Neue Hinweis- und Warnpflichten für steuerliche Berater nach § 102 StaRUG

1. Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement

Mit § 1 des am 1. Januar 2021 in Kraft getretenen Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG) hat der Gesetzgeber in Teil 1 dieses Gesetzes eine allgemeine und rechtsformübergreifende Regelung zur Implementierung einer Krisenfrüherkennung und eines Krisenmanagements bei haftungsbeschränkten Rechtsträgern geschaffen. Die Vorschrift statuiert im Interesse der Rechtsklarheit das bereits geltende Recht in Form von Mindestanforderungen an die Geschäftsleiter. Spezialgesetzliche Regelungen, wie § 91 Abs. 2 AktG (Risikomanagement), bleiben unberührt (§ 1 Abs. 3 StaRUG). Werden bestandsgefährdende Entwicklungen erkannt, müssen gemäß § 1 Satz 2 StaRUG geeignete Gegenmaßnahmen ergriffen und die Überwachungsorgane unterrichtet werden. Die Überwachungsorgane müssen auf die Implementierung eines solchen Systems hinwirken (§ 1 Abs. 1 Satz 3 StaRUG).

2. Frühwarnsysteme

Der vierte und letzte Teil des StaRUG enthält unter der Überschrift „Frühwarnsysteme“ mit den §§ 101, 102 StaRUG zwei Vorschriften, die thematisch zu der vorgenannten Vorschrift des § 1 in Teil 1 passen und diese abrunden:

  • § 101 StaRUG (Informationen zu Frühwarnsystemen) dient der Absicherung der dauerhaften Bereitstellung der von der EU-Richtlinie 2019/1023 vom 20.06.2019, Rn. 22, geforderten Online-Informationsplattform mit gebündelten Informationen über die zur Verfügung stehenden Frühwarnsysteme, die unter www.bund.de vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz zur Verfügung gestellt werden.
  • Nach § 102 StaRUG (Hinweis- und Warnpflichten) haben Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte bei der Erstellung eines Jahresabschlusses für einen Mandanten diesen auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes nach den §§ 17 bis 19 InsO und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist.

Wirklich neu ist diese nun in § 102 StaRUG gesetzlich normierte Hinweis- und Warnpflicht, die auch den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit mit einem nach § 18 Abs. 2 Satz 2 InsO in aller Regel zugrunde zu legenden Prognosezeitraum umfasst, nicht. Denn der BGH hat bereits mit Urteil vom 26.01.2017 (Az. IX ZR 285/14) eine solche Hinweispflicht des Steuerberaters bei der Erstellung von Jahresabschlüssen bejaht. Entsprechende Hinweis- und Warnpflichten sind im Übrigen auch bereits in den Verlautbarungen der Bundesberatersteuerkammer zu den Grundsätzen für die Erstellung von Jahresabschlüssen enthalten. Auch im IDW S7, der die Erstellung von Jahresabschlüssen durch Wirtschaftsprüfer betrifft, lassen sich unter Rn. 78 entsprechende Hinweispflichten ableiten.

Nach der Gesetzesbegründung zum StaRUG ist kein Grund ersichtlich, die vorgenannte Rechtsprechung des BGH isoliert nur für die Erstellungs- und Unterstützungstätigkeiten eines Steuerberaters in das geltende Recht zu übernehmen, da entsprechende Tätigkeiten der Angehörigen anderer Berufsgruppen insoweit vergleichbar sind. Diese gesetzliche Klarstellung erfolgte daher berufsstandübergreifend für sämtliche Berufsangehörige, die mit der Erstellung von Jahresabschlüssen im Rahmen von Mandatsbeziehungen betraut sein können (vgl. § 3 Nr. 1 StBerG).

3. Praktische Umsetzung im Unternehmen und beim Steuerberater

Der Gesetzgeber hat mit § 1 Stabilisierungs- und restrukturierungsgesetz (StaRUG) die Notwendigkeit von Risikofrüherkennungssystemen noch einmal sehr deutlich in das Pflichtenheft des Unternehmers (Geschäftsleitung) geschrieben. Die Aufgabenstellung des Gesetzgebers an die Geschäftsleitung ist nicht neu. Neben den bisher bereits gesetzlich geregelten Pflichten für ein sogenanntes „Frühwarnsystem“ zählt es sicher zu den Kernaufgaben eines verantwortungsvollen Unternehmenslenkers, bestandsgefährdende Risiken frühzeitig zu erkennen und durch geeignete Maßnahmen zu beherrschen. Sehr deutlich formuliert das Gesetz, dass es sich hierbei um eine fortlaufende Verpflichtung handelt, sodass davon auszugehen ist, dass eine einmalige Betrachtung von bestandsgefährdenden Risiken im Rahmen des Jahresabschlusses nicht ausreichen wird.

Man darf annehmen, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung des § 1 StaRUG vom größten anzunehmenden, bestandsgefährdenden Risiko, der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens, ausgegangen ist. Der Beweis, dass die implementierten Risikofrüherkennungssysteme genau dieses Risiko frühzeitig transparent und beherrschbar machen, sollte in einer integrierten Unternehmensplanung abgebildet werden.

Für viele, oft auch mittelständisch geprägte Unternehmer sind Früherkennungssysteme das Merkmal von großen, konzerngesteuerten Controlling-Abteilungen. Der Mittelstand fürchtet ein aufwendiges, teureres und nicht beherrschbares System. Dieser Sorge kann leicht begegnet werden. Der Gesetzgeber formuliert insbesondere den Anspruch, dass das Früherkennungssystem des jeweiligen Unternehmens geeignet sein muss, die bestandsgefährdenden Bedrohungen transparent zu machen, damit die Geschäftsleitung geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen kann. Die Komplexität des im jeweiligen Unternehmen eingesetzten Systems steht daher in direkter Abhängigkeit zu der Komplexität des Unternehmens und seinen Marktleistungen. Auch ein in Papierform geführtes Früherkennungssystem kann u. U. diese Anforderungen erfüllen. Die Digitalisierung der Geschäftsprozesse erlaubt es heute mit vertretbarem Aufwand integrierte Systeme einzusetzen.

Trotz der Skalierbarkeit der Systeme müssen Bestandteile erfüllt sein, damit die Geschäftsleitung den unternehmerischen und gesetzgeberischen Auftrag erfüllen kann:

  • Unternehmensziele und Geschäftsstrategien

Aus definierten Geschäftsstrategien leiten sich Unternehmensziele ab. Es ist eine wesentliche Voraussetzung für alle Steuerungssysteme eines Unternehmens, dass die Geschäftsleitung eindeutig formuliert mit welchen Geschäftsstrategien sie die Unternehmensziele erreichen will. Mit welchen Produkten bzw. Leistungen sollen auf welchen Märkten Umsätze und Renditen erzielt werden? Welche Ressourcen bzw. Techniken sollen hierfür eingesetzt werden? Welche Rollen und Erwartungen haben die Stakeholder etc.? Die klare Formulierung der Unternehmensziele ist nicht zwangsläufig Ausdruck eines umfänglichen und komplexen Zielfindungsprozesses.

  • Risikomanagement-System

Das Problem der wirtschaftlichen Risiken liegt weniger im Risiko selbst als im Umgang mit den Risiken. Dieser lösungsorientierte Umgang fängt bei der Risikoidentifikation an. Geschäftsleitungssitzungen zum Thema der Risikoanalyse beginnen nicht selten eher humoristisch mit dem Hinweis, dass für den Fall, dass uns „der Himmel auf den Kopf fällt“ die größte anzunehmende Bestandsgefährdung auch eingetreten sei. Die konkrete Überlegung, welche Risken bei den konkreten Absatzmärkten (Nachfragerückgang, Preisverfall etc.), den Beschaffungsmärkten (Lieferengpässe, Preissteigerungen etc.) und Produktionsabläufen (Mitarbeiter, Standortbedingungen etc.) auftreten können, zeigt sehr schnell, dass der Unternehmenserfolg nicht nur von abstrakten Risiken bedroht sein kann. Die für das jeweilige Unternehmen relevanten Risiken werden in Form einer Risikobestandsliste dokumentiert und mittels einer Risikobewertung quantifiziert. Diese Risikobewertung kann in Abhängigkeit von der Struktur des Unternehmens und dem jeweiligen Risiko mittels statistischer Methoden erfolgen, sodass Eintrittswahrscheinlichkeiten ermittelt werden können.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Umgang mit identifizierten und quantifizierten Risiken. Im besten Fall können konkrete Maßnahmen zur Risikovermeidung (Alternativlösungen, Versicherungen etc.) gefunden werden. Identifizierte und nicht vollständig vermeidbare Risiken werden im Rahmen der Risikomanagementsystems bewertet und überwacht.

Ein dauerhaftes Monitoring und die Bewertung der für das jeweilige Unternehmen relevanten Risiken erlaubt es mittel- und langfristige Risiken zu erkennen und rechtzeitig geeignete Maßnahmen zum Schutz vor den Folgen dieser Risiken zu ergreifen.

  • Umsatz- und Ertragsplanung

Auf der Basis der Unternehmensziele sowie der Strategien zur Risikobeherrschung kann eine Umsatz- und Ertragsplanung für das Unternehmen erstellt werden. Um dem Anspruch des Gesetzgebers an diese Planung (drohende Zahlungsunfähigkeit) gerecht zu werden, ist ein Planungshorizont von mindestens 24 Monaten vorzusehen. Die Planung sollte auf Monatsbasis erfolgen. In der Ertragsplanung des Unternehmens werden die verschiedenen Teilplanungen (Umsatz-, Investitions-, Personalkosten-, Fixkostenplanung etc.) zusammengefasst. Die auf diesem Weg erstellte Ertragsplanung dient wiederum als Basis für eine Bilanzplanung. Es bietet sich in der digitalisierten Welt an, im Weg einer integrierten Unternehmensplanung die Bestandsdaten des Rechnungswesens mit den Ergebnissen der jeweiligen Teilplanungen zu verbinden. Die meisten Buchhaltungssysteme bieten heute diese Integration in den Standard-Programmen an.

Die integrierte Ertragsplanung ist ein zentrales Steuerungswerkzeug für die Geschäftsleitung. Neben der Überprüfung, ob die internen Ertragsziele unter Berücksichtigung der Risiken und Teilplanungen im Planungshorizont erreicht werden können, lassen sich bestandsgefährdende Umstände frühzeitig erkennen. Diese frühzeitige Transparenz, verbunden mit den Gegenmaßnahmen der Geschäftsführung und der rechtzeitigen Information der Aufsichtsorgane, war das Ziel des Gesetzgebers.

  • Liquiditätsplanung

Bei Unternehmen, die eine integrierte Unternehmensplanung einsetzen, stellt die Liquiditätsplanung eine Teilplanung dar, die sich aus den v. g. Planungen teilweise ableiten lässt. Insbesondere bei der Liquidität ist der Planungshorizont sehr wesentlich. Für die Beurteilung, ob das Unternehmen eine drohende Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 18 InsO bevorsteht, muss der Planungshorizont mindestens 24 Monate umfassen.

Neben dem mittelfristigen Ausblick der Liquiditätsentwicklung zählt es sicher zu den Kernaufgaben einer Geschäftsleitung, die Liquiditätsentwicklung auch kurzfristiger (Planungshorizont drei bis sechs Monate) zu steuern und eine mögliche Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 InsO zu erkennen. Hierzu empfiehlt es sich eine Detailplanung aller Ein- und Auszahlungen auf Wochenbasis zu erstellen.

Der Nachweis, dass das größte anzunehmende Risiko, die Illiquidität, weder eingetreten ist noch im Planungshorizont droht, ist eine kurz- und mittelfristige Liquiditätsplanung.

 4. Fazit

Wenn es der Geschäftsleitung eines Unternehmens gelingt, ein auf die Komplexität des Unternehmens ausgerichtetes Frühwarnsystem zu implementieren, welches die wesentlichen Bestandteile (Geschäftsplanungen, Risikosteuerung und eine möglichst integrierte Unternehmensplanung) aufweist, so verfügt das Unternehmen über ein effektives Steuerungswerkzeug für die eigenen Zielsetzungen und erfüllt gleichzeitig die Anforderungen des § 1 StaRUG. Für die Steuerberater, die diese Systeme für die Unternehmen häufig erstellen und pflegen, hat der Gesetzgeber die Hinweispflichten auf bestandsgefährdende Entwicklungen noch einmal verschärft.

Im Falle einer späteren Insolvenz wird ein Insolvenzverwalter prüfen, ob der Steuerberater seinen Hinweis- und Warnpflichten nachgekommen ist und diesen ggf. in Haftung nehmen. Die Verletzung der Pflichten nach § 102 StaRUG begründet einen Schadensersatzanspruch des Mandanten gegenüber dem Steuerberater bzw. Berufsträger (so bereits BGH, Urt. v. 26.01.2017 – IX ZR 285/14). Um eine diesbezügliche Haftung zu vermeiden, ist jedem steuerlichen Berater angeraten, diesen Hinweis- und Warnpflichten sorgfältig nachzukommen und zu dokumentieren.

Alfred Kraus, Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht
Gastautor: Andreas Schmieg, Geschäftsführer, plenovia GmbH

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