Keine Änderung der insolvenzrechtlichen Rangfolge durch Eintritt der Neumasseunzulänglichkeit

Die Verteilungsordnung des § 209 Abs. 1 InsO sieht eine privilegierte Befriedigung der Neumassegläubiger im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO vor. Deren Ansprüche sind vom Insolvenzverwalter bei Fälligkeit vor den Altmasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu berichtigen.

In der Praxis kommt es jedoch immer wieder vor, dass hinsichtlich der Neumasseverbindlichkeiten erneut Masseunzulänglichkeit eintritt („Insolvenz in der Insolvenz“). Dies ist dann der Fall, wenn die Masse unter Berücksichtigung des Vorrangs der Kosten des Insolvenzverfahrens im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht einmal mehr ausreicht, um alle Neumassegläubiger zu befriedigen.

Das Bundesarbeitsgericht hat insoweit unlängst seine bisherige Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen der sogenannten Neumasseunzulänglichkeitsanzeige bestätigt. Danach führt der Eintritt der Neumasseunzulänglichkeit nicht zu einer Änderung der Rangordnung des § 209 Abs. 1 InsO. Die Insolvenzordnung regelt abschließend, dass eine Rangfolgenordnung nur einmal erfolgt. Alle Neumasseverbindlichkeiten sind quotal zu befriedigen (vgl. BAG, Urt. v. 25.08.2022 – 6 AZR 441/21).

Zum Hintergrund

Der beklagte Insolvenzverwalter hat im Laufe des Insolvenzverfahrens zunächst die drohende Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 Abs. 1 S. 2 InsO angezeigt und sich in der Folgezeit auf Neumasseunzulänglichkeit und sodann auf Neu-Neumasseunzulänglichkeit berufen und diese jeweils dem Insolvenzgericht angezeigt.

Der von der Arbeitsleistung freigestellte Kläger hat Annahmeverzugsansprüche, die in den Zeitraum nach der Anzeige der Neumasseunzulänglichkeit des Beklagten fallen, primär mit einer Leistungsklage geltend gemacht. Hilfsweise hat er gestaffelt Feststellung dieser Ansprüche als Masseverbindlichkeit begehrt, die jeweils im Rang vor denjenigen Masseverbindlichkeiten stehen, die bis zu der Neumasseunzulänglichkeitsanzeige begründet worden sind.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Dies im Lichte einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2007, wonach Neumasseverbindlichkeiten durch eine erneute Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht zu Altmasseverbindlichkeiten zurückgestuft werden dürfen (vgl. BGH, Beschl. v. 09.10.2008 – IX ZB 129/07). Folglich, so die Ansicht des Bundesgerichtshofes, begründet die angezeigte Neumasseunzulänglichkeit keine gegenüber § 209 InsO modifizierte Verteilungsordnung unter den Massegläubigern. Ein Wettlauf konkurrierender Neumassegläubiger ist zu vermeiden. Deshalb sind alle Neumassegläubiger nur noch quotal zu befriedigen.

Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers die mit der Leistungsklage verfolgten Ansprüche auf Neumasseverbindlichkeiten abgewiesen und der Feststellungsklage teilweise stattgegeben.

Die Revision des Klägers und die Anschlussrevision des Beklagten hatten vor dem Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg. Der Leistungsklage fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Denn der Neumassegläubiger ist grundsätzlich auf eine Feststellungsklage zu verweisen, wenn nach erfolgter Anzeige der Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO durch den Insolvenzverwalter die neu zu erwirtschaftende Insolvenzmasse nicht zur Deckung der Neumasseverbindlichkeiten ausreicht (vgl. BGH, Urt. v. 03.04.2003 – IX ZR 101/02; BGH, Urt. v. 13.04.2006 – IX ZR 22/05). „Nur so lässt sich eine mit dem das Insolvenzrecht beherrschenden Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger unvereinbare Bevorzugung schnellerer Neumassegläubiger vermeiden“ (BAG, Urt. v. 25.08.2022 – 6 AZR 441/21).

Keine Rangabwertung der Neumasseverbindlichkeit bei erneuter Masseunzulänglichkeit

Im Übrigen hält das Bundesarbeitsgericht an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes fest:

„Durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit nach § 208 Abs. 1 InsO wird die Rangfolge der Massegläubiger abschließend neu nach § 209 InsO geordnet. Tritt eine Neumasseunzulänglichkeit ein, kommt es zu keiner neuen, von der des § 209 InsO abweichenden Verteilungsordnung. Vielmehr befinden sich nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit alle Neumassegläubiger in einer zwingenden Quotengemeinschaft. Können in Folge der weiteren Entwicklung des Insolvenzverfahrens nicht alle Neumassegläubiger voll befriedigt werden, sind ihre Ansprüche quotal zu erfüllen“ (vgl. BAG, wie vor).

Andernfalls würden Verbindlichkeiten, die nach der erneuten Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ein im Gesetz nicht vorgesehener, verbesserter Rang verschafft werden. Die Insolvenzordnung regelt aber abschließend, dass eine Rangfolgeordnung nur einmal erfolgt.

Fazit

Aus den vorgenannten Gründen findet bei erneuter Masseunzulänglichkeit eine Rangabwertung im Sinne von § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht statt. Somit bedarf es weder einer Anzeige der Neumasseunzulänglichkeit noch kommt einer etwaig doch erfolgten und veröffentlichten Anzeige eine rechtliche Wirkung zu.

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Rechtsanwalt Mike Zerbst

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