Kurzarbeit und Insolvenzgeld – eine sinnvolle Kombination in der Krise?

Seit Jahren sinkt die Zahl der Insolvenzen in Deutschland und das, obwohl mit der Covid-Pandemie, der Rohstoffknappheit und den sich hieraus ergebenden Lieferengpässen die Rahmenbedingungen für Unternehmen denkbar schlecht waren und sind. Auch dank der staatlichen Hilfen, zu denen auch die Erleichterungen für den Bezug von Kurzarbeitergeld und die Verlängerung seiner Bezugsdauer zählen, konnten sich die allermeisten Unternehmen über die Krise hinwegretten.

Doch nun wird den Unternehmen mit dem Ukraine-Krieg und der hieraus resultierenden Energiekostensteigerung ein weiterer Knüppel zwischen die Beine geworfen. Mancherorts, insbesondere bei sehr energieintensiven Unternehmen, ist eine Produktion kaum aufrechtzuerhalten, auch, weil die wegen der deutlich höheren Energiekosten an sich anpassungswürdigen Preise so nicht am Markt durchgesetzt werden können.

Wenn ein Unternehmen dann in wirtschaftliche Schieflage gerät und gleichsam nicht produzieren kann, stellt sich die Frage, ob ein Nebeneinander von Insolvenzgeld und Kurzarbeit möglich und sinnvoll ist.

Dazu müssen beide Leistungen hinsichtlich ihres Regelungsinhalts, der Wirkung und ihres Sinns zunächst kurz erläutert werden.

Was ist der Unterschied zwischen Insolvenzgeld und Kurzarbeitergeld?

  • Das Insolvenzgeld ist eine Leistung, die Arbeitnehmern eines insolventen Unternehmens zugutekommt, wenn diese in den drei Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Entgeltausfälle erleiden. Das Insolvenzgeld beträgt 100 Prozent des ausgefallenen Entgelts, allerdings begrenzt auf die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung (West: 7.050 €, Ost: 6.750 €). Anders als die sonstigen Leistungen, die im Dritten Sozialgesetzbuch (SGB III) geregelt sind, wird das Insolvenzgeld nicht gemeinsam von Arbeitgebern und Arbeitnehmern über die Sozialversicherungsbeiträge finanziert, sondern allein von den in die Insolvenzgeldumlage einzahlenden Unternehmen. In Insolvenzverfahren verfolgt das Insolvenzgeld gleich zwei Ziele: Zum einen soll es die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer sichern und das Vertrauen der Arbeitnehmer in deren Erhalt stärken, zum anderen entlastet es die Unternehmen wirtschaftlich zu Beginn des Verfahrens, schont die Masse und stärkt die dringend benötigte Liquidität, die auch für Vorkasse-Zahlungen aufgewandt werden muss.
  • Das Kurzarbeitergeld ist eine Leistung der Agentur für Arbeit, die in Fällen eines unvermeidbaren Arbeitsausfalls das Arbeitsentgelt der Mitarbeiter, denen unverschuldet nicht genügend Arbeit angeboten werden kann, zusichert. An sich würde das Unvermögen des Arbeitgebers, den Arbeitnehmern als Hauptleistungspflicht des Arbeitsvertrages, Arbeit zur Verfügung zu stellen, arbeitsrechtlich zum Annahmeverzug des Arbeitgebers führen. Den Arbeitnehmern bliebe ihr voller Entgeltanspruch erhalten. Vereinbart ein Arbeitgeber aber mit seinem Mitarbeiter (im Arbeitsvertrag) oder mit dem Betriebsrat (in einer Betriebsvereinbarung), dass die Anordnung der Kurzarbeit bei entsprechendem Absinken des Arbeitsentgelts möglich ist, dann kann der Arbeitgeber unter weiteren formalen Voraussetzungen bei der Agentur für Arbeit Kurzarbeitergeld beantragen. Das Kurzarbeitergeld beträgt allerdings lediglich 60 Prozent des abgesenkten Nettoentgelts, bei Arbeitnehmern mit unterhaltspflichtigen Kindern 67 Prozent. Die Lücke wird oftmals noch durch eine vereinbarte Aufstockung durch den Arbeitgeber, zumindest teilweise, geschlossen.

Wird die Arbeitszeit eines Mitarbeiters also um 75 Prozent reduziert, erhält er 25 Prozent seines „normalen“ Entgelts vom Arbeitgeber für die Arbeit, die er schließlich leisten konnte, und von den übrigen 75 Prozent seines eigentlich geschuldeten Entgelts nochmals 60 bzw. 67 Prozent über das Kurzarbeitergeld (zuzüglich etwaiger Aufstockungen). Der Ausfall beträgt mithin die 40 bzw. 33 Prozent des zu drei Vierteln übrigen Entgelts.

Vereinfachtes Rechenbeispiel bei einem kinderlosen Arbeitnehmer ohne Aufstockung des Kurzarbeitergeldes (unterstellt Brutto für Netto)      

Normaler Entgeltanspruch 4.000 €
25-prozentiger Entgeltteil vom Arbeitgeber              1.000 €
Fehlender Betrag 3.000 €
60 Prozent Kurzarbeitergeld 1.800 €
Kurzarbeitergeld + Entgelt durch AG 2.800 €
Differenz 1.200 €

Welche Probleme gibt es bei Insolvenzgeld und Kurzarbeitergeld?

  • Das Insolvenzgeld kann, obwohl es die Entgelte für den Zeitraum des Eröffnungsverfahrens, also die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, absichern soll, erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt und damit noch später erst ausgezahlt werden. Dieses Problem wird in der Praxis leicht überwunden mit der sogenannten Insolvenzgeldvorfinanzierung, im Rahmen derer eine Bank infolge einer arbeitnehmerseitigen Abtretung des Insolvenzgeldanspruchs das Insolvenzgeld in Form eines Darlehens, dessen Kosten (Zinsen und Gebühren) das Unternehmen zu tragen hat, verauslagt.
  • Das Kurzarbeitergeld wird seitens der Agentur für Arbeit auch erst, nachdem die Auszahlung zugunsten der Arbeitnehmer schon fällig war, an den Arbeitgeber ausgekehrt. Tatsächlich ist es daher Praxis, dass der Arbeitgeber zunächst in Vorleistung tritt, mithin den Arbeitnehmern am Ende eines Monats die gekürzten Entgelte (auch das Kurzarbeitergeld) auszahlt, dieses sodann zur Erstattung bei der Agentur für Arbeit beantragt und daraufhin, wenn die Behörde den Antrag bearbeitet hat, von dieser erstattet erhält. Die Zeitspanne der Antragsbearbeitung kann dabei stark, je nach Arbeitsagentur, variieren, teils von zwei Wochen bis zu zwei Monaten. Eine solche Vorauszahlung des Arbeitgebers würde sich aber nicht mit einem Insolvenzverfahren vertragen. Zum einen würde hierdurch die Liquidität belastet, zum anderen würde dies im Hinblick auf einen Insolvenzgeldanspruch den „Ausfall“ vereiteln.

Warum ist die Kombination von Kurzarbeitergeld und Insolvenzgeld dennoch sinnvoll?

Der eigentliche Effekt des Insolvenzgeldes, bei voller Produktivität (auch Überstunden werden über das Insolvenzgeld bezahlt), keine Entgelte zahlen zu müssen (keine Personalausgaben, aber voller Umsatz) wird negiert, wenn sich wegen stillstehender Maschinen einfach keine Produktivität ergibt (keine Personalausgaben, aber auch kein Umsatz). Würde man einen solchen Monat über das Insolvenzgeld laufen lassen, ohne Kurzarbeit, behielten die Mitarbeiter ihren vollen Entgeltanspruch, würden über die Insolvenzgeldvorfinanzierung voll bezahlt, aber der Liquiditätseffekt bliebe aus.

„Fährt“ ein Unternehmen Kurzarbeit, erst recht bei gleichzeitiger Beantragung von Kurzarbeitergeld, spart das Unternehmen Geld. Wenn nur aufgrund vertraglicher Vereinbarungen Kurzarbeit ohne Kurzarbeitergeld durchgeführt wird, schuldet der Arbeitgeber nur das gekürzte Entgelt. Der Entgeltausfall würde sich im Rahmen der Insolvenzgeldvorfinanzierung entsprechend reduzieren. Wenn weniger Insolvenzgeld zur Auszahlung durch die Bank kommt, ist es sodann günstiger im Falle der Verschiebung der Verfahrenseröffnung (sogenanntes Rollieren) den Kurzarbeitsmonat abzulösen, um auf diese Weise in einen Drei-Monats-Zeitraum zu kommen, in dem man eine möglichst hohe Produktivität erreicht und den Insolvenzgeldeffekt komplett ausnutzen kann.

Dies gilt erst recht, wenn gleichzeitig auch noch das Kurzarbeitergeld in Anspruch genommen wird, insbesondere weil das Kurzarbeitergeld nicht an die Arbeitsagentur erstattet werden muss. Das Problem der langwährenden Bearbeitungs- und Erstattungszeit kann durch die Vorfinanzierung des Kurzarbeitergeldes beseitigt werden. Diese Vorfinanzierung wird von einigen Banken, die auch das Insolvenzgeld vorfinanzieren, angeboten.

Folgen am Beispiel

Das Unternehmen A hat einen deutlichen Auftragsrückgang zu verschmerzen. Die Produktion wurde um 75 Prozent heruntergefahren. Seit einigen Wochen ist das Unternehmen in Kurzarbeit, kann aber die restlichen Entgelte absehbar für April nicht mehr zahlen und stellt nach entsprechend guter Beratung einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung. Eine Insolvenzgeldvorfinanzierung wird vorbereitet und eingeleitet, es ist aber absehbar, dass auch der Mai nicht zu einer Auslastung der Produktion führen wird. Die mit dem Betriebsrat vereinbarte Betriebsvereinbarung (BV) sieht vor, dass Kurzarbeit unter der Bedingung der Bewilligung von Kurzarbeitergeld (KuG) durch die Arbeitsagentur steht. Da das Unternehmen das Kurzarbeitergeld nicht verauslagen kann, könnte es jetzt auf einen KuG-Antrag verzichten. Die BV käme dann aber nicht zur Anwendung, Kurzarbeit könnte nicht angeordnet werden, die Arbeitnehmer hätten wegen des Annahmeverzugs des Arbeitgebers einen vollen Entgeltanspruch. Damit würde auch das Insolvenzgeld in voller Höhe geschuldet. Mit dem April und dem Mai würde das Unternehmen zwei der drei Monate des Insolvenzgeldzeitraums „verschenken“.

Anders, wenn der KuG-Antrag gestellt und gleichsam das KuG vorfinanziert würde: Dann würde nur der Teil, der überhaupt noch an Entgelten geschuldet wird, weil er nicht vom KuG abgedeckt ist (also der produktive Teil, am Einzelbeispiel oben 25 Prozent, also 1.000 €, für die ja auch gearbeitet wurde) über das Insolvenzgeld laufen. Würde man nun aus dem April und später aus dem Mai „herausrollieren“, wären die (das seitens der Bank verauslagte Insolvenzgeld betreffenden) Erstattungsbeträge um ein Vielfaches geringer (1.000 € statt 4.000 €) und würden eine günstigere Verschiebung des Insolvenzgeldzeitraums ermöglichen.

Die abgeführten Sozialversicherungsbeiträge sind hierbei gedanklich zu vernachlässigen, weil diese zwar abgeführt würden, aber nach Eröffnung des Verfahrens im Wege der Anfechtung durch den Sachwalter wieder zur Masse gezogen würden.

Alles in allem macht die Kombination von Kurzarbeit (-ergeld) und Insolvenzgeld Sinn, bedarf aber sowohl einer eingehenden Prüfung, insbesondere der Arbeitsverträge, der Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge, als auch einer entsprechenden Vorbereitung.

Über den Autor

Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Sozialrecht, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht Michael Kothes.

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