Anforderungen des StaRUG an Krisenfrüherkennungssysteme

Was ist StaRUG?

Im Zuge der Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes, hier namentlich des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs und Rechtswesens, verabschiedete die Europäische Union Mitte 2019 eine Richtlinie über einen präventiven Restrukturierungsrahmen, die alle Mitgliedstaaten dazu verpflichtete, ein außerinsolvenzliches, strukturiertes Sanierungsverfahren im jeweiligen nationalen Recht zu implementieren.

Mit dem Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung (ESUG) verfügt Deutschland bereits über ein derartiges Verfahren, dessen Ablauf aber innerhalb eines förmlichen Insolvenzverfahrens verortet ist. So bestand Handlungsbedarf, und der deutsche Gesetzgeber schuf zum 01. 01.2021 mit dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) ein neues Verfahren, dass es Unternehmen und Unternehmern ermöglicht, sich außerhalb eines Insolvenzverfahrens durch mehrheitliche Zustimmung einbezogener Gläubiger wirtschaftlich zu sanieren.

Risikomanagement und StaRUG

Passend für ein präventives, somit vorbeugendes Verfahren beginnt das StaRUG an prominenter Stelle, nämlich in § 1 mit einer Vorschrift zu Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement. Danach obliegt es der Unternehmensleitung,

– fortlaufend über bestandsgefährdende Entwicklungen zu wachen,

– bei Erkennen solcher Krisenanzeichen geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen und

– die Überwachungsorgane darüber unverzüglich zu unterrichten.

Die an der Erstellung von Jahresabschlüssen Beteiligten werden ganz am Ende des neuen Gesetzes in § 102  StaRUG gleich mit in die Verantwortung genommen.  Damit ist das StaRUG quasi eingerahmt und umschlossen vom primären Ziel jeglichen Risikomanagements, nämlich durch Implementierung geeigneter Warnindikatoren relevante Risiken so frühzeitig zu erkennen, dass es für geeignete Gegenmaßnahmen noch nicht zu spät ist und mit deren pflichtgemäßen Ergreifung die Krise abgewendet und eine Insolvenz vermieden werden kann.

Was bedeutet StaRUG für das Risikomanagementsystem?

In welcher Weise die Krisenfrüherkennung des § 1 StaRUG in das gesamte Risikomanagementsystem eines Unternehmens einzuordnen ist, wird daran deutlich, dass es sich bei den im Gesetz zitierten bestandsgefährdenden Risiken stets um insolvenzgefährdende Risiken handeln muss. Das heißt, nur solche Risiken im Sinne des StaRUG sind relevant, die sich – gleichgültig ob unerkannt oder unbehandelt – akut existenzgefährdend auf das Unternehmen auswirken. Und dies können nur solche sein, die dazu geeignet sind, eine Insolvenzreife auszulösen, also einen Insolvenzgrund zu verwirklichen.

StaRUG meets Insolvenzordnung

Die zum 01.01.1999 in Kraft getretene Insolvenzordnung kennt mit der Zahlungsunfähigkeit, der Überschuldung sowie der drohenden Zahlungsunfähigkeit drei Insolvenzgründe, die sich zunächst dadurch unterscheiden, dass die Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung eine Insolvenzantragspflicht nach sich ziehen, deren Nichtbeachtung für die Geschäftsleitung sowohl zivil- als auch strafrechtliche Haftungsansprüche begründet.

Bei dem dritten Insolvenzgrund der nur drohenden Zahlungsunfähigkeit besteht keine Antragspflicht, sehr wohl aber das Recht, bereits ein Insolvenzverfahren zu beantragen.

Nach § 17 InsO ist ein Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht mehr in der Lage ist, die fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Stichtagsbezogen werden sämtliche fälligen und überfälligen Verbindlichkeiten den an diesem Tag – und nur an diesem Tag – zur Verfügung stehenden freien Mittel gegenübergestellt. Dabei drückt die Rechtsprechung bei einer 10-prozentigen Unterdeckung noch die Augen zu. Bei einer größeren Abweichung ist diese Übung nochmals perspektivisch über einen Dreiwochenzeitraum zu wiederholen. Besteht auch dann noch eine über 10 Prozent liegende Unterdeckung, liegt eine insolvenzrelevante Zahlungsunfähigkeit vor. Dem Schuldner ist nachgelassen, dieses Liquiditätsloch innerhalb von 3 Wochen nachhaltig zu stopfen, sofern konkrete Aussichten bestehen, dass dies gelingen kann.

Die Beurteilung der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO hat einen wesentlich großzügigeren Betrachtungszeitraum von 24 Monaten, wobei die Übung dieselbe ist. Drohend zahlungsunfähig ist derjenige Schuldner, dessen planerische Mittel innerhalb der folgenden 24 Monaten nicht mehr dazu ausreichen, die planerischen Verbindlichkeiten wenigstens zu 90 Prozent zu decken.. Es ist im Grunde überflüssig zu betonen, dass dies in hohem Maße spekulativ und ein Blick in die vielzitierte Glaskugel ist. Kritiker dieses langen Prognosezeitraums verweisen darauf, dass jeder sich in eine drohende Zahlungsunfähigkeit planen könne, wenn er denn wolle …

Über den Insolvenzgrund der Überschuldung schließlich dürften in dessen Beurteilung die meisten Missverständnisse und Fehldeutungen bestehen. Die liegt an der trügerischen Formulierung in § 19 InsO, wonach Überschuldung vorliegt, wenn das Vermögen des Schuldners die Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Dieser Wortlaut legt zunächst einen Blick in die Bilanz nahe, wo Vermögen und Verbindlichkeiten in der Regel verlässlich abgebildet sind. Diese Vorgehensweise ist aber entgegen selbst in Fachkreisen weitverbreiteter Ansicht falsch. Im ersten Schritt geht es allein um die Frage des Vorliegens einer positiven Fortbestehensprognose. Liegt diese vor, schließt dies eine insolvenzrelevante Überschuldung von vorneherein aus. Liegt diese nicht vor, ist eine Liquidation des betreffenden Unternehmens unter Ansatz von Zerschlagungswerten zu unterstellen, womit in aller Regel eine insolvenzrelevante Überschuldung gegeben ist. Es hängt somit entscheidend von der Frage der Fortbestehensprognose ab, und dies wiederum ist eine reine Liquiditätsbetrachtung (!), und zwar über einen Prognosezeitraum von 12 Monaten, was nichts anderes bedeutet, als dass ein Unternehmen, das nicht heute für jedenfalls 12 Monate durchfinanziert ist, in aller Regel heute überschuldet ist. Dem Management sind sodann bis zu maximal 6 Wochen zugestanden, diese Unterdeckung zu beseitigen, sprich die planerische Lücke durch tatsächlich bereits ergriffene bzw. verwirklichte oder aber konkret geplante und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch zu realisierende Maßnahmen zu schließen.

§ 1 StaRUG als Frühindikator

In Ansehung dessen lässt sich nunmehr der Krisenfrüherkennungsparagraph 1 StaRUG in jedes Risikomanagementsystem eines Unternehmens ohne Weiteres einbetten, dass nämlich die Mindestanforderung an jegliches System das permanente Vorhalten einer 12-Monats-Liquiditätsplanung ist. Um eine auskömmliche Liquidität stets über diesen Planungszeitraum abzubilden, muss es sich um eine rollierende bzw. revolvierende Planung handeln. Das bedeutet, die Unternehmensleitung muss jederzeit zu beurteilen in der Lage sein, wie sich die Liquidität des Unternehmens aufgrund seriöser, realistischer und verifizierter Planung in den kommenden 12 Monaten entwickelt.

Aufgrund der mit dem StaRUG im Jahr 2021 eingeführten konkreten Prognosezeiträume für die Beurteilung einer etwaigen Insolvenzreife ist die 12-Monats-Liquiditätsplanung zur Königsdisziplin der Krisenfrüherkennung und des Risikomanagements geworden. Und wer noch einen Schritt weitergehen will, hält gar eine laufende Liquiditätsplanung über 24 Monate vor, um auch das Vorliegen einer etwaigen drohenden Zahlungsunfähigkeit gem. § 18 InsO im Auge zu behalten. Denn auch eine solche birgt bereits bestandsgefährdende Risiken, die ein Gegensteuern des Managements erfordern und verlangen. Je früher eine sich abzeichnende Krise erkannt wird, desto größer ist der Handlungsspielraum und desto vielfältiger sind die Handlungsoptionen. Und dies ist gelebtes Risikomanagement.

Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlich in Die VersicherungsPraxis 10/2024.

Dr. Utz Broemmekamp

Über den Autor

Geschäftsführer, Partner, Rechtsanwalt Dr. Utz Brömmekamp

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