Umzug schützt vor InsO nicht … Der Bundesgerichtshof zur Zuständigkeit deutscher Insolvenzgerichte

Auf Grundlage einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH), Beschl. v. 07.07.2022, Az. IX ZB 14/21, bleiben die deutschen Gerichte nach Stellung eines Insolvenzantrags auch dann zuständig, wenn der Schuldner den Insolvenzantrag bei einem örtlich unzuständigen Insolvenzgericht gestellt hat und noch vor der Verweisung an das örtlich zuständige Gericht seinen Sitz in einen anderen EU-Mitgliedstaat verlegt.

Sachverhalt und Entscheidung

Die Schuldnerin, ein Unternehmen, hat bei dem Amtsgericht Cottbus einen Insolvenzantrag gestellt. Im Zeitpunkt des Antragseingangs beim AG Cottbus war im Handelsregister als Sitz der Schuldnerin eine Gemeinde im örtlichen Zuständigkeitsbereich des AG Cottbus eingetragen. Das Unternehmen hat dort seine Geschäftstätigkeit aber nie aufgenommen. Stattdessen hatte es im März 2017 in Berlin ein Gewerbe angemeldet.

Im April 2019 hat der seinerzeitige geschäftsführende Alleingesellschafter des Unternehmens seine Geschäftsanteile auf eine Person übertragen, die in Polen ansässig war. Zeitgleich wurde der Unternehmenssitz nach Berlin verlegt und eine ebenfalls in Polen ansässige Person zur Geschäftsführerin des Unternehmens bestellt.

Im Mai 2019 teilte die neu bestellte Geschäftsführerin dem Insolvenzgericht mit, dass die Geschäfte des Unternehmens nunmehr ausschließlich von Polen aus und damit nicht mehr in Deutschland geführt würden.

Das AG Charlottenburg, an das die Antragssache zwischenzeitlich wegen örtlicher Unzuständigkeit des AG Cottbus verwiesen worden war, hat den Antrag des Unternehmens auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen im Juli 2019 mangels Masse zurückgewiesen.

Gegen diese Zurückweisung hat sich das Unternehmen gewehrt und das Beschwerdeverfahren eingeleitet. Dabei vertrat es die Auffassung, dass die Abweisung des Eröffnungsantrages unzulässig gewesen sei, weil die örtliche Zuständigkeit des AG Charlottenburg wegen der Verlegung des Geschäftssitzes nach Polen nicht vorgelegen habe. Insgesamt fehle es an einer internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte, da das Unternehmen seinen Sitz zwischenzeitlich nach Polen und damit in einen anderen Staat verlegt habe.

Art. 3 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.05.2015 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) regelt die internationale Zuständigkeit der deutschen Insolvenzgerichte wie folgt: Die Gerichte desjenigen Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen zuständig.

Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei der Stichtag der Antragstellung, sodass es grundsätzlich unbeachtlich bleibt, wenn der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen nach der Antragstellung, aber noch vor der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates verlegt.

Das Gericht eines Mitgliedstaats, das mit einem Antrag auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens befasst ist, bleibt daher weiter für die Eröffnung dieses Verfahrens ausschließlich zuständig, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners nach der Antragstellung, aber noch vor der Entscheidung über diesen Antrag in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wird.

Im vorliegenden Fall befand sich im Zeitpunkt der Antragstellung beim AG Cottbus der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Unternehmens in Berlin und somit im Inland. Dass das AG Cottbus für den gestellten Insolvenzantrag örtlich unzuständig war, spielt für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit keine Rolle.

Gemäß § 2 Abs. 1 und 2 InsO wird ein Insolvenzantrag mit Eingang bei dem zuerst angerufenen Insolvenzgericht anhängig. Stellt dieses zuerst angerufene Gericht das Fehlen seiner örtlichen Zuständigkeit fest, so ist die Sache gemäß § 4 InsO i. V. m. § 281 Abs. 1 S. 1 ZPO  auf Antrag an das örtlich zuständige Insolvenzgericht zu verweisen. Im Falle der Verweisung wird das bei dem unzuständigen Gericht geführte Verfahren in dem Stadium, in dem es sich im Zeitpunkt der Verweisung befand, bei dem Gericht fortgesetzt, an das es verwiesen worden ist. Durch die Verweisung wird also kein neues Eröffnungsverfahren begründet.

Diese Regelungen gelten auch in den Fällen, in denen sich die örtliche Unzuständigkeit aus einer Sitzverlegung ins EU-Ausland ergibt. Denn die EuInsVO regelt nur die internationale Zuständigkeit eines angerufenen Gerichts, nicht aber, welches Gericht in den jeweiligen Mitgliedstaaten sachlich und örtlich zuständig ist. Die Entscheidung hierüber verbliebt beim jeweiligen Mitgliedstaat.

Nationale Regelung der internationalen Zuständigkeit

Die hiesigen nationalen Regelungen zur internationalen Zuständigkeit stellen nach dem Wortlaut auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung ab (vgl. § 335 InsO). Daraus hat das hier in Rede stehende Unternehmen möglicherweise geschlossen, dass eine in der Zeit zwischen Antragstellung und Eröffnung durchgeführte Geschäftssitzverlegung in einen anderen Staat dazu führen würde, dass das Verfahren in diesem Staat nach dessen Recht eröffnet und geführt wird. Nach der Rechtsprechung des BGH führt eine solche Sitzverlegung aber gerade nicht dazu, dass die Zuständigkeit des zuerst angerufenen deutschen Insolvenzgerichts entfällt.

Ergebnis

Der Schuldner kann sich nach der Stellung eines Insolvenzantrages nicht durch eine alsbaldige Sitzverlegung der deutschen Gerichtsbarkeit entziehen, um in den Genuss des Geltungsbereiches eines möglicherweise schuldnerfreundlicheren Insolvenzrechts zu kommen.

Über den Autor

Rechtsanwältin Claudia Rumma 

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