Insolvenzrechtliche Erleichterungen im 3. Entlastungspaket: Hilfreich oder eine Mogelpackung?

Der völkerrechtswidrige russische Angriff auf die Ukraine sorgt weltweit für steigende Energie- und Nahrungsmittelpreise. Die Inflation wird angeheizt, von den Gewerkschaften geforderte massive Lohnsteigerungen sind die unmittelbare Folge.

Der Gesetzgeber hat deshalb ein Maßnahmenpaket des Bundes zur Sicherung einer bezahlbaren Energieversorgung und zur Stärkung der Einkommen beschlossen. Auch Unternehmen, die im Kern gesund und auch langfristig unter den geänderten Rahmenbedingungen überlebensfähig sind, sollten ihre Geschäftsmodelle anpassen können. Im Rahmen des Entlastungspaketes soll deshalb unter anderem auch für Erleichterungen bei der Insolvenzantragspflicht gesorgt werden.

Die wesentlichen Elemente des Entwurfs sind sinnvoll, im Ergebnis aber viel zu kurz gesprungen. Das Ziel, Unternehmen, die durch die Energiekrise und die Lieferkettenengpässe in Schwierigkeiten geraten sind, zu schützen, wird durch die geplanten Maßnahmen allein verfehlt.

Eine weitere, wenn auch nur indirekte, Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, wird der deutschen Wirtschaft mehr schaden als nutzen. Die Insolvenzvermeidung ist zur Zielerreichung kein adäquates Mittel, vielmehr sollten weitere Anreize, die Sanierungsmöglichkeiten des geltenden Insolvenzrechtes zu nutzen, geschaffen werden.

Es sind deshalb zusätzliche flankierende Maßnahmen zwingend erforderlich, um das Überleben der von der aktuellen Krise betroffenen Unternehmen zu sichern. Dazu zählen:

  • Erweiterung des Insolvenzgeldzeitraumes auf sechs Monate
  • Erneute Abschaffung des Fiskusprivilegs (§ 55 Abs. 4 InsO)
  • Kein M&A-Prozess im Schutzschirmverfahren

I. Im Einzelnen zu den Vorschlägen der Koalitionsfraktionen:

1. Vorübergehende Verkürzung des Prognosezeitraums für die Überschuldungsprüfung

Die Herabsetzung des Prognosezeitraumes von zwölf auf vier Monate ergibt Sinn, denn in der aktuellen wirtschaftlichen Situation ist eine Vorschau auf zwölf Monate realistischerweise nicht möglich. Allerdings wird der Effekt dieser Maßnahme kaum spürbar werden, denn trotz der aktuell geltenden zwölfmonatigen Frist dürfte es kaum Unternehmen geben, die wegen Überschuldung auf der Grundlage einer prognostizierten drohenden Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag stellen. Gleichwohl wird durch diese Maßnahme das Haftungsrisiko für die Organe reduziert.

2. Vorübergehende Verkürzung der Planungszeiträume für Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanungen von sechs auf vier Monate

Die Verkürzung ist sinnvoll. Auch hier gilt, dass belastbare Planungen über mehrere Monate unter den aktuellen Umständen kaum möglich sind.

3. Vorübergehende Hochsetzung der Höchstfrist für die Insolvenzantragstellung wegen Überschuldung von sechs auf acht Wochen

Schon mit der letzten Änderung der Insolvenzordnung wurde die Antragsfrist von drei auf sechs Wochen hochgesetzt. Die weitere Hochsetzung ist ebenfalls sinnvoll, auch vor dem Hintergrund, dass damit die Option eines Schutzschirmverfahrens erweitert wird. Um in ein Schutzschirmverfahren zu gelangen, sind weitergehende Nachweise im Rahmen der geforderten Bescheinigung nach § 270d InsO erforderlich, die u. U. sehr zeitaufwendig sein können. Mit der Hochsetzung der Höchstfrist erweitern sich die Handlungsspielräume.

II. Notwendigkeit weiterer flankierender Maßnahmen:

Unsere Wirtschaft steht vor dramatischen Einschnitten aufgrund der aktuellen Probleme. Allein unsere Kliniken benötigen 15 Mrd. Euro nur um die aktuellen Kostensteigerungen aus eskalierenden Energiekosten und zu erwartenden Lohnsteigerungen zu schultern. Viele Unternehmen sind in gleicher Weise betroffen.

Einige der Maßnahmen zielen darauf ab, eine Insolvenzantragstellung zu verhindern. Schon die Corona-Erleichterungen haben dazu geführt, dass an sich insolvenzreife Unternehmen keinen Antrag gestellt haben. Dies hat insbesondere im Jahr 2021 zu einem deutlichen Rückgang der Unternehmensinsolvenzen geführt.

Die normalerweise zu erwartende insolvenzbedingte Bereinigung ist im Jahr 2021 nicht eingetreten. Das hat die Wirtschaft eher geschwächt denn gestärkt.

Der gleiche Fehler sollte deshalb nicht wiederholt werden. Die Insolvenz, insbesondere eine Insolvenz in vorläufiger Eigenverwaltung oder unter einem Schutzschirm, sollte aber nicht verhindert, sondern die Chancen einer Sanierung mit diesen Instrumenten sollten vergrößert werden. Vor allem damit könnten erhaltenswerte Unternehmen gerettet werden.

Das setzt voraus, dass zusätzliche Anreize geschaffen werden, um den Einstieg in ein derartiges Verfahren zu erleichtern. Im Einzelnen:

1. Erweiterung des Insolvenzgeldzeitraumes auf sechs Monate

Mit einer über die geltenden gesetzlichen Regelungen hinausgehenden Entlastung von den Personalkosten steigen die Chancen der Unternehmen massiv, die Krise zu überleben und gleichzeitig die strukturell notwendigen Anpassungen vorzunehmen. Eine solche Art der Entlastung wirkt zielgerichtet und verfügbare Mittel werden nur an Unternehmen ausgeschüttet, die auch realistische Überlebenschancen haben.

2. Abschaffung des Fiskusprivilegs

Infolge der ESUG-Evaluation wurde das Fiskusprivileg über die Neufassung des § 55 Abs. 4 InsO wieder eingeführt. Dies war offensichtlich von vornherein unter den Beteiligten am Gesetzgebungsverfahren umstritten, denn es gab mehrere Entwürfe, mal mit und mal ohne das Fiskusprivileg.

Die Krise eines Unternehmens, insbesondere die nun anstehende Krise, die mutmaßlich alles bisher seit dem zweiten Weltkrieg Dagewesene in negativer Hinsicht weit übertreffen wird, ist nicht dazu angetan, dem Fiskus Privilegien einzuräumen. Die freiwerdenden Mittel werden die Sanierungsaussichten und damit die Überlebensfähigkeit der betroffenen Unternehmen deutlich erhöhen.

3. Kein M&A-Prozess im Schutzschirmverfahren

In der Gesetzesbegründung zum ESUG, vor allem im Rahmen der ESUG-Evaluation, wird stets betont, dass der redliche Unternehmer, der unverschuldet in die Krise geraten ist und frühzeitig, also vor eingetretener Zahlungsunfähigkeit, einen Insolvenzantrag stellt, belohnt werden soll.

Wie aber soll ein Unternehmer motiviert werden frühzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn er fürchten muss, dass sein Unternehmen im anstehenden Verfahren an den Meistbietenden verkauft wird? Zu alle dem muss er damit rechnen, aus persönlichen Haftungen in Anspruch genommen zu werden, zum Beispiel aus Bürgschaften, und dies, obwohl er die Krise nicht verschuldet hat, sondern sie weitgehend auf fehlende politische Weitsicht zurückzuführen ist.

Der Wille des Gesetzgebers in diese Richtung zu handeln ist aus den Gesetzmaterialien zum ESUG klar erkennbar, allein es fehlt eine verbindliche gesetzliche Regelung. Ohne eine klare gesetzliche Regelung wird es nur schwer möglich sein, Unternehmer von einer Sanierung unter einem Schutzschirm zu überzeugen. Um den Interessen der Gläubiger gleichwohl gerecht zu werden, sollte als Vergleichsszenario demzufolge nur ein Liquidationsszenario, nicht aber der mögliche Ausgang eines Verkaufsprozesses herangezogen werden.

III. Fazit

Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen könnte der Wirtschaft effektiv geholfen werden, ohne dass es erforderlich wird Geldmittel ohne klare Zielrichtung über die Unternehmen auszuschütten. Die Bazooka könnte dann im Waffenschrank bleiben!

Über den Autor

Geschäftsführer, Partner, Rechtsanwalt Robert Buchalik

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