Die Pflicht zur Durchführung eines M&A-Prozesses in der Eigenverwaltung im Lichte des § 220 Abs. 2 InsO n.F.

Gemäß § 1 InsO dient ein Insolvenzverfahren dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird.

§ 1 InsO eröffnet damit dem Schuldner die Möglichkeit, im Rahmen eines Insolvenzverfahrens im Einvernehmen mit seinen Gläubigern dafür zu sorgen, das Unternehmen zu erhalten und − im Gegensatz zur Liquidation − eine Fortführungslösung zu erarbeiten.

Insbesondere im Rahmen eines Eigenverwaltungsverfahrens besteht jedoch zum Teil Uneinigkeit darüber, wie eine bestmögliche Gläubigerbefriedigung erreicht werden kann. In diesem Zusammenhang wird insbesondere immer wieder die Pflicht thematisiert, parallel zum Insolvenzplanverfahren auch einen sogenannten M&A-Prozess durchzuführen. Dieser Artikel soll insbesondere die Auswirkungen des neu eingeführten § 220 Abs. 2 S. 2 bis 4 InsO auf die Diskussion beleuchten.

  1. Die Vergleichsrechnung im Insolvenzplan, § 220 Abs. 2 S. 2 InsO

Kernstück eines Insolvenzplans ist die sogenannte Vergleichsrechnung, die im darstellenden Teil enthalten ist, und die seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz, kurz: SanInsFoG) nun explizit in § 220 Abs. 2 S. 2 InsO gefordert wird. Darin sind die Auswirkungen des Plans auf die voraussichtliche Befriedigung der Gläubiger darzustellen.

Den Gläubigern soll anhand der Vergleichsrechnung deutlich gemacht werden, dass sie durch den beabsichtigten Insolvenzplan nicht schlechter stehen als bei einer Abwicklung im Rahmen eines Regelinsolvenzverfahrens. Hintergrund hierfür ist das in der Insolvenzordnung verankerte Schlechterstellungsverbot, § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

Bis zur Einführung des § 220 Abs. 2 S. 3 InsO war es üblich, die Liquidation des Unternehmens als Maßstab für die Vergleichsrechnung heranzuziehen. Kritiker dieser Vorgehensweise bemängelten, dass die Gläubiger die Leidtragenden seien und mit niedrigen Planquoten abgespeist würden, während der Unternehmer von einem entschuldeten Unternehmen profitiere.

  1. Fortführungswerte als Vergleichsmaßstab für Vergleichsrechnung, § 220 Abs. 2 S. 3 InsO

Der neu eingeführte § 220 Abs. 2 S. 3 InsO regelt nun im Falle einer im Insolvenzplan vorgesehenen Fortführungslösung, dass für die Ermittlung der voraussichtlichen Befriedigung ohne Plan in der Regel die Fortführung des Unternehmens zu unterstellen ist.

Es sind in der Vergleichsrechnung daher also grundsätzlich Fortführungswerte zugrunde zu legen. Eine Ausnahme hiervon besteht gemäß dem ebenfalls neu eingeführten § 220 Abs. 2 S. 4 InsO, wenn ein Verkauf des Unternehmens oder eine anderweitige Fortführung ausgeschlossen ist.

Beabsichtigt der Schuldner im Rahmen der Vergleichsrechnung Liquidationswerte anzusetzen, muss er nunmehr nachvollziehbar darlegen und glaubhaft machen, dass ein Verkauf oder eine anderweitige Fortführung aussichtlos ist. Eine Glaubhaftmachung ist jedoch nur dann erforderlich, wenn in der Planvergleichsrechnung Liquidationswerte angesetzt werden sollen. Es ist auch nicht Aufgabe des Gerichts zu beurteilen, ob die ermittelten Fortführungswerte zutreffend sind.

  1. Pflicht zur parallelen Durchführung eines M&A-Prozesses gemäß § 220 Abs. 2 S. 4 InsO?

Die Befürworter eines parallel zum Insolvenzplanverfahren durchzuführenden M&A-Prozesses sind der Ansicht, dass auf diese Weise für die Gläubiger eine breitere Vergleichsbasis für die Bewertung einer durch den Schuldner angebotenen Insolvenzplanquote geschaffen wird. Mit Inkrafttreten des SanInsFoG und der damit neu eingeführten § 220 Abs. 2 S. 3, 4 InsO sehen sie sich in ihrer Auffassung bestärkt.

Insbesondere aus der Formulierung „Verkauf des Unternehmens“ im neu eingeführten § 220 Abs. 2 S. 4 InsO wird zum Teil abgeleitet, dass der Gesetzgeber hier indirekt eine Pflicht zur Einleitung eines M&A-Prozesses vorgesehen habe. Zumindest aber lässt sich nach Meinung der Befürworter auf diesem Weg der Marktwert des schuldnerischen Unternehmens testen, der wiederum als Vergleichsmaßstab für die Vergleichsrechnung verwendet werden kann.

In der Praxis ist es daher nicht unüblich, dass Verfahrensbeteiligte bereits im Rahmen des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens parallel die Einleitung eines M&A-Prozesses fordern. Dies ist vor allem dann misslich, wenn das schuldnerische Unternehmen grundsätzlich in der Lage ist, eigenständig erfolgreich aus dem Insolvenzverfahren hervorzugehen.

Dabei existiert eine gesetzliche Verpflichtung zur Durchführung eines „Dual-Track-Verfahrens“ −  anders als oftmals von den Befürwortern suggeriert − nicht. Als Argument wird meist angeführt, dass auch in einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung die Interessen der Gläubiger an erster Stelle stehen. Wenn der eigenverwaltende Schuldner nicht sämtliche Alternativszenarien zur bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger prüfe, könne daher eine Pflichtverletzung mit entsprechender Haftung vorliegen.

Diese Ansicht berücksichtigt jedoch nicht hinreichend das vorrangige gesamtwirtschaftliche Ziel des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (kurz: ESUG) , welches ausweislich der Gesetzesbegründung darin besteht, eine eigenverantwortliche Sanierung durch einen frühzeitigen Insolvenzantrag und die Einführung der vorläufigen Eigenverwaltung (§270b InsO) bzw. des Schutzschirmverfahrens (§ 270d InsO) zu fördern und damit den Erhalt marktfähiger Unternehmen zu sichern.

Der redliche Unternehmer soll dafür „belohnt“ werden, dass weitere Schädigungen von Gläubigern durch Verschleppung der Insolvenz verhindert werden. Diese Intention deckt sich mit dem in § 15a InsO verankerten präventiven Gläubigerschutz.

Würde man nun eine Pflicht zur Durchführung eines M&A-Prozesses unterstellen, wäre diese Absicht ad absurdum geführt. Denn der Unternehmer sähe sich im Falle der Insolvenz einem möglichen Verlust seines Unternehmens ausgesetzt und würde aus Angst davor versuchen, die Einleitung eines Insolvenz-verfahrens um jeden Preis zu vermeiden.

Sofern sich die Frage nach dem Erfolg eines Verkaufs und dem Wert des Unternehmens stellt, kann die Einholung einer fundierten Stellungnahme eines mit dem Verkauf oder der Bewertung von Unternehmen in der Regel befassten Dritten eine sinnvolle Alternative zur Durchführung eines M&A-Prozesses sein.

Hierdurch ließen sich die mit einem solchen Prozess verbundenen Nachteile vermeiden. Gleichzeitig würde das Interesse der Gläubiger an einer realistischen Bewertung des Vermögens und darauf aufbauend auch an einer höheren Quote angemessen berücksichtigt.

Selbst wenn ein Verkauf grundsätzlich denkbar wäre, z. B. weil das Unternehmen über ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell verfügt, kann dieser im Einzelfall nicht interessengerecht sein. Gründe hierfür können z. B. sein:

  • die Kosten des M&A-Prozesses
  • eine befürchtete Verlagerung von Arbeitsplätzen
  • der Vertrauensverlust eines oder mehrerer wichtiger Kunden
  • die Gefahr der Abwanderung wichtiger Mitarbeiter oder
  • die Offenlegung markt- und wettbewerbsrelevanter Daten gegenüber Wettbewerbern

  1. Berücksichtigung der Gläubigerautonomie

Die im Zuge des ESUG erfolgten Modifikationen der Insolvenzordnung waren vor allem durch die Absicht geprägt, die Gläubigerautonomie zu stärken. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der Einführung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Eröffnungsverfahren und dessen weitreichenden Mitwirkungsrechten bei der Auswahl des (vorläufigen) Sachwalters.

Bei der Entscheidung über die parallele Einleitung eines M&A-Prozesses ist daher insbesondere auch die Gläubigerseite zu berücksichtigen. Allerdings beschränkt sich der Stellenwert der Gläubigerautonomie nicht auf diesen Aspekt.

Durch die Änderung des § 220 Abs. 2 InsO dürfte es zukünftig zu einer höheren Planquote für die Gläubiger und damit für den ein oder anderen eigenverwaltenden Schuldner zu Herausforderungen bei der Zahlung der Planquote kommen.

Kann das Unternehmen diese nur gestreckt über einen längeren Zeitraum auszahlen, stellt sich die Frage nach der Übernahme des Finanzierungsrisikos. In der Regel wird der Gesellschafter mangels Alternativen versuchen, die Gläubiger davon zu überzeugen, dass zunächst ein Teil der Quote mit Abschluss des Verfahrens und der Rest dann aus den Erträgen des Unternehmens gezahlt wird. Es ist auch denkbar, dass der Schuldner eine Planquote anbietet, die unter der Quote liegt, die sich aus dem Angebot eines potenziellen Investors ergibt.

Im Rahmen des Abstimmungsprozesses mit den Verfahrensbeteiligten zeigt sich, ob sich entsprechende Mehrheiten für die Annahme eines beabsichtigten Planangebots finden lassen. Letztlich liegt es in der Hand der Gläubiger, ob sie das jeweilige Angebot des Schuldners annehmen. Sollte dies der Fall sein, ist diese Entscheidung von den übrigen Verfahrensbeteiligten in jedem Fall zu akzeptieren.

Fordert die Mehrheit der Gläubiger ein Nachbessern des Angebots oder wird gar ein M&A-Prozess erforderlich, um das Angebot des Schuldners zu validieren oder gegebenenfalls eine bessere Befriedigung zu erzielen, dann ließe sich dies kurzfristig einrichten.

Auf diese Weise würde sowohl dem Interesse der Gläubiger an einer angemessenen Planquote als auch dem Interesse des Gesellschafters am Erhalt des Unternehmens und damit im Ergebnis auch dem Willen des Gesetzgebers in vollem Umfang Rechnung getragen.

Über den Autor

Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht Philipp Wolters

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