Internationale Insolvenzanfechtung: Rechte, Risiken und Schutzmechanismen im Überblick
In Zeiten zunehmend massearmer Insolvenzverfahren sind sowohl deutsche als auch nicht in Deutschland ansässige Insolvenzverwalter darum bemüht, im Rahmen der Wahrnehmung ihrer Aufgaben Ansprüche unter dem Gesichtspunkt der sogenannten Insolvenzanfechtung durchzusetzen. Dabei geht es in der Regel um die ‚Rückgängigmachung‘ von Vermögensverschiebungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Gegner des Anfechtungsanspruchs des Insolvenzverwalters ist in der Regel der Empfänger der fraglichen Leistung, der diese nach dem Willen des Verwalters an die Insolvenzmasse zurückzugewähren hat.
Besonderheiten und Fallstricke der internationalen Insolvenzanfechtung
Viele Sachverhalte stellen sich nach einer ersten Einschätzung des Insolvenzverwalters als eindeutig dar, weil die Anfechtungsvoraussetzungen nach den Regelungen der deutschen Insolvenzordnung (§§ 129 ff. InsO) augenscheinlich vorliegen. Dabei wird aber oft nicht gesehen, dass im internationalen Kontext die Anfechtungsansprüche des Insolvenzverwalters unter bestimmten Voraussetzungen einer weitergehenden Prüfung nach dem Insolvenzrecht des Landes unterliegen, in dem der Anfechtungsgegner seinen Sitz hat.
Europäische Insolvenzverordnung: Anwendbarkeit nationalen Insolvenzrechts
Nach der Europäischen Insolvenzverordnung (Verordnung EU 2015/848) richtet sich das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen nach dem Insolvenzrecht des Mitgliedsstaates der Europäischen Union, in dem das Verfahren eröffnet wird. Wird also ein Insolvenzverfahren beispielsweise in der Bundesrepublik Deutschland eröffnet, so ist naheliegenderweise auch das deutsche Insolvenzrecht anzuwenden. Dies gilt auch für das Anfechtungsrecht, sodass ein deutscher Insolvenzverwalter grundsätzlich auch Sachverhalte anfechten kann, bei denen der Anfechtungsgegner seinen Sitz nicht in Deutschland hat.
Schutzrechte für Anfechtungsgegner bei grenzüberschreitenden Insolvenzen
Allerdings enthält die genannte europäische Verordnung eine Regelung zum Schutz des Anfechtungsgegners. Art. 16 der Verordnung sieht nämlich – kurz gesagt – vor, dass ein Anfechtungsgegner, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat der Verfahrenseröffnung ansässig ist, dem Insolvenzverwalter entgegenhalten kann, dass die angefochtene Rechtshandlung als solche dem Recht eines anderen Mitgliedstaates, nämlich dem des Sitzstaates des Anfechtungsgegners, unterliegt und dass die angefochtene Rechtshandlung nach dem nationalen Insolvenzrecht des Anfechtungsgegners nicht ‚angreifbar‘ ist. Der europäische Gesetzgeber hat damit eine Vertrauensschutzregelung geschaffen, die den Anfechtungsgegner davor schützen soll, in jedem Fall mit Anfechtungsansprüchen eines nicht in seinem Sitzland ansässigen Insolvenzverwalters überzogen zu werden.
Praxisbeispiel: Insolvenzanfechtung bei internationalen Lieferverträgen
Was auf den ersten Blick kompliziert erscheint, hat weitreichende Bedeutung: Internationale Lieferverträge unterliegen dem Recht des Staates des Verkäufers, wenn die Vertragsparteien keine abweichende Rechtswahl getroffen haben. Liefert also beispielsweise ein italienischer Automobilzulieferer Waren in die Bundesrepublik Deutschland, so unterliegt der der Lieferung zugrunde liegende Kaufvertrag grundsätzlich italienischem Recht. Wird nun über das Vermögen des deutschen Kunden das Insolvenzverfahren eröffnet und macht der deutsche Insolvenzverwalter gegen den italienischen Lieferanten Ansprüche aus Insolvenzanfechtung nach der deutschen Insolvenzordnung geltend, so kann der italienische Lieferant dem Insolvenzverwalter entgegenhalten, dass die angefochtene Rechtshandlung nach italienischem Recht nicht anfechtbar und auch sonst nicht angreifbar wäre, so dass er auch nicht verpflichtet ist, die erhaltene Leistung an den deutschen Insolvenzverwalter zurückzugewähren.
Unterschiedliche Anfechtungsrechte in den EU-Mitgliedstaaten
Das Anfechtungsrecht ist in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU sehr unterschiedlich ausgeprägt. So könnte der oben genannte italienische Lieferant beispielsweise erklären, dass auch in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des deutschen Kunden vereinbarte Ratenzahlungen nicht anfechtbar sind, wenn sie während des laufenden Geschäftsbetriebes des Kunden entsprechend den zwischen den Parteien vereinbarten Zahlungsfristen erfolgt sind. Anders als das deutsche Anfechtungsrecht sieht nämlich das italienische Anfechtungsrecht (Art. 166 Abs. 3 lit. a des codice della crisi d’impresa e dell’insolvenza) bei laufenden Zahlungen im Geschäftsbetrieb unter Einhaltung der zwischen den Parteien vereinbarten Zahlungsfristen einen Schutz vor späterer Anfechtung durch den Insolvenzverwalter unabhängig von der Kenntnis des Lieferanten von einer möglichen Zahlungsunfähigkeit des Kunden vor.
Fazit: Fachliche Prüfung und rechtliche Beratung bei grenzüberschreitenden Insolvenzen ist unerlässlich
Macht also ein ‚ausländischer‘ Insolvenzverwalter Ansprüche aus Insolvenzanfechtung geltend, so lohnt es sich, den Sachverhalt fachlich prüfen zu lassen, denn die oben skizzierte Konstellation ergibt sich natürlich auch dann, wenn ein nicht in Deutschland ansässiger Insolvenzverwalter Ansprüche gegen deutsche Unternehmen geltend macht. Auch der ausländische Insolvenzverwalter kann sich nicht ohne weiteres auf sein eigenes, nationales Insolvenzrecht beschränken, sondern muss unter Umständen gegen sich gelten lassen, dass der deutsche Anfechtungsgegner darauf vertrauen durfte, dass die Leistung nicht zurückgewährt werden muss.
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