Überschuldung: Der unterschätzte Insolvenzgrund

In den letzten Jahren sind vermehrt staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen Insolvenzverschleppung festzustellen.

Gemeinhin wird die Insolvenzantragspflicht bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit gesehen, die im Regelfall dann vorliegt, wenn die freien liquiden Mittel (das sind freie Banklinien und Cash) die fälligen Verbindlichkeiten um mehr als 10 Prozent unterschreiten (sog. 10-Prozent
-Schwelle).

Die Überschuldung wurde demgegenüber als nicht besonders relevant angesehen, da selbst bei eingetretener Überschuldung, die in der Regel dann vorliegt, wenn die Passiva nach Auflösung der stillen Reserven die Aktiva übersteigen, eine positive Fortführungsprognose ausreicht, um der Antragspflicht zu entgehen.

Unter Berücksichtigung der besonderen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie gibt es seit dem 01.01.2021 Korrekturen bei den Insolvenzantragsgründen. Dabei kommt es entscheidend auf die Differenzierung zwischen Fortbestehens- und Fortführungsprognose an.

Ist ein Unternehmen überschuldet und besteht keine positive Fortbestehensprognose, muss es innerhalb von 6 Wochen einen Insolvenzantrag stellen. Überschuldung bedeutet grundsätzlich, dass die Verbindlichkeiten nach Auflösung stiller Reserven das Vermögen übersteigen. Bei der Fortbestehensprognose handelt es sich um eine reine Liquiditätsbetrachtung, auf die dauerhafte Überlebensfähigkeit kommt es nicht an.
In diesem Fall spricht man von einer Fortführungsprognose.

Grundsätzlich gilt: Ist das Unternehmen innerhalb der nächsten 12 Monate drohend zahlungsunfähig, müssen die Vermögenswerte des Unternehmens zu Zerschlagungsgesichtspunkten bewertet werden. Ist das Unternehmen dann überschuldet, ist es auch antragspflichtig. Ist das Unternehmen dann nicht überschuldet, besteht keine Antragspflicht. Wird es erst ab dem 13. Monat zahlungsunfähig, ist es nicht antragspflichtig. Auf eine Bewertung der Vermögenswerte aus Zerschlagungsgesichtspunkten kommt es hierbei nicht an.

Maßgeblich sind immer die folgenden Monate ab dem Tag der Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit.

Die Neufassung des § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO hat folgenden Wortlaut:

„Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen in den nächsten 12 Monaten überwiegend wahrscheinlich.“

Dies kann auch durch einen Vergleich nach StaRUG oder ein IDW S6-Gutachten belegt werden, wenn dessen Annahme und Bestätigung nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. In diesem Fall liegt keine Überschuldung i. S. d. § 19 Abs. 2 InsO vor, so dass z. B. der Zugang zum Restrukturierungsrahmen gegeben ist.

Wird das Unternehmen voraussichtlich nach 12 Monaten, aber vor Ablauf von 24 Monaten zahlungsunfähig, kann es einen Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit stellen, muss es aber nicht.

Tritt die Zahlungsunfähigkeit voraussichtlich erst später ein, entfällt die Berechtigung, einen Insolvenzantrag zu stellen. Es darf dann auch kein Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt werden.

Bei der Überschuldungsprüfung sind die Verbindlichkeiten, die zum Stichtag der Überschuldungsprüfung bereits bestehen, sowie Rückstellungen für Verbindlichkeiten, die bei insolvenzfreier Liquidation voraussichtlich entstehen würden, zu passivieren.

Demzufolge sind auch solche Abwicklungskosten zu passivieren, die bei insolvenzfreier Liquidation voraussichtlich entstehen würden. Dazu gehören insbesondere

• die auslaufenden Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, z. B. aus Arbeits- und Mietverhältnissen
• Verwertungskosten
• Rechnungslegungs- und Steuerberatungskosten
• Notar- und Handelsregistergebühren

Achtung: Zu den Auslaufverbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen zählen auch künftige Sozialplanverbindlichkeiten, wenn das außergerichtliche Liquidationskonzept sozialplanpflichtige Betriebsänderungen vorsieht. Die Sozialplanbegrenzungen des § 123 InsO finden dabei keine Anwendung, sondern es ist ein Sozialplan zugrunde zu legen, wie wenn er ohne Insolvenz abgeschlossen würde. Durch die Passivierung dieser Verbindlichkeiten wird die Überschuldung bei Bewertung der Aktiva unter Liquidationsgesichtspunkten und damit die Insolvenzantragspflicht wahrscheinlicher.

Das soll an folgendem Beispiel noch einmal verdeutlicht werden:

Die X-GmbH produziert Autoteile und beschäftigt 1.000 Mitarbeitende. Die produzierten Teile sind zu 80 Prozent für den Export in die USA bestimmt. Aufgrund der von der Trump-Administration angekündigten Zölle wird mit einem Umsatzeinbruch von 30 Prozent gerechnet. Durch die voraussichtlich eintretenden Verluste wird das Unternehmen nach interner Planung in etwa 10 Monaten zahlungsunfähig sein. Das Eigenkapital beträgt derzeit 2 Mio. Euro. Tragfähige Gegenmaßnahmen sind aktuell nicht erkennbar.

Folglich müssen die Aktiva zu Zerschlagungsgesichtspunkten bewertet werden, was zu einer Abwertung des Eigenkapitals von 1 Mio. € führen würde. Darüber hinaus muss eine insolvenzfreie Liquidation unterstellt werden, was bedeutet, dass 1.000 Mitarbeitende zu kündigen wären und ein Sozialplan zu dotieren ist. Dadurch werden weitere Verluste von mindestens 3 Mio. Euro entstehen, was prognostisch zu einer Überschuldung führt. Das Unternehmen hat bestenfalls noch 6 Wochen Zeit, um gegenzusteuern und entweder einen Insolvenzantrag zu stellen oder belastbare Gegenmaßnahmen zur Abwendung der Zahlungsunfähigkeit einzuleiten.

Unterlässt der Geschäftsführer/Vorstand den Insolvenzantrag, kann er wegen Insolvenzverschleppung belangt werden. Dies beinhaltet neben strafrechtlichen Konsequenzen (§ 15a Abs. 4 und Abs. 5 InsO) auch eine persönliche Haftung, d. h. es kommt zur Aufhebung der Haftungsbeschränkung für Geschäftsführer oder den Vorstand (und im Falle der Führungslosigkeit für die Gesellschafter der GmbH bzw. den Aufsichtsrat der AG). Handelt der Verpflichtete fahrlässig, so droht ihm Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, haftet er vorsätzlich, sogar bis zu drei Jahren.

Fazit

Besteht der Verdacht, dass das Unternehmen überschuldet sein könnte, z. B. weil ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag in der Bilanz ausgewiesen ist oder die Zahlungsunfähigkeit droht, so ist unverzüglich ein sog. Überschuldungsstatus zu erstellen. Für den Status werden die Vermögensgegenstände des Unternehmens losgelöst von den Bewertungsvorschriften des Handelsgesetzbuchs (HGB) nach insolvenzrechtlichen Regelungen zu Liquidationswerten unter Aufdeckung stiller Reserven ermittelt und den Schulden gegenübergestellt. Ergibt diese Prüfung eine Unterdeckung (negatives Reinvermögen), besteht eine Insolvenzantragspflicht, wenn gleichzeitig festgestellt wird, dass keine positive Fortbestehensprognose existiert. Dies ist nach allgemeiner Auffassung dann der Fall, wenn nach Auswertung der Finanzplanung eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent besteht, dass die Gesellschaft im Prognosezeitraum von grundsätzlich 12 Monaten ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen kann. Wegen der erheblichen Bewertungsunsicherheiten und zur Vermeidung der eigenen Haftung sollte für die Erstellung des Überschuldungsstatus immer ein Sachverständiger wie z. B. ein Wirtschaftsprüfer, Steuerberater oder ein auf Insolvenzverfahren spezialisierter Rechtsanwalt beauftragt werden.

Robert Buchalik

Über den Autor

Geschäftsführer, Partner, Rechtsanwalt Robert Buchalik

Pressemitteilungen

Veranstaltungen

Newsletter

Bücher

Studien & Leitfäden

Videos