Frühzeitige Insolvenzantragstellung oder Insolvenzverschleppungshaftung

Die Insolvenz ist für viele Unternehmer nach wie vor ein Makel und wird immer noch viel zu selten als Chance begriffen. Mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 1. März 2012 will der Gesetzgeber die Unternehmen zu einer möglichst frühzeitigen Insolvenzantragstellung motivieren. Er bietet dem Unternehmen mit der Planinsolvenz in Eigenverwaltung Optionen zum Erhalt des Unternehmens mit denen in der Regel eine Liquidation oder Veräußerung im Wege eines Asset Deals verhindert werden kann. Obwohl das Verfahren nahezu rechtssicher gestaltet werden kann, werden in einem Erstgespräch vom betroffenen Unternehmer fast immer die gleichen Bedenken geäußert. Die Sorge um den Verlust an Reputation blockiert häufig die Einleitung schon rechtlich erforderlicher Schritte. Wenn auch die Kenntnisse über die Möglichkeiten einer Planinsolvenz in Eigenverwaltung eher gering sind, so eint doch die allermeisten Betroffenen das vermeint­ liche Wissen um die Risiken einer Insolvenz.

Ein Unternehmer, der in einem Erstgespräch über die Möglichkeiten einer Planinsolvenz in Eigenverwaltung informiert wird, äußert meist nachfolgende Bedenken

1. Die Lieferanten werden abspringen, weil sie in dem Verfahren Geld verlieren. Wenn wir kein Material erhalten, können wir keine Leistung erbringen

2. Die Kunden werden nicht mehr zum Unternehmen stehen, weil sie durch die Insolvenz das Vertrauen in das Unternehmen verlieren. Wenn aber keine Kunden vorhanden sind, wird das Unternehmen auch keinen Umsatz machen.

Die beiden Bedenken sind jedoch völlig unbegründet und wir können anhand einer Vielzahl von Beispielen belegen, dass diese Einwände nicht zum Tragen kommen.Lieferanten haben fast immer ein Interesse daran, das Unternehmen weiterhin zu beliefern, weil sie sich ansonsten einen neuen Absatzkanal suchen müssten. Das ist mit großem Aufwand und oft erheblichem Ertragsverlust verbunden. Natürlich verliern Lieferanten in dem laufenden Verfahren Geld. Das ist unschön und führt zunächst nicht zu einer Verstärkung der Vertrauensbasis. Wird dem Lieferanten aber überzeugend dargelegt, dass das plansanierte Unternehmen in der Zukunft über ausreichend Liquidität verfügt, um die Lieferantenrechnungen ordnungsgemäß bezahlen zu können, und darüber hinaus eine Eigenkapitalquote aufweist, die nicht mehr negativ ist, sondern sich in deutlich positivem Bereich bewegt und damit sichergestellt ist, dass das Unternehmen in Zukunft ein sicherer und zahlungskräftiger Kunde wird, lässt sich ein Lieferant oft problemlos davon überzeugen, dem Unternehmen weiter mit Lieferungen zur Verfügung zu stehen. Meist erfolgt die in den ersten Wochen nur gegen Vorkasse. Das ändert sich jedoch im Laufe des Verfahrens, denn mit zunehmendem Vertrauen des Lieferanten in die Zahlungsfähigkeit des Kunden wird der Lieferant auch zunehmend auf Zahlungsziele umstellen, zumal das Vorkasseverfahren für ihn eine äußerst umständliche Angelegenheit ist.

Der Lieferant hat jedenfalls kein Interesse daran, sich neue Absatzkanäle zu schaffen, denn hier steht er im Wettbewerb mit Dritten, muss oft schlechtere Zahlungskonditionen akzeptieren, weil der Wettbewerb dann oft nur noch über den Preis funktioniert und manchmal sogar vorab Listungsgebühren, wie im Einzelhandel üblich, bezahlen muss. Auf jeden Fall ist es für den Lieferanten wenig attraktiv, sich auf diese Art und Weise neue Kunden suchen zu müssen. Macht er es aber nicht, kann der Ausfall seines Kunden für ihn noch erheblichere Auswirkungen haben, als der bloße Einmalverlust. Möglicherweise gerät er jetzt selbst in Schwierigkeiten und muss allein deswegen Sanierungsmaßnahmen ergreifen. Ein plansaniertes, mit Liquidität gestärktes und entschuldetes Unternehmen als neuer Kunde ist deshalb für ihn wesentlich attraktiver.

Sollte der Lieferant ausnahmsweise nicht überzeugt werden können, ist immer noch das Ausweichen auf andere Lieferanten möglich. Denn warum sollte ein neuer Lieferant nicht gegen Vorkasse liefern? Im Übrigen ein Argument, das natürlich auch für den betroffenen Lieferanten gilt. Denn er kann so risikolos beobachten, ob sich sein Kunde tatsächlich so, wie von diesem prognostiziert, entwickelt.

Ähnlich ist das Kundenverhalten einzuschätzen. Auch der Kunde wird die Insolvenz nicht als Negativfaktor werten, sondern möglicherweise sogar als überzeugende unter- nehmerische Leistung, wenn ihm erklärt wird, mit welcher Methodik die Krise in Eigenregie bewältigt wird. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Insolvenz in Eigenregie gerade nicht zu Negativreaktionen beim Kunden führt, sondern eher zu positivem Zuspruch. In der Regel ist das Verfahren dem Kunden noch unbekannt, deswegen empfiehlt es sich ebenso, wie beim Lieferanten, das Verfahren unter Zugrun- delegung von Planbilanz sowie Plangewinn und Planverlust- rechnung mit der Unterstützung des Beraters zu erläutern. Dies wird dem Kunden verdeutlichen, mit welcher Profes- sionalität der Schuldner an das Verfahren herangeht.

Das Vertrauen des Kunden in die Zukunft des Unternehmens wird wesentlich gestärkt. Manchmal macht es sogar Sinn, den Kunden schon Tage vor der geplanten Antragstellung mit ins Vertrauen zu ziehen. Dies gilt insbeson- dere dann, wenn eine gewisse Abhängigkeit des Kunden vom potenziellen Insolvenzschuldner besteht. Das kann bei laufenden Projekten oder dann der Fall sein, wenn der Kunde von seinem Lieferanten wichtige Bauteile bekommt, die nicht kurzfristig anderweitig beschafft werden können. Diese Abhängigkeit ist regelmäßig in der Automobilindustrie vorzufinden. Der Hersteller greift immer auf besonders geprüfte Teile zurück. Das ist zwingend notwendig, wie die trotzdem ständig stattfindenden Rückrufaktionen, deren Kosten für die Hersteller oft in die Milliarden gehen, eindrucksvoll  belegen.

Vor diesem Hintergrund ist der Kunde oft in Anbetracht der sich anbahnenden Insolvenz bereit, liquiditätsstützende Maßnahmen zu ergreifen. Am ehesten ist dies durch eine Verkürzung der Zahlungsziele möglich, was dem Unternehmen auch im Vorfeld der Insolvenz schon erhebliche Zusatzliquidität bescheren kann. Nicht selten ist der wichtige Kunde eine der Ursachen für das Insolvenzrisiko, weil die Deckungsbeiträge, die mit ihm erzielt werden, nicht ausreichen, um sämtliche Kosten zu decken. Gelingt es dem Insolvenzschuldner dies transparent zu machen, sind auch Verlustübernahmen durch den Kunden denkbar.

Das setzt aber eine enge und frühzeitige Einbindung des Kunden voraus, der entsprechend eng während der gesamten Verfahrens, möglicherweise auch als Gast im Gläubigerausschuss einzubinden ist. Ganz entscheidend für den Kunden ist die Beraterkompetenz und der Nachweis, dass der Berater Erfolge nachweisen kann und ggf. auch über Branchenkenntnisse  verfügt.

Im Übrigen empfiehlt es sich, in der Verfahrensvorbereitung zu eruieren, welche Kunden und welche Lieferanten wann und wie zu informieren sind. Manchmal genügt ein einfaches Schreiben, mit dem das Verfahren erläutert wird, manchmal ist aber der persönliche Besuch unabdingbar. Dazu bedarf es einer Art Informationsstrategie, die es schon vor Verfahrensbeginn zu entwickeln gilt. Die wesentlichen Kunden und Lieferanten sollten nicht erst aus der Presse über das Verfahren erfahren, sondern einen vertrauensbildenden  Informationsvorsprung  bekommen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die anfänglich geäußerten Bedenken sich in der Regel „in Luft“ auflösen und die Information des Kunden und Lieferanten als Chance begriffen werden kann, eine noch stärkere Bindung zustandekommen zu lassen und das Vertrauen in das Verfahren zu erhöhen. Viele Unternehmer, die ein solches Verfahren erfolgreich durchgeführt haben, können diese Erkenntnis eindrucksvoll bestätigen.

Insolvenzgrund: Zahlungsunfähigkeit

Anders beim Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit. Hier besteht für die Organe einer juristischen Person oder einer GmbH & Co. KG stets eine strafbewehrte Pflicht zur Insolvenzantragstellung ohne schuldhaftes Zögern spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Die Drei-Wochenfrist dient dazu, den Organen die Möglichkeit zu geben, noch Sanierungsversuche durchzuführen, um den Insolvenzgrund nachhaltig zu beseitigen. Lässt sich ersehen, dass damit nicht ernsthaft zu rechnen ist, muss der Antrag unverzüglich gestellt werden, also auch schon deutlich vor Ablauf der Drei-Wochenfrist. Die Feststellung der Insolvenzgründe erfolgt gegenüber dem Unternehmen in der Krise normalerweise anhand eines sogenannten Insolvenzstatus, dessen Prüfungsergebnisse – nicht zuletzt aus Haftungsgründen – belastbar sein müssen.

Der wichtige Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Das soll nach einer Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2005 jedenfalls dann der Fall sein, wenn der Schuldner innerhalb eines Zeitspektrums von drei Wochen mindestens zehn Prozent seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten nicht erfüllen kann, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.

Ob und wann das der Fall ist, ist für den Laien sehr schwer zu ermitteln, deshalb muss er sich fachkundiger Hilfe bedienen. Versäumt es der Schuldner, einen Insolvenzantrag trotz Vorliegen des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit zu stellen, machen sich die Organe des Schuldners strafbar. Das kann auch gravierende Auswirkungen auf die zukünftigen beruflichen Möglichkeiten des Handelnden haben und kann zu persönlichen zivilrechtlichen Haftungsrisiken des zur Antragstellung verpflichteten Organs führen.

Frühzeitige Antragstellung bietet mehr Handlungsspielräume

Der Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit liegt dann vor, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, seine bestehenden Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Je früher ein Insolvenzantrag gestellt wird, umso größer sind die Handlungsspielräume des Unternehmens. Besteht bei Antragstellung noch ausreichende Liquidität,

ann können die meist notwendigen Vorkassezahlungen, die mit Antragstellung eintreten, ausgeglichen werden. Die Vorteile eines Insolvenzverfahrens, zum Beispiel die Nichtzahlung von Löhnen und Verbindlichkeiten oder Teile der Umsatzsteuer, wirken sich erst nach einiger Zeit aus. Demgegenüber verlangen die Lieferanten bei Neubestellungen meist sofort Vorauskasse. Ein frühzeitiger Insolvenzantrag ist deswegen Erfolgsgarant für eine gelungene Sanierung durch Insolvenz. Aus diesem Grunde sollten die Unternehmen in der Krise viel häufiger vom Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit Gebrauch machen, indem sie beispielsweise anhand einer Liquiditätsplanung nach- weisen, dass die Insolvenzantragspflicht in einigen Tagen, Wochen oder Monaten eintritt. Das ist völlig ausreichend, um in das Insolvenzverfahren einzutreten. Eine Eigenverwaltung, die nicht in einem Schutzschirmverfahren mündet, ist jedoch auch ohne den Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit, sondern bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit möglich. Trotzdem macht es Sinn, nicht abzuwarten, bis die Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist, denn bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit reduzieren sich die Handlungsoptionen deutlich.

Belohnung für frühzeitige Antragstellung

Gerade mit dem ESUG wurde der Anreiz zur frühzeitigen Insolvenzantragstellung geschaffen. Je früher der Antrag gestellt wird und je mehr Geld in der Kasse ist, umso größer sind die Erfolgschancen einer Sanierung unter Insolvenzschutz. Es mag überraschend klingen, aber mit dem Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit wollte der Gesetzgeber Unternehmen, die sich frühzeitig zur Insolvenzantragstellung entschließen, belohnen. Die Insolvenz als strategische Option ist mit dem neuen Recht vom Gesetzgeber eindeutig gewollt.