZR 53/19; 28.04.2022, Az. IX ZR 48/21; 23.06.2022, Az. IX ZR 75/21) grundlegend geändert und damit die Rechtsposition für Gläubiger ganz erheblich verbessert.

Mehr denn je gilt: Zahlen Sie nicht, wenn der Insolvenzverwalter Sie hierzu auffordert. Eine Verhandlungslösung oder ein Erfolg vor Gericht sind so wahrscheinlich wie nie.

Worum geht es?

Ein Gläubiger musste im Fall der späteren Insolvenz seines Vertragspartners erhaltene Zahlungen an den Insolvenzverwalter herausgeben, obwohl der Gläubiger einen Anspruch auf das Geld und seine Leistung ordnungsgemäß erbracht hatte.

Mit diesem Ärgernis wurden in der Vergangenheit viele Lieferanten und Dienstleister, aber auch private Vermieter und sogar Rechtsanwälte und Steuerberater konfrontiert. Die Begründung des Insolvenzverwalters: Der Vertragspartner war zum Zeitpunkt der Zahlung längst zahlungsunfähig und nahm bei der Zahlung an den einen Gläubiger in Kauf, dass das Geld zur Bezahlung der Rechnungen der anderen Gläubiger nicht ausreicht. Der Vertragspartner war also zahlungsunfähig und aus dem schleppenden Zahlungsverhalten hätte der Gläubiger dies auch erkennen müssen.

Wann die Voraussetzungen für das Rückzahlungsverlangen, der sogenannte Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Gläubigers hiervon vorliegen, ist in der Rechtsprechung, der Fachliteratur und auch im Bereich der Gesetzgebung seit jeher sehr umstritten.

Am Anfang war die Ratenzahlungsvereinbarung

Die ausufernde Insolvenzanfechtung hat nach verbreiteter Ansicht ihren Ursprung im sogenannten Nikolausurteil des BGH aus dem Jahr 2012 . Dies wurde so verstanden, dass die Bitte des Schuldners an einen Gläubiger, Ratenzahlungen zu gewähren, die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und die Kenntnis des Adressaten der Ratenzahlungsvereinbarung, also die des Gläubigers, dokumentiert. Der Schuldner sei offenbar zahlungsunfähig, was dem Gläubiger durch die Bitte des Schuldners ja gerade zur Kenntnis gelange.

Das war damals schon falsch. Mehr als ein Jahrzehnt wurde dann vor allen Gerichten der Republik darum gerungen, was tatsächlich notwendig ist, um von einem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und einer Kenntnis des Gläubigers auszugehen. Die sogenannten Beweisanzeichen wurden von verschiedenen Gerichten entwickelt und in letzter Instanz dann häufig vom BGH beurteilt.

Im Jahr 2017 trat dann noch eine Reform der Insolvenzanfechtung in Kraft, weil auch der Gesetzgeber die seinerzeit geltende Regelung für ungerecht hielt. Im Kern blieb das Problem aber bestehen und die Rechtsprechung war weiterhin überwiegend auf Seiten des anfechtenden Insolvenzverwalters.

Neue Besen kehren gut: Ein neu besetzter BGH ändert das Insolvenzanfechtungsrecht

Aus Altersgründen änderte sich nach und nach die Zusammensetzung des für das Recht der Insolvenzanfechtung zuständigen IX. Zivilsenats des Bundegerischtshofs, also der letzten Instanz. Bereits im Mai 2021 gab es ein erstes Aufhorchen in der Fachwelt

In diesem Beitrag können die Feinheiten der neuen Rechtsprechung nicht dargestellt werden. Die zwei wichtigsten Neuerungen sind aber, dass ein Gläubiger in der Regel keine Kenntnis von der finanziellen Situation des Schuldners hat und diese auch nicht aus dessen Zahlungsverhalten ableiten kann.

Der Gläubiger muss damit nicht von einer Zahlungsunfähigkeit seines Vertragspartners ausgehen, nur weil dieser verspätet oder nicht vollständig zahlt. Bleibt dies über Monate so oder ist dies sogar typisch für die Geschäftsbeziehung, hat der Gläubiger keine Kenntnis und die Anfechtung scheitert bereits hieran.

Aber auch auf der anderen Seite der Medaille, dem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, hat sich viel getan. Bislang galt nach überwiegender Auffassung: Weiß der Schuldner, dass er zahlungsunfähig ist, dann handelt er bei der Zahlung an einen Gläubiger mit Benachteiligungsvorsatz.

Dieser Automatismus wurde vom BGH nun endgültig kassiert. Der Insolvenzverwalter muss jetzt einen hohen Aufwand betreiben und darlegen, weshalb der Schuldner – im Fall einer GmbH die Geschäftsführung – davon ausging, auch dauerhaft nicht die Forderungen der anderen Gläubiger befriedigen zu können.

Dies setzt eine umfassende Auswertung der Geschäftsunterlagen des Schuldners voraus und ist dem Insolvenzverwalter mangels fehlender Unterlagen oft gar nicht möglich. Das Darlegungs- und Beweislastrisiko für den Insolvenzverwalter und damit der Verhandlungsdruck steigen immens.

 

Folgen der neuen Rechtsprechung zur Insolvenzanfechtung: BGH verbessert die Rechtsposition von Gläubigern erheblich

Die Urteile im ersten Halbjahr 2022 haben die Karten jetzt völlig neu gemischt. Der Insolvenzverwalter ist nicht mehr im Vorteil. Die höchsten deutschen Richter sehen die Dinge deutlich anders als ihre Vorgänger.

Das erhöht die Chancen für Gläubiger erheblich, schafft aber auch Unsicherheiten. In vielen Fällen kann nicht mehr seriös beurteilt werden, wie das in erster Instanz zuständige Landgericht und sodann das Oberlandesgericht im Einzelfall entscheiden werden. Verfahrensrechtlich ist beim Oberlandesgericht oft Schluss, sodass deren Interpretation der neuen Rechtsprechung maßgeblich sein wird.

Fazit und Handlungsempfehlungen

Gläubiger sollten keinesfalls spontan auf Zahlungsaufforderungen des Insolvenzverwalters reagieren oder gar zahlen. Es ist wichtig, das Anfechtungsschreiben zu analysieren und fundiert zu antworten.

Maßgeblich für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist vor allem, was zwischen Gläubiger und Schuldner in der Vergangenheit kommuniziert wurde. Die Auswertung von E-Mails und sonstiger Korrespondenz ist gerade für die Beurteilung der Anfechtungsvoraussetzung der „Kenntnis“ extrem wichtig geworden.

Und auch beim Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gilt es dem Insolvenzverwalter möglichst große Steine in den Weg zu legen, um eine Klage unattraktiv zu machen und überzogene Forderungen zurückzuweisen.

Vorsicht auch vor angeblichen Zahlungsunfähigkeitsgutachten vermeintlicher Experten. Diese sind allzu oft nicht fachgerecht erstellt.

Autor: Dr. Olaf Hiebert

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