Ein Blick in die Zukunft: Wird der Anwaltsberuf digital?

Die Digitalisierung verändert die Arbeitsweise in nahezu allen Branchen – auch die Anwaltschaft bleibt von diesem Wandel nicht unberührt. Wird der Anwaltsberuf in Zukunft digital? Philipp Wolters, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht, erkennt die Notwendigkeit der Weiterentwicklung und erläutert im Interview mit der Redaktion der Rechtsberatungsplattform anwalt.de, wie neue Technologien das Selbstverständnis von Anwältinnen und Anwälten beeinflussen.

Wie hat sich das Selbstverständnis von Rechtsanwälten Ihrem Erleben nach durch die Digitalisierung der letzten Jahre verändert?

Ich denke, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in den letzten Jahren zunehmend erkannt haben, dass digitale Tools im Alltag oft unverzichtbar sind, um effizient und effektiv arbeiten zu können. Tendenziell ist also eine wachsende Akzeptanz der Technologie zu beobachten, auch wenn diese sicherlich noch ausbaufähig ist. Ich halte es schon mit Blick auf den Wettbewerb für notwendig, sich mit den Möglichkeiten, die die Digitalisierung der Anwaltschaft bringt, auseinanderzusetzen. Das Aufkommen automatisierter Rechtsprodukte und deren rechtliche Einordnung hat in den vergangenen Jahren für erhebliche Unruhe gesorgt und war meines Erachtens ein Weckruf.

Inwiefern hat sich die Kommunikation mit Mandanten durch digitale Medien und Plattformen verändert? Haben Mandanten eine andere Anspruchshaltung als zu Beginn Ihrer Karriere?

Ich würde sagen, dass der persönliche Kontakt in Form eines Termins vor Ort in der Kanzlei oder beim Mandanten heute deutlich weniger gefragt ist als noch vor einigen Jahren. Den Mandanten sind entsprechende Qualifikationen und vor allem schnelle Reaktionszeiten wichtiger, wobei diese Haltung nicht erst mit der zunehmenden Digitalisierung aufgekommen ist. Die Mandanten möchten ihr Problem eben gern effizient und zeitnah gelöst haben und fordern dies gegebenenfalls auch – zu Recht – ein. Es wird eine Lösungskompetenz erwartet, keine Problemkompetenz. Ob dies persönlich vor Ort oder mittels eines Video-Calls geschieht, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Sie sind z. B. bei anwalt.de vertreten. Wie unterstützt Sie Ihr Profil beim Marketing und der Mandantenakquise?

Menschen suchen heute zunehmend online nach Rechtsdienstleistungen. Ein gut gestaltetes Profil auf einer bekannten Rechtsberatungsplattform stärkt die eigene Online-Sichtbarkeit, also die Präsenz und Wahrnehmung im Internet. Ein gut gepflegtes Profil und ein gewisses Portfolio an Fachbeiträgen unterstützen die Positionierung als Experte. Darüber hinaus können positive Bewertungen, die wie klassisches Empfehlungsmarketing wirken, einen großen Einfluss auf die Entscheidung neuer Mandanten haben.

Besonders hilfreich sind die angebotenen Statistiken, denn im Vergleich zu traditionellen Marketingmethoden wie Printwerbung kann man mit den Analysetools den Erfolg und die Reichweite der eigenen Aktivitäten messen und gegebenenfalls nachsteuern.

Inwieweit helfen Ihnen digitale Rechtsberatungsplattformen, auch bundesweit neue Mandanten zu gewinnen?

Über die Suchfunktionen der Rechtsberatungsplattformen können Ratsuchende gezielt nach Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten in bestimmten Rechtsgebieten oder mit spezieller Expertise suchen. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die über besondere Fachkenntnisse verfügen oder in Nischenbereichen tätig sind, können so bundesweit von Mandanten gefunden werden, die genau diese Expertise suchen. Manche Mandanten suchen sogar gezielt nach Online-Beratung, insbesondere wenn sie in einer anderen Stadt oder einem anderen Bundesland leben. Auf Rechtsberatungsplattformen können Rechtsanwälte solche Dienstleistungen anbieten und so Mandanten aus ganz Deutschland erreichen.

Welchen Fokus legen Sie bei Ihrem Online-Auftritt auf die sozialen Medien?

Soziale Medien bieten zweifellos eine weitere effektive Plattform, um Ratsuchende zu erreichen und die Markenbekanntheit zu steigern. Es ist zunächst wichtig zu verstehen, welche primäre Zielgruppe man ansprechen möchte und welche Social-Media-Plattform dafür geeignet ist. Denn jede Social-Media-Plattform hat ihre eigene Dynamik und Zielgruppe. Eine Strategie, die auf LinkedIn funktioniert, ist möglicherweise nicht so effektiv auf Instagram oder X (vormals Twitter). Außerdem muss man auch auf Social Media einen Mehrwert bieten, denn der Aufbau einer Präsenz erfolgt in der Regel nicht zum Selbstzweck. Man möchte sich dort als Experte positionieren und im besten Fall potenzielle Mandanten von sich überzeugen.

So weit die Theorie. Teil der Wahrheit ist leider auch, dass ein aktiver Social-Media-Auftritt regelmäßige Beiträge erfordert. Dies beansprucht viel Zeit und ein gewisses Maß an Kreativität, denn niemand möchte den 100. etwas verkopften Post über ein komplexes Rechtsthema lesen. Das alles neben dem Tagesgeschäft und den sonstigen Marketingaktivitäten zu stemmen, ist nicht einfach. Ich selbst habe primär mit Unternehmen zu tun, daher habe ich mich im beruflichen Kontext für die Plattform LinkedIn entschieden.

Welchen Stellenwert für Ihre Reputation und Online-Sichtbarkeit haben Ihre Bewertungen und Rechtstipps auf anwalt.de?

Die Rechtstipps sind meines Erachtens neben der Arbeit an der eigenen Kanzlei-Homepage essenziell für den Aufbau einer gewissen Online-Präsenz, da potenzielle Mandanten erfahrungsgemäß online eher nach Themen als nach Personen suchen. Beim Verfassen der Rechtstipps kommt es darauf an, dass diese für den juristischen Laien verständlich geschrieben sind und das Thema möglichst ganzheitlich abdecken. Sie kennen das aus eigener Erfahrung: In der Regel beginnt man eine Recherche mit einer Frage, zu der sich dann während des Lesens weitere Fragen hinzugesellen. Ist der Rechtstipp zu knapp verfasst, wandern die Leser im Zweifelsfall weiter. Hochwertige Tipps zeigen dem Leser, dass man als Autor kompetent ist, und erhöhen zudem die Sichtbarkeit in Suchmaschinen.

Gelangt ein Ratsuchender über einen Rechtstipp auf das Profil eines Anwalts, stellt sich für ihn die nicht ganz unwichtige Frage, ob die Anwältin oder der Anwalt gute Arbeit leistet. Ohne persönliche Empfehlung muss sich der Ratsuchende auf den ersten Eindruck des Profils verlassen. Insoweit ist es hilfreich, dass Rechtsberatungsplattformen meist sowohl für Rechtstipps als auch für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Bewertungsmöglichkeiten anbieten. Dabei zeigt sich, dass mit der Anzahl der Bewertungen auch die Qualität und Quantität der Anfragen tendenziell steigt.

Welche Tipps haben Sie für andere etablierte Anwälte, die sich an die neuen digitalen Entwicklungen in ihrer Karriere anpassen möchten?

Die Anpassung an die digitale Entwicklung ist meiner Meinung nach auch für etablierte Anwältinnen und Anwälte von entscheidender Bedeutung, um wettbewerbsfähig zu bleiben und den sich ändernden Erwartungen der Mandanten gerecht zu werden. Es gibt mittlerweile zahlreiche Möglichkeiten, sich im Bereich der digitalen Tools und Technologien weiterzubilden.

Wenn man noch ganz am Anfang steht, sollte man mit einer professionellen Website für die Kanzlei beginnen. Diese fungiert heute als Visitenkarte und bildet die Basis für alle weiteren Online-Aktivitäten. Perspektivisch sollten auch Profile in sozialen Medien und auf Online-Plattformen eingerichtet werden, um die Online-Sichtbarkeit zu erhöhen. Wichtig ist, kontinuierlich am Ball zu bleiben. Der Erfolg wird sich nicht über Nacht einstellen, z. B. in Form von guten Platzierungen in Suchmaschinen. Man muss dem Ganzen Zeit geben und darf nicht ungeduldig werden oder sich entmutigen lassen, wenn man nicht sofort von Mandatsanfragen überschwemmt wird. Letztlich geht es bei der Anpassung an die digitale Entwicklung aber nicht nur darum, die neuesten Technologien zu nutzen, sondern auch darum, eine Denkweise zu entwickeln, die Veränderungen akzeptiert und die Vorteile der Digitalisierung erkennt und nutzt.

Welche Herausforderungen sehen Sie für junge Anwälte, die sich in einer zunehmend digitalisierten Rechtsbranche etablieren möchten?

Junge Anwältinnen und Anwälte müssen mehr denn je sicherstellen, dass sie nicht nur juristisch kompetent, sondern auch mit den neuesten Technologien und Softwarelösungen vertraut sind. Da die Digitalisierung es einfacher macht, Rechtsdienstleistungen online anzubieten, können traditionelle Geschäftsmodelle infrage gestellt und der Wettbewerb verschärft werden. Junge Anwältinnen und Anwälte müssen Wege finden, sich in einem überfüllten Markt zu differenzieren, insbesondere wenn sie den Sprung in die Selbstständigkeit direkt zu Beginn ihrer Karriere wagen.

Trotz der Digitalisierung bleibt aus meiner Sicht der persönliche Aspekt des Anwaltsberufs wichtig. Junge Anwältinnen und Anwälte müssen daher in der Lage sein, effektiv online zu kommunizieren und gleichzeitig authentische Beziehungen zu ihren Mandanten aufzubauen. Ich bin sehr optimistisch, dass dies dem Nachwuchs gelingen wird. Denn die Generation der „Digital Natives“ ist mit dem Internet aufgewachsen und nutzt die Möglichkeiten ganz selbstverständlich. Es gibt einfach weniger Berührungsängste, was die notwendigen Anpassungen erleichtern sollte.

Welche Talente und Eigenschaften sind heutzutage bei neuen Kollegen besonders gefragt, um mit den Entwicklungen der Technik Schritt halten zu können?

Die Fähigkeit, sich mit neuen Technologien und Softwareanwendungen vertraut zu machen und diese effektiv zu nutzen, ist sicherlich von großer Bedeutung. Dabei geht es nicht nur darum, die verfügbaren oder neu aufkommenden Tools zu kennen, sondern auch darum, zu verstehen, wie sie den Arbeitsablauf und den Service für Mandanten verbessern können. Generative KI ist aktuell in aller Munde und es zeigt sich bereits, dass sie in vielen Bereichen eine große Unterstützung sein kann. Allerdings ist sie (noch) nicht unfehlbar, sodass es mehr denn je darauf ankommt, Informationen kritisch bewerten und fundierte Entscheidungen treffen zu können. Schließlich ist die Bereitschaft und die Fähigkeit, kontinuierlich zu lernen und sich weiterzubilden, in einer sich schnell verändernden Technologielandschaft unerlässlich.

Bereitet die juristische Ausbildung den Nachwuchs ausreichend auf die derzeitigen Arbeitsmethoden in Kanzleien und vor Gericht vor?

Ich kann nur berichten, wie es zu meiner Zeit war, und da lag der Schwerpunkt der juristischen Ausbildung eindeutig auf der Theorie. Die Digitalisierung und damit einhergehende Arbeitsmethoden waren damals noch kein Thema. Mein erstes Staatsexamen liegt zwar „erst“ 15 Jahre zurück, aber angesichts der Geschwindigkeit des technologischen Wandels handelt es sich dabei um eine Ewigkeit. Ich wünsche mir jedenfalls für den Nachwuchs, dass sich auf dem Gebiet einiges getan hat beziehungsweise im Wandel ist.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der Digitalisierung an deutschen Gerichten gemacht?

Nach meiner Erfahrung bestehen bei der Digitalisierung immer noch erhebliche Unterschiede im Fortschritt zwischen den Bundesländern und sogar zwischen einzelnen Gerichten. Teilweise fehlt eine entsprechende Ausstattung der Gerichtssäle, manchmal auch die Bereitschaft, die durch den technischen Wandel bedingten Veränderungen anzunehmen. Letzteres ist aber nach meiner Erfahrung die Ausnahme. Generell wurden bereits zahlreiche Bemühungen unternommen, um den Justizapparat zu modernisieren, und ich hoffe, dass wir hier in naher Zukunft eine weitere positive Entwicklung sehen werden.

Welche rechtlichen Herausforderungen ergeben sich im Zusammenhang mit neuen Technologien wie KI? Müssten der Anwaltsberuf und das Rechtssystem schneller darauf reagieren?

Die rechtlichen Herausforderungen sind in der Tat vielfältig und aktuell noch weitgehend ungeklärt. KI-Systeme verarbeiten beispielsweise oft große Datenmengen. Hier stellt sich Frage des Datenschutzes und der Sicherheit dieser Daten vor Missbrauch. Wird durch ein KI-System eine Entscheidung getroffen, die Schaden verursacht, muss klar sein, wer dafür haftbar gemacht werden kann.

Auch mit Blick auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes ergeben sich viele Unwägbarkeiten. Mit der weiteren Automatisierung und dem Einsatz von KI könnten Arbeitsplätze wegfallen oder sich verändern, was rechtliche und soziale Herausforderungen mit sich bringt. Hier sehe ich den Gesetzgeber gefordert. Er muss eine ausgewogene Regulierung schaffen, die Antworten auf diese und weitere Fragen findet, ohne gleichzeitig den technologischen Fortschritt und darauf basierende neue Geschäftsmodelle abzuwürgen.

In welchen Bereichen hinken Kanzleien und die Rechtsbranche dem aktuellen Stand der Technik noch hinterher?

Es gibt mittlerweile Tools, die KI nutzen, um juristische Dokumente zu analysieren oder Recherchen zu unterstützen. Hier steht der Großteil der Rechtsbranche sicherlich noch am Anfang der Möglichkeiten. Das Gleiche dürfte für die Automatisierung von Routineaufgaben gelten. Ich denke aber, dass wir hier in den nächsten Jahren eine starke Entwicklung sehen werden. Dies würde nicht zuletzt dem Fachkräftemangel entgegenwirken, mit dem auch die Rechtsbranche zu kämpfen hat.

Vielen Dank für das Gepräch, Herr Wolters!

Über den Autor

Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht, Fachanwalt für Arbeitsrecht Philipp Wolters

Pressemitteilungen

Veranstaltungen

Newsletter

Bücher

Studien & Leitfäden

Videos