Interview mit Rechtsanwalt Sascha Borowski: Bewertung der Nachrangdarlehen – wie es zur Insolvenz mehrerer Emittentinnen kam

Einige UDI-Gesellschaften haben in den Jahren 2011 bis 2018 Nachrangdarlehen angeboten. Wie schätzen Sie Nachrangdarlehen als Kapitalanlagen ein?

Bis 2005 waren aufgrund steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten geschlossene Fonds beliebt. Mit der Novellierung der Steuergesetze und dem Wunsch vieler Anleger, Kapital nicht mehr 20 Jahre lang anzulegen, wurden seither Vermögensanlagen und hier speziell die Nachrangdarlehen und Genussrechte attraktiv. Eine stärkere Regulierung der Nachrangdarlehen erfolgte mit dem Mitte 2015 in Kraft getretenen Kleinanlegerschutzgesetz. Weiterhin stellen Nachrangdarlehen typische und zudem probate Finanzierungsmöglichkeiten für Projektgesellschaften und junge Unternehmen dar.

Was änderte sich durch das Kleinanlegerschutzgesetz?

Ziel des Gesetzgebers war es, mehr Transparenz zu schaffen und die Aufsichtsmöglichkeiten durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu erhöhen. Deshalb wurde generell die Prospektpflicht auch für Vermögensanlagen, insbesondere also auch für Nachrangdarlehen, eingeführt. Prospekte werden von der BaFin geprüft und Vermögensanlagen dürfen erst nach  Billigung der Prospekte angeboten werden. Die Prospekte sind meist um die 100 Seiten stark; ihre Billigung nimmt meist 2-3 Monate in Anspruch. Sie sind also für die Anbieter teuer und zeitaufwändig. Daher hat der Gesetzgeber zeitgleich die sog. Schwarmfinanzierung eingeführt, oft auch Crowdinvesting genannt. Diese ermöglichen Projekten mit geringen Emissionsvolumen von wenigen Millionen Euro auf Prospekte zu verzichten. Das nutzen vor allem die vielen Crowdinvesting-Online-Plattformen.

Warum sind nun Nachrangdarlehens-Emittentinnen von UDI insolvent gegangen – wurde gegen das Kleinanlegerschutzgesetz verstoßen?

Nein. Die UDI Energie Festzins II bis IX Gesellschaften emittierten ihre Nachrangdarlehen alle vor Inkrafttreten des Kleinanlegerschutzgesetzes. UDI hatte tatsächlich aber auch schon vor dem Kleinanlegerschutzgesetz immer recht ausführliche Emissionsunterlagen erstellt. Für alle Nachrangdarlehen danach wurden die geforderten Prospekte geschrieben und von der BaFin gebilligt, d.h. UDI nutzte gar nicht die Ausnahmemöglichkeiten. So billigte die BaFin z.B. die Prospekte der Nachrangdarlehen UDI Energie Festzins 10 bis 14. Der Vertrieb dieser Kapitalanlagen erfolgte also mit ausdrücklicher Billigung durch die Finanzaufsicht. Die Problematik der Nachrangdarlehen ergab sich erst viel später durch eine veränderte Rechtsprechung zu qualifizierten Nachrangklauseln, also nicht durch die Gesetzgebung und schon gar nicht durch einen etwaigen Verstoß gegen Gesetze.

Was hat es mit diesen qualifizierten Nachrangklauseln auf sich?

Von einfachen Darlehen unterscheiden sich Nachrangdarlehen durch sog. qualifizierte Nachrangklauseln. Einfache Darlehen sind Bankendarlehen – Zinsen und Tilgungen sind pünktlich und vollständig zu zahlen. Kann der Gläubiger nicht zahlen, kann die Bank die Sicherheiten verwerten, bzw. ein Unternehmen als Darlehensnehmer muss Insolvenz anmelden.

Qualifizierte Nachrangklauseln zeichnen sich unter anderem durch eine vorinsolvenzliche Durchsetzungssperre aus. Können Zinsen nicht vollständig gezahlt werden, weil sonst das Unternehmen Insolvenz anmelden müsste, werden Zinsen nur anteilig bezahlt bzw. die Zinszahlung in die Zukunft verschoben.

Das kann sinnvoll sein: Bei einer Biogasanlage als Darlehensgläubiger kann der Erlös aufgrund eines Anlageschadens oder hoher Substratpreise in Folge einer Missernte zu gering ausfallen, um die vollen Zinsen zahlen zu können. Statt nun Insolvenz anmelden zu müssen, können die ausgefallenen Zinszahlungen in der Folge nachgeholt werden, was durchaus im Interesse auch der Kapitalanleger sein kann.

Wo entstand nun die Problematik bei den qualifizierter Nachrangklauseln?

Qualifizierte Nachrangklauseln sind der Überprüfung der Gerichte nicht entzogen und auslegungsfähig. Bis 2018 bestätigten die Gerichte viele der bis dahin verwendeten Nachrangklauseln. Der Bundesgerichtshof hat in Entscheidungen von Dezember 2018 und Dezember 2019 die Anforderungen an eben diese qualifizierten Nachrangklauseln für Privatanleger unerwartet deutlich erhöht. Nachrangklauseln, die zuvor von Gerichten noch bestätigt wurden, werden seither als unzureichend und somit als ungültig qualifiziert. Diese Entscheidungen betrafen keine UDI-Nachrangdarlehen, sondern Kapitalanlagen anderer Marktteilnehmer. Zu den UDI-Nachrangdarlehen gibt es bis heute noch keine BGH-Entscheidungen. Die für alle Beteiligten – Anleger/innen und Emittentinnen –  nicht absehbare Rechtsprechungsänderung lässt eine Vielzahl von vereinbarten qualifizierten Nachrangklauseln unwirksam werden, obwohl die Nachrangdarlehensverträge mitunter viele Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte vor den BGH-Entscheidungen geschlossen wurden.

Bei Gesetzen gibt es in der Regel einen Bestandsschutz. Die höchstrichterliche Rechtsprechung wirkt aber auch für die lange zuvor emittierten Kapitalmarktprodukte?

Ja, genau. Ein „Bestandsschutz“ zugunsten der Emittentinnen und deren Anleger/innen existiert nicht. Hält die gewollte und vereinbarte qualifizierte Rangrücktrittsklausel einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand, entfällt diese Klausel und die Emittentin kann sich auf diese nicht mehr berufen. Selbst im Falle der Liquidation und Insolvenz ist es den betroffenen Gesellschaften dann nicht mehr möglich, sich auf den qualifizierten Rangrücktritt zu berufen.

Welche Folgen hat das?

Dies hat sehr weitreichende Folgen: Nachrangdarlehen mit qualifizierten Rangrücktrittsklauseln sind keine Einlagen im Sinne des Kreditwesengesetzes (KWG). Für Letztere bedarf es gerade einer Erlaubnis. Qualifizierte Rangrücktrittsklauseln lassen – so auch die BaFin – die unbedingte Rückzahlbarkeit des Darlehens entfallen. D.h.: Die Vereinbarung einer qualifizierten Rangrücktrittsklausel lässt das erlaubnispflichte Einlagengeschäft gerade entfallen. Die Emittentinnen der Nachrangdarlehen UDI Energie Festzins II bis IX und ihrer Kunden beabsichtigten den Abschluss solcher Nachrangdarlehen mit einem qualifizierten Rangrücktritt. Dies folgt aus § 9 der jeweils geschlossenen Vereinbarungen.

Die von den UDI Energie Festzins II bis IX Gesellschaften verwendeten qualifizierten Nachrangklauseln waren bislang nicht Gegenstand einer Entscheidung des Bundesgerichthofes. Die BaFin hat Entscheidungen, die nicht UDI-Emittentinnen betrafen, jedoch zum Anlass genommen, sogenannte Abwicklungsanordnungen gegenüber einigen UDI-Emittentinnen zu erlassen.

Was bedeutet das für die Emittentinnen?

Diese Anordnungen führen faktisch zu einer sofortigen Rückzahlungsverpflichtung bei der jeweiligen Emittentin. Unberücksichtigt bleiben wirtschaftliche Erwägungen, wie z.B., dass die Anlegergelder seitens der Emittentinnen investiert wurden. Die angeordnete Rückzahlung der Anlegergelder ist infolge der Investitionen faktisch nicht möglich, da die Anlegergelder gerade nicht als Guthaben auf einem Bankkonto gebucht sind. Die betroffenen Emittentinnen hatten keine Option – sie mussten Insolvenz anmelden.

Welche Lösungsmöglichkeiten für die Emittentinnen gibt es neben der Insolvenz? Kann die qualifizierte Nachrangklausel nicht geheilt werden?

Wenn ein freiwilliger Schuldenschnitt und eine Neuvereinbarung der Nachrangklausel mit allen Gläubigern nicht gelingt, besteht für die Geschäftsführung zwingend aus rechtlichen Gründen die Notwendigkeit der Insolvenzanmeldung.

Besteht das Problem nur bei UDI-Nachrangdarlehen oder auch bei anderen Marktteilnehmern?

Die BGH-Urteile bezogen sich nicht auf UDI-Nachrangdarlehen. Wir gehen davon aus, dass kaum ein Marktteilnehmer vor 2019 die neuen Anforderungen des BGH erfüllte. Alle Marktteilnehmer haben in Konsequenz der neuen Rechtsprechung bei neuen Emissionen die Formulierungen deutlich verändert. UDI hat seit 2018, also nach diesen BGH-Urteilen, keine neuen Nachrangdarlehen mehr emittiert, sondern auf die immer schon umfangreich regulierten Wertpapiere umgestellt. Auch für die Wertpapiere wurden die Prospekte von den Finanzaufsichten geprüft und gebilligt. Die Wertpapiere beinhalten keine Nachrangklauseln und sind somit nicht von der Problematik betroffen.

Quelle: https://www.udi.de/

Über den Autor

Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht Sascha Borowski

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