Verjähren Anfechtungsansprüche bei grober Fahrlässigkeit des Insolvenzverwalters?

Ausgangssituation

Die Verjährung von Anfechtungsansprüchen richtet sich nach den Regelungen für die regelmäßige Verjährung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Danach beginnt die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB frühestens mit dem Ende des Jahres, in dem der Anfechtungsanspruch entstanden ist. Dieser entsteht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Zusätzlich setzt § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB voraus, dass der Insolvenzverwalter von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Anfechtungsgegners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Dabei liegt eine grob fahrlässige Unkenntnis vor, wenn der Insolvenzverwalter besonders schwer und auch subjektiv vorwerfbar seine Ermittlungspflichten vernachlässigt. Das kann der Fall sein, wenn der Insolvenzverwalter einem sich aufdrängenden Verdacht für eine anfechtbare Handlung nicht nachgeht oder auf der Hand liegende, erfolgversprechende Erkenntnismöglichkeiten nicht ausnutzt.

Da weder die Ermittlungspflichten des Insolvenzverwalters ausdrücklich gesetzlich geregelt sind noch die Abgrenzung der groben zur einfachen Fahrlässigkeit immer trennscharf möglich ist, birgt die gegenwärtige Regelung erhebliches Streitpotenzial. So wies der BGH mit Beschluss vom 15.12.2016 – IX 224/15 darauf hin, dass eine grob fahrlässige Unkenntnis des Insolvenzverwalters von Anfechtungsansprüchen noch nicht anzunehmen sei, nur weil diese Ansprüche „aus der Buchhaltung der Schuldnerin ohne weitere Ermittlungen hätten festgestellt werden können.“

Neue Rechtsprechung

Das OLG Brandenburg nuancierte hierzu nun mit Urteil vom 21.07.2021 – 7 U 134/19 die Sorgfaltsanforderungen und Ermittlungsobliegenheiten des Insolvenzverwalters.

In dem Streitfall hatte der Insolvenzverwalter Ende 2017, und damit acht Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Anfechtungsansprüche klageweise geltend gemacht. Mit ihrer Berufung vor dem OLG sprach die erstinstanzlich unterliegende Beklagte allein die Frage der Verjährung an: Ohne grobe Fahrlässigkeit habe der Insolvenzverwalter spätestens im Jahre 2010 von allen anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt. Der Insolvenzverwalter habe ihre Forderungsanmeldung bei der Prüfung von Anfechtungsansprüchen heranziehen müssen, die ihm alle Voraussetzungen eröffnet hätten, die Anfechtungsansprüche geltend zu machen. Die erst Ende 2017 eingereichte Klage habe die dreijährige Verjährungsfrist somit nicht hemmen können, da Verjährung bereits mit Ablauf des Jahres 2012 eingetreten sei.

Das OLG Brandenburg folgte der Ansicht der Beklagten. Die Anforderungen an den Insolvenzverwalter sind hoch. Sie leiten sich aus seiner Berufsqualifikation ab. „Erkenntnismöglichkeiten und daraus folgende Ermittlungsobliegenheiten können sich aus der Prüfung der Papiere und Bücher des Schuldners ergeben, die der Insolvenzverwalter strukturiert und geordnet vorzunehmen hat. In einem umfangreichen Verfahren genügt der Insolvenzverwalter den Sorgfaltsanforderungen, wenn er die Suche nach etwaigen Anfechtungsansprüchen strukturiert, indem er zunächst die Buchhaltung der Schuldnerin nach inkongruenten Zahlungen im letzten Monat vor Antragstellung insbesondere an die institutionellen Gläubiger durchforstet, sodann Prüfung auf Zahlungen in den letzten drei Monaten vor Antragstellung ausweitet und anschließend immer weiter in die Prüfung zeitlich zurückgeht.“

Mit Blick auf diese Anforderungen sind dem Insolvenzverwalter zwei schwerwiegende Unterlassungen vorzuhalten. Er hätte zum einen die Forderungsanmeldungen gründlicher auswerten müssen und er hätte sich zudem einen besseren Überblick über die Bewegungen auf allen Bankkonten in den besonders anfechtungsrelevanten Zeiträumen des letzten Monats und der letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag verschaffen müssen. Dies unterlassen zu haben, war grob fahrlässig. Denn der Insolvenzverwalter hat solche Ermittlungsquellen auszuschöpfen, um an die notwendigen Erkenntnisse zu gelangen.

Fazit

Die Leitlinien des OLG Brandenburg sind für die Praxis hilfreich, geben sie doch eine Prioritäten-Rangfolge vor, an der ein Insolvenzverwalter sich zu orientieren hat. Insolvenzgläubiger wiederum können unbilligen „Verlängerungen“ der dreijährigen Verjährungsfrist zumindest dann aussichtsreich mit der Einrede der Verjährung entgegentreten, wenn die Forderungsanmeldungen Anhaltspunkte offenbaren, „die auf anfechtbare Rechtsgeschäfte hinweisen oder die zu Nachforschungen auf Gebieten veranlassen müssen, die aus den bislang gesichteten Geschäftsunterlagen nicht deutlich geworden sind.“

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Rechtsanwalt Mike Zerbst

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