Aktuelles aus der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte

  1. Betriebsübergang – Widerspruchsrecht bei unverständlichem Unterrichtungsschreiben

Die Rechtsprechung rund um den Betriebsübergang ist vielfältig. Dabei betrifft diese nicht nur die Ausgangsfrage, ob ein Betriebsübergang überhaupt vorliegt, sondern auch oder insbesondere sämtliche sich bei Bejahung der Ausgangsfrage ergebenden Folgeprobleme.

Ein ganz wesentlicher Teil entfällt auf den Inhalt der Unterrichtung des Arbeitnehmers über einen Betriebsübergang und dessen Folgen. So regelt § 613a Abs. 5 BGB, dass der bisherige oder der neue Arbeitgeber die vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer in Textform zu unterrichten hat. Dem vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer steht sodann, wie sich aus Abs. 6 ergibt, das Recht zu, dem Betriebsübergang innerhalb einer Frist von einem Monat zu widersprechen.

Unumstritten beginnt die Frist nicht zu laufen, wenn die Arbeitnehmer gar nicht unterrichtet wurden. Dies galt auch im Falle einer unvollständigen Unterrichtung, wobei die diesbezügliche Rechtsprechung sehr umfangreich ist und es dem Arbeitgeber sowieso schon nahezu unmöglich machte, vollständig im Sinne der Rechtsprechung zu unterrichten.

Nun kam mit Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 26.7.2022 (Az. 8 Sa 6820) eine es dem Arbeitgeber erschwerende Entscheidung hinzu. Das Landesarbeitsgericht gab einer Berufung statt und erklärte damit einen erst zwei Jahre nach dem Betriebsübergang eingelegten Widerspruch als nicht verfristet. Die Widerspruchsfrist sei erst gar nicht in Gang gesetzt worden. Dies, weil die Unterrichtung hinsichtlich der Anwendbarkeit eines Tarifvertrages in einer für Nichtjuristen verständlichen Weise hätte erklärt werden müssen. Da dies nicht geschehen war, hatte die Widerspruchsfrist nicht zu laufen begonnen.

Dabei war auch nicht von Belang, dass die diesbezüglichen Erläuterungen für den widerspruchsführenden Arbeitnehmer etwaig nicht von Bedeutung waren. Erst recht nicht war das Widerspruchsrecht wegen Ablaufs von „schon zwei Jahren“ verwirkt.

Die Entscheidung zeigt, dass das Ende der Fahnenstange im Hinblick auf die inhaltlichen Anforderungen an ein Unterrichtungsschreiben im Falle eines Betriebsübergangs noch immer nicht erreicht ist. Sowohl der Verfasser als auch der Empfänger eines Unterrichtungsschreibens haben dies sorgfältig zu prüfen. Die Unterrichtung muss bezüglich sämtlicher in Absatz 5 aufgezählten Punkte, und hierzu zählen insbesondere die wirtschaftlichen und sozialen Folgen, so formuliert sein, dass ein Nichtjurist diese nachvollziehen kann.

2. Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit bei Abrufarbeitsverhältnis

Regelmäßig stellt sich bei sogenannten Abrufarbeitsverhältnissen die Frage, wie viele (Arbeits-)Stunden denn letztlich geschuldet sind. Unter Arbeitgebern, die Abrufarbeitsverhältnisse abschließen, ist die Auffassung verbreitet, dass der Arbeitnehmer bei Nichtabruf nicht bezahlt werden müsse. Schließlich sei dieser nicht beschäftigt worden.

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat in einem aktuellen Fall am 29.11.2022 (Az. 6 Sa 202/22) entschieden, dass in solchen Fällen nach § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG eine Arbeitszeit von 20 Wochenstunden als vereinbart gelte. Sofern nämlich kein regelmäßiger, verstetigter Abruf durch den Arbeitgeber erfolgt, sei weder von einer konkludenten vertraglichen Vereinbarung auszugehen noch eine ergänzende Vertragsauslegung möglich.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist nicht rechtskräftig, weil das Gericht die Revision zuließ, insbesondere wegen der zu klärenden Rechtsfrage, ob im Falle des Fehlens einer Vereinbarung über die Wochenstunden die Fiktion des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG heranzuziehen oder eine ergänzende Vertragsauslegung auf Basis der bisherigen durchschnittlichen Arbeitszeit vorzunehmen sei.

3. Nachschieben von Kündigungsgründen im Falle einer grob fehlerhaften Sozialauswahl

In einem Fall, welchen das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 8.12.2022 (Az. 6 AZR 32/22) entschied, hatte ein Arbeitgeber einen Personalabbau ohne Durchführung einer Sozialauswahl vorgenommen. Eine solche hielt er für erlässlich, weil der Betrieb stillgelegt werden sollte. Demgemäß war allen Mitarbeitern zu kündigen, weswegen nach Auffassung des Arbeitgebers keine Sozialauswahl nötig war.

Tatsächlich erfolgte der Personalabbau aber zeitlich versetzt, weil im Hinblick auf die Stilllegung einigen Mitarbeitern umgehend, anderen erst nach Abschluss der Ausproduktion gekündigt werden sollte. Bei vergleichbaren Tätigkeiten hätte der Arbeitgeber soziale Gesichtspunkte zur Beantwortung der Frage, welcher Arbeitnehmer zu welchem Zeitpunkt gekündigt werden sollte, berücksichtigen müssen.

Da der Arbeitnehmer dies so im Kündigungsschutzprozess geltend machte, trug der Arbeitgeber zu einer solchen hypothetischen Sozialauswahl ergänzend vor und zeigte auf, dass diese am Ergebnis nichts geändert hätte. Der klagende Arbeitnehmer war der Auffassung, dass der Arbeitgeber eine solche hypothetische Sozialauswahl im Prozess nicht hätte vortragen dürfen, schließlich habe er diese auch nicht gegenüber dem Betriebsrat im Rahmen der vor Ausspruch der Kündigung durchgeführten Anhörung aufgezeigt.

Dies sah das BAG anders: Nach dessen Ansicht durfte der Arbeitgeber ergänzend vortragen, und zwar auch oder obwohl er diese hypothetische Sozialauswahl im Rahmen der angestellten Betriebsratsanhörung nicht gegenüber dem Betriebsrat aufgezeigt hatte. Hierin war nach dem BAG kein unzulässiges Nachschieben von Kündigungsgründen zu sehen.

Vielmehr sei es dem Arbeitgeber, der im Falle einer Sozialauswahl bestimmte Arbeitnehmer übersehen oder für nicht vergleichbar gehalten hat und deshalb dem Betriebsrat die für die soziale Auswahl erheblichen Umstände nicht mitgeteilt hat, nicht verwehrt, seinen Vortrag auf entsprechende Rüge hin im Prozess zu ergänzen. Hierin läge nach ständiger Rechtsprechung des BAG kein nach § 102 BetrVG unzulässiges Nachschieben von Kündigungsgründen. In dem Fall, wie vorliegend, in dem der Arbeitgeber wegen der Betriebsstilllegung davon ausging, einer Sozialauswahl bedürfe es nicht, könne nichts anderes gelten.

Letztlich habe der Arbeitgeber bei der Betriebsratsanhörung noch nicht absehen können, welche Unwirksamkeitsgründe der Arbeitnehmer gegenüber der Kündigung in einem etwaigen Kündigungsschutzprozess geltend machen wird. Würde man es dem Arbeitgeber sodann im Prozess verwehren, seinen Sachvortrag zu ergänzen, würde er weitgehend rechtlos gestellt. Der vom Arbeitnehmer vorgebrachte Unwirksamkeitsgrund würde dann im Regelfall zu seinem Obsiegen führen.

4. Verjährung des Urlaubsanspruchs nur nach Warnhinweis des Arbeitgebers

Gleichsam ein Themenbereich, der die Arbeitsgerichte regelmäßig beschäftigt, sind Urlaubsabgeltungsansprüche, insbesondere, wenn sie sich über Jahre angesammelt haben.

In einer durchaus diskussionswürdigen Entscheidung befasste sich das BAG am 20.12.2022 (Az. 9 AZR 266/20) aber nicht mit einem der typischen Fälle, in denen es um die Anzahl der abzugeltenden Urlaubstage bezogen auf Zeiten ging, in denen der Arbeitnehmer, z. B. wegen Arbeitsunfähigkeit, nicht arbeitete. Im entschiedenen Fall ging es vielmehr um die Frage, wann Urlaubsabgeltungsansprüche verjähren, vor allem zu welchem Zeitpunkt die Verjährungsfrist in Gang gesetzt wird. Die Arbeitnehmerin machte Urlaubsabgeltungsansprüche aus den vorangegangenen Jahren geltend.

Die Arbeitgeberin berief sich im Verfahren darauf, dass die sich aus § 195 BGB ergebende Verjährungsfrist von drei Jahren, die mit dem Ende des Urlaubsjahres in Gang gesetzt würde, abgelaufen sei und die Urlaubsabgeltungsansprüche daher nicht mehr durchsetzbar seien.

Hiermit fand sie aber kein Gehör. Nach Ansicht des BAG habe die Verjährungsfrist nämlich nicht mit dem Ende des jeweiligen Urlaubsjahres zu laufen begonnen, sondern sei mangels entsprechenden Warnhinweises des Arbeitsgebers zum „Verfall“ gar nicht erst in Gang gesetzt worden. Die Verjährungsfrist beginne nämlich erst mit Ende des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten (noch bestehenden) Urlaubsanspruch und die für dessen Geltendmachung einschlägigen Verfallfristen belehrt habe. Ein solcher Hinweis war aber nicht erfolgt.

Das Bundesarbeitsgericht setzte mit seiner Entscheidung Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) um, die sich wiederum an Art. 31 EU-GR-Charta orientierten, welcher die Gewährleistung der Rechtssicherheit für den Arbeitnehmer beabsichtigt.

Über den Autor

Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Sozialrecht Michael Kothes

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