Insolvenzanfechtung: Ist eine Inanspruchnahme des Gesellschafters durch den Insolvenzverwalter trotz Verjährung seiner bestellten Sicherheit möglich?

Beabsichtigt eine Gesellschaft − insbesondere eine GmbH − ein Darlehen aufzunehmen, fordern Dritte (Banken u. a.), von den Gesellschaftern regelmäßig die Stellung eigener Sicherheiten, beispielsweise einer Bürgschaft. Führt die Gesellschaft das Darlehen an den Dritten zurück und wird der Gesellschafter vermeintlich von der Gesellschaftersicherheit frei, können Gesellschafter im Zusammenhang mit einer späteren Insolvenz mit weiteren Ansprüchen konfrontiert werden.

Wird nämlich über das Vermögen dieser Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, prüfen Insolvenzverwalter regelmäßig, ob eine Insolvenzanfechtung gemäß § 135 Abs. 2 InsO für Rechtshandlungen möglich ist, die zu einem Freiwerden des Gesellschafters von seiner Sicherheit führten.

Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung vom 09.12.2021 – Az. IX ZR 201/20 – drei relevante Fragen entschieden. Die amtlichen Leitsätze des Urteils lauten dazu wie folgt:

  1. Hat der Gesellschafter für eine Forderung eines Dritten auf Rückgewähr eines Darlehens eine Sicherheit bestellt oder eine Bürgschaft übernommen, benachteiligt die Befriedigung des Dritten aus der Verwertung einer Gesellschaftssicherheit die Gläubiger auch dann, wenn der Dritte zum Zeitpunkt der Befriedigung seiner Forderung den Gesellschafter nicht mehr aus der Gesellschaftersicherheit hätte in Anspruch nehmen können. Dies gilt ebenso, wenn der Anspruch aus der Bürgschaft bereits verjährt gewesen ist.
  2. Erhöht sich die Forderung des Dritten − etwa aufgrund laufender Zinsen − nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und erhält der Dritte hierfür eine Befriedigung aus der Verwertung einer Gesellschaftssicherheit, umfasst der Anfechtungsanspruch gegen den Gesellschafter auch die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Ansprüche des Dritten, wenn sich sowohl die Gesellschaftssicherheit als auch die Gesellschaftersicherheit auf diese Ansprüche erstrecken.
  3. Verwertet der Insolvenzverwalter eine Gesellschaftssicherheit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugunsten einer Forderung eines Dritten auf Rückgewähr eines Darlehens, für die der Gesellschafter eine Sicherheit bestellt hat, beginnt die Verjährung des Anfechtungsanspruchs gegen den Gesellschafter frühestens mit der Befriedigung des Dritten.

I. Was regelt § 135 Abs. 2 InsO?

II. Worum ging es in den konkreten Fällen vor dem BGH?

Der Beklagte war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der P. GmbH (nachfolgend Schuldnerin). Dieser hatte der C. AG (nachfolgend Bank) eine Gesellschaftersicherheit in Form einer Höchstbetragsbürgschaft bis zu einem Betrag von 200.000 EUR zur Absicherung eines Darlehens an die Schuldnerin gestellt. Auch die Schuldnerin stellte eine Gesellschaftssicherheit, indem sie der Bank im Rahmen einer Globalzession sämtliche bestehende und künftige Forderungen aus Warenlieferungen und Leistungen abtrat. Die Bank nahm den Gesellschafter bereits nach Stellung des Insolvenzantrags i. H. v. rund 144.000 EUR aus der Bürgschaft in Anspruch.

Das Insolvenzgericht eröffnete das Insolvenzverfahren am 07.11.2012 aufgrund eines Insolvenzantrags vom 02.04.2012. Der Insolvenzverwalter zahlte aufgrund der Globalzession einen Betrag i. H. v. rund 31.000 EUR an die Bank aus eingegangenen Kundenzahlungen nach Antragstellung, nachdem er diese am 09.05.2018 abgerechnet hatte.

Der Insolvenzverwalter (nachfolgend Kläger) verlangte im Rahmen des Rechtsstreits die Erstattung dieses Betrages von dem Gesellschafter gemäß §§ 143 Abs. 3 S. 1, 135 Abs. 2 InsO. Der Gesellschafter erhob dagegen die Einrede der Verjährung.

Das Landgericht wies die Klage ab, das Oberlandesgericht verurteilte den Gesellschafter zur Zahlung des Gesamtbetrags nebst Zinsen.

Der BGH bestätigte das Urteil der 2. Instanz und wies die Revision mit seinem Urteil vom 09.12.2021 als unbegründet ab.

III. Wesentliche Gründe der Entscheidung des BGH

Nach dem Urteil des BGH steht dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung des Betrags i. H. v. rund 31.000 EUR gemäß §§ 143 Abs. 3 S. 1, 135 Abs. 2 InsO an die Insolvenzmasse zu.

Entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung entschied der BGH, dass vorliegend eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung darin zu sehen ist, dass die vorrangige Befriedigung aus der Gesellschaftersicherheit unterblieben ist. Denn im Fall der vorrangigen Befriedigung aus der Bürgschaft des Gesellschafters wären die Kundenzahlungen der Insolvenzmasse und nicht der mit einer Globalzession gesicherten Bank zugutegekommen.

Weiterhin entschied der BGH die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, ob eine Anfechtung nach § 135 Abs. 2 InsO auch dann in Betracht kommt, wenn die Befreiung des Gesellschafters von der Sicherung auf andere Art als durch eine Leistung der Gesellschaft eintritt. Der BGH bejaht die Frage mit der Begründung, dass es für die Gläubigerbenachteiligung unerheblich sei, ob der Darlehensgeber zu diesem Zeitpunkt materiell-rechtlich noch in der Lage war, die Gesellschaftersicherheit zu verwerten, solange die Forderung des Darlehensgebers aufgrund der gestellten Gesellschaftssicherheit befriedigt werde. Denn die wirksame Bestellung der Gesellschaftersicherheit führt auch bei einem späteren Freiwerden gegenüber dem Darlehensgeber nicht zu einer Enthaftung im Verhältnis zu der Gesellschaft. In anderen Worten: Eine Beschränkung der Haftung im Verhältnis des Gesellschafters zum Dritten ist unerheblich für die Haftung des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft bzw. ihres Insolvenzverwalters.

Weiterhin entschied der BGH, dass der Anfechtungsanspruch nicht auf die Höhe des Darlehensanspruchs im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begrenzt ist, sondern sich u. a. durch laufende Zinsen erhöhen kann, wenn sich sowohl die Gesellschaftssicherheit als auch die Gesellschaftersicherheit auf diese Ansprüche erstrecken. Die gesetzlichen Begrenzungen des § 143 Abs. 2 S. 2 InsO schließen diese Annahme nicht aus. Entscheidend ist demnach, in welchem Umfang der Darlehensgeber aus der Gesellschaftssicherheit befriedigt wurde. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass nach Insolvenzeröffnung fällig werdende Ansprüche auf Kosten und Zinsen ebenfalls von dem Recht auf abgesonderte Befriedigung erfasst werden (BGH, Urteil vom 17. Juli 2008 – IX ZR 132/07, ZIP 2008, 1539 Rn. 7 ff) und die Anrechnungsvorschrift des § 367 BGB auch bei der Verwertung von Absonderungsgut im Insolvenzfall gilt (BGH, Urteil vom 17. Februar 2011 – IX ZR 83/10, ZIP 2011, 579 Rn. 7).

Nicht entscheidend ist demnach, dass die Darlehensforderung bei einer früheren Befriedigung aus der Gesellschaftssicherheit niedriger gewesen wäre, da der Gesellschafter vorrangig haftet.

Zuletzt entschied der BGH, dass die Verjährung des Anfechtungsanspruchs aus § 135 Abs. 2 InsO bei der Verwertung einer Gesellschaftssicherheit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu Gunsten eines Dritten auf Rückgewähr eines Darlehens frühestens mit der Befriedigung des Dritten beginnt. Denn die Verjährung richtet sich gemäß § 146 Abs. 1 InsO i. V. m. § 199 Abs. 1 InsO nach der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren und beginnt mit dem Ende des Jahres, in welchem der Anspruch entstanden ist und dem Insolvenzverwalter bekannt wurde.

Gemäß § 199 Abs. 1 BGB gilt der Anspruch als entstanden, wenn der Gläubiger diesen geltend machen und mit einer Klage durchsetzen kann. Der Anfechtungsanspruch gemäß § 135 Abs. 2 InsO kann folglich frühestens entstehen, sobald der Dritte aus der Gesellschaftssicherheit befriedigt und der Gesellschafter in entsprechender Höhe von seiner Haftung befreit wurde. Erfolgt die Befriedigung wie in dem vorliegenden Fall erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, entsteht der Anfechtungsanspruch auch erst mit dieser Rechtshandlung. Denn ein früherer Zeitpunkt scheitert an der Möglichkeit, den Anspruch klageweise gegen den Gesellschafter durchzusetzen.

IV. Einordnung der Entscheidung

Die Entscheidung ist für die Insolvenzpraxis von Interesse, da sie wichtige Fragen im Zusammenhang mit der häufig auftretenden Konstellation der Doppelbesicherung klärt. Allerdings lässt der BGH die Frage noch offen, ob eine Enthaftung des Gesellschafters von seiner Sicherheit außerhalb des Zeitraums des in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO (ein Jahr vor Antragstellung) zu einem Ausschluss der Anfechtbarkeit führt oder nicht. Dies war im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich. Der BGH gibt aber in seiner Entscheidung einen Hinweis, dass eine Enthaftung in diesem Fall möglich ist.

Die Entscheidung des BGH zeigt, dass in der insolvenzrechtlichen Beratung des Gesellschafters im Vorfeld eines Insolvenzantrags immer auch ein potenzielles Anfechtungsrisiko gemäß § 135 InsO geprüft und auf dieses hingewiesen werden muss. Der Gesellschafter sollte bei seiner Entscheidung darüber, ob er ggf. „frisches Geld“ in die Gesellschaft investiert und damit ein Insolvenzverfahren verhindert, das potenzielle Anfechtungsrisiko kennen, um eine wirtschaftliche Abwägung vornehmen zu können. Dies betrifft insbesondere die Rückführung von Darlehen im Zeitraum innerhalb von einem Jahr vor Stellung des Insolvenzantrags.

Für Insolvenzverwalter stellt das Urteil des BGH eine wichtige Entscheidung im Hinblick darauf dar, dass sich der Gesellschafter häufig nicht auf die Einrede der Verjährung berufen kann. Künftig werden Insolvenzverwalter, die bisher bereit waren, sich über die Rechtsunsicherheit der Einrede der Verjährung hinweg zu vergleichen, weniger Entgegenkommen zeigen.

Autorin: Viktoria Schabel

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