„Arbeitsrecht light“ in der Insolvenz?!

In der Insolvenz weist das deutsche Arbeitsrecht Besonderheiten auf, welche die Sanierung eines Unternehmens beschleunigen sowie erleichtern und gleichsam nachhaltig machen sollen. Die meisten Ausnahmeregelungen finden sich in der Insolvenzordnung (InsO) und können erst ab dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens angewendet werden.

Trotz der Ausnahmen muss man sich aber vergegenwärtigen, dass auch in der Insolvenz das „normale“ Arbeitsrecht Anwendung findet. Dies schließt ein:

  • zum einen den allgemeinen Kündigungsschutz der Mitarbeiter, die dem Kündigungsschutzgesetz (grundsätzlich mehr als zehn Arbeitnehmer und der betroffene Arbeitnehmer ist länger als sechs Monate betriebszugehörig) unterfallen,
  • zum anderen den besonderen Kündigungsschutz des einzelnen Arbeitnehmers, zum Beispiel im Falle einer Schwerbehinderung oder einer Schwangerschaft und
  • darüber hinaus das Betriebsverfassungsrecht, also die Bestimmungen über den Umgang und die Einbeziehung eines Betriebsrats.

Insolvenzgeld als erste Sanierungshilfe

Ein Insolvenzverfahren, unabhängig von der Frage, ob es sich um ein sogenanntes Regelinsolvenzverfahren oder eine Insolvenz in Eigenverwaltung handelt, unterteilt sich immer in das vorläufige und das eröffnete Insolvenzverfahren.

Das vorläufige Insolvenzverfahren folgt auf den Insolvenzantrag und dauert in aller Regel zwei Monate, was regelmäßig aus der Dauer des Insolvenzgeldanspruchs folgt. Das Insolvenzgeld ist eine Entgeltersatzleistung, die von der Agentur für Arbeit für die drei Monate gezahlt wird, die der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorangehen. Anders als das Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld entspricht das Insolvenzgeld der Höhe nach 100 Prozent des im Insolvenzgeldzeitraum erarbeiteten Entgeltanspruchs des Arbeitnehmers. Gedeckelt ist das Insolvenzgeld allein durch die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung (in 2021 liegt diese bei 7.100,- Euro/brutto (West) bzw. 6.700,- Euro/brutto (Ost)). In den meisten Fällen wird ein Insolvenzantrag zum Ende eines Monats, bevor die Mitarbeiterentgelte für eben diesen Monat fällig sind, gestellt. Das Schuldnerunternehmen wird in diesen Fällen die Entgelte auch nicht mehr zahlen, sodass dieser Monat schon durch das Insolvenzgeld „aufgefangen“ wird.  Da der Insolvenzgeldanspruch insgesamt drei Monate umfasst, folgen dann zwei weitere Monate, in denen das vorläufige Insolvenzverfahren durchlaufen wird. Nach deren Ablauf wird das eigentliche Insolvenzverfahren eröffnet. In diesen drei Monaten wird das Unternehmen von der Entgeltlast befreit. Insoweit ist das Insolvenzgeld als erste Sanierungshilfe zu verstehen. In diesen zwei Monaten des vorläufigen Verfahrens begutachtet der vorläufige Insolvenzverwalter oder (im Falle der Eigenverwaltung) der vorläufige Sachwalter insbesondere, ob die vorhandene Masse die Kosten des Verfahrens trägt und gibt auch eine Einschätzung zur Sanierungsfähigkeit des Unternehmens ab. Infolge eines positiven Votums des vorläufigen Insolvenzverwalters/Sachwalters wird das Insolvenzgericht die Voraussetzungen für die Eröffnung bejahen und das Insolvenzverfahren per Beschluss eröffnen. Erst ab diesem Zeitpunkt gelten die insolvenzrechtlichen Ausnahmeregelungen vom allgemeinen Arbeitsrecht, welche die Sanierung beschleunigen und erleichtern, aber auch nachhaltig ausgestalten können.

Beschleunigung eines nötigen Personalabbaus

Beschleunigt wird beispielweise ein etwaig nötiger Personalabbau. § 113 InsO, welcher die Kündigung eines Dienstverhältnisses und damit auch eines Arbeitsverhältnisses regelt, ermöglicht es, Kündigungsfristen abzukürzen. Diese Regelung sieht vor, dass ein Arbeitsverhältnis mit einer Maximalkündigungsfrist von drei Monaten gekündigt werden kann. Durch diese Vorschrift wird jede arbeits- oder tarifvertragliche Kündigungsfrist, die länger als drei Monate beträgt, auf drei Monate herabgesetzt. Dies gilt sogar für tarifvertraglich unkündbare Arbeitnehmer, für die ebenfalls im Insolvenzfall die dreimonatige Kündigungsfrist Anwendung findet. Steht einem Arbeitnehmer sowieso keine längere Kündigungsfrist als drei Monate zu, verbleibt es bei der individuell kürzeren Frist. Dem Beschleunigungsgedanken trägt auch die Vorschrift des § 171 Abs. 5 SGB IX, welche die Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers betrifft, Rechnung: Wo sich außerhalb der Insolvenz dergleichen Verfahren über den Zustimmungsantrag über Monate hinziehen können, so sieht die genannte Regelung im Insolvenzfalle vor, dass die Behörde binnen eines Monats eine Entscheidung treffen muss. Geschieht dies nicht, gilt die Zustimmung als erteilt.

Erleichterung von Stellenreduzierung

Durch § 125 InsO wird die Stellenreduzierung erleichtert. § 125 InsO unterstellt die „Betriebsbedingtheit“ der Kündigung und reduziert den Prüfungsmaßstab des Arbeitsgerichts im Hinblick auf die Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit. Hierfür ist es Voraussetzung, dass Arbeitgeber und Betriebsrat hinsichtlich der Betriebsänderung einen Interessenausgleich mit Namensliste abschließen. Geschieht dies, hat dies die Änderung des Bewertungsmaßstabes durch das Arbeitsgericht zur Folge: Der Arbeitnehmer ist nun darlegungs- und beweisbelastet damit, nachzuweisen, dass keine Betriebsbedingtheit vorlag. Hinsichtlich der Sozialauswahl wird das Arbeitsgericht nun nur noch prüfen, ob der Arbeitnehmer Tatsachen vorgetragen und nachgewiesen hat, welche die Sozialauswahl als grob fehlerhaft erscheinen lassen. Dieser Prüfungsmaßstab erstreckt sich auf die Abwägung der Sozialdaten, die Feststellung der Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer (sog. Vergleichsgruppenbildung) und die Herausnahme der betriebswichtigen Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl (sog. Leistungsträger). Nach § 125 InsO ist die Sozialauswahl nur dann grob fehlerhaft, wenn sie jedwede Ausgewogenheit missen lässt und Fehler aufweist, die „gleich ins Auge springen“. Damit ist nicht schon jede – unter normalen Prüfungsbedingungen – nicht ausreichende Sozialauswahl gleich grob fehlerhaft.

Nachhaltige Sanierung

Aus § 125 InsO wird der Wille des Gesetzgebers deutlich, die Sanierung nachhaltig zu gestalten. Diese Regelung normiert, dass eine Sozialauswahl auch dann nicht als grob fehlerhaft anzusehen ist, wenn durch sie eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass viele in wirtschaftlichen Problemen befindliche Unternehmen eine unausgewogene Altersstruktur aufweisen. Ziel ist es daher, dem Unternehmen oder – im Falle eines Verkaufs dem Übernehmer – ein funktions- und wettbewerbsfähiges Arbeitnehmerteam zur Verfügung zu stellen. Dass sich hierdurch, für den Fall einer angestrebten Veräußerung, der Wert des Unternehmens erhöht, ist nicht nur ein positiver Nebeneffekt, sondern nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ein anerkannter Beweggrund für den Personalabbau im Hinblick auf eine nachhaltige Sanierung.

Wirtschaftliche Entlastung durch nicht limitierten Sozialplan

Insbesondere bei Unternehmen, bei denen ein Betriebsrat eingerichtet ist, ergibt sich aus § 123 InsO eine deutliche wirtschaftliche Erleichterung im Falle eines Personalabbaus. Diese Norm limitiert nämlich streng das Volumen eines Sozialplans in der Insolvenz. Sofern ein Unternehmen mit eingerichtetem Betriebsrat – außerhalb oder innerhalb der Insolvenz – einen Personalabbau plant, der einer Betriebsänderung (z.B. Personalabbau von 10 Prozent oder mehr als 25 Arbeitnehmern in Betrieben zwischen 60 und 499 Mitarbeiter) darstellt, hat das Unternehmen neben dem Interessenausgleich, welcher die Vereinbarung über die Personalmaßnahme selbst beinhaltet, auch einen Sozialplan zu verhandeln. Letzterer regelt den sozialen Ausgleich zugunsten der von der Personalmaßnahme betroffenen Mitarbeiter. Außerhalb der Insolvenz ist der Inhalt des Sozialplans, insbesondere hinsichtlich der Abfindungshöhe, frei verhandelbar. Nicht selten werden hier pro Mitarbeiter Abfindungszahlungen vereinbart, die über einem Schlüssel von einem Bruttomonatsentgelt pro Beschäftigungsjahr liegen. Bei einem Personalabbau von 50 Mitarbeitern mit einer durchschnittlichen Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren und einem monatlichen Durchschnittsbruttoentgelt von 3.500 Euro ergäbe allein die Abfindungslast ein Volumen von 3,5 Mio. Euro.

In der Insolvenz ist das Sozialplanvolumen dagegen auf ein Maximum von 2,5 Bruttomonatsentgelten je vom Abbau betroffenen Arbeitnehmer, unabhängig von dessen Betriebszugehörigkeitszeiten, begrenzt. Das bedeutet, für jeden Mitarbeiter werden maximal zweieinhalb Entgelte in den Abfindungstopf eingebracht. Die individuelle Verteilung, zum Beispiel nach einem auf die sozialen Gesichtspunkte aufsetzenden Punktesystem, vereinbaren Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam. Nach § 123 InsO würde sich mithin das maximale Sozialplanvolumen bei dem obigen Beispiel auf 437.500 Euro belaufen. Das entspricht einer Einsparung im Verhältnis zum Sozialplan außerhalb der Insolvenz von annähernd 90 Prozent.

Verkürzung von Kündigungsfristen

Eine weitere wirtschaftliche Entlastung ergibt sich zudem aus § 120 InsO. Dieser ermöglicht es, Betriebsvereinbarungen, unabhängig der in ihnen vereinbarter Kündigungsfristen, mit einer Frist von drei Monaten zu kündigen. Voraussetzung ist lediglich, dass die betreffende Betriebsvereinbarung Leistungen vorsieht, welche die Masse belasten würden und Beratungen mit der Zielsetzung, die Leistungen zu reduzieren, erfolglos geblieben sind.

Vorherrschendes Ziel eines Insolvenzverfahrens ist die Entschuldung des insolventen Unternehmens. Dies betrifft sämtliche gegenüber der Insolvenzschuldnerin geltend gemachte Forderungen. Dabei stellt sich – auch arbeitsrechtlich – regelmäßig die Frage, ob die einzelnen Arbeitnehmeransprüche als Insolvenzforderung oder Masseforderung zu qualifizieren sind. Diese Unterscheidung ist deswegen von Bedeutung, weil Insolvenzforderungen „nur“ zur Insolvenztabelle anzumelden sind (und dann später im Laufe des Insolvenzverfahrens lediglich quotal befriedigt werden), Masseforderungen aber direkt und zu 100 Prozent aus dem Vermögen des Unternehmens zu zahlen sind.

Grundsätzlich gilt der Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung (nicht der Tag der Antragstellung) als der maßgebliche Stichtag zur Unterscheidung:  Ansprüche, die an und ab diesem Stichtag erarbeitet werden, sind Forderungen gegen die Masse, also in Gänze vom Unternehmen zu tragen.

Anderes gilt für Entgeltansprüche, die vor diesem Stichtag erarbeitet wurden. Sofern sie im Insolvenzgeldzeitraum erdient wurden, fallen sie unter das Insolvenzgeld. Wenn sie jedoch noch weiter im Vorhinein erarbeitet wurden, sind sie zur Insolvenztabelle anzumelden. Das Erarbeiten ist dabei nicht mit der Fälligkeit zu verwechseln. Wann ein Anspruch zur Zahlung fällig ist, hat für die Einordnung als Insolvenz- oder Masseforderung keine Relevanz.

  • Dies lässt sich an einem Beispiel leicht verständlich machen:
    Bei einem Unternehmen wird am 01.09.2020 das Insolvenzverfahren eröffnet. Provisionsansprüche der Mitarbeiter aus dem Vertrieb werden regelmäßig am Ende des Jahres abgerechnet und ausbezahlt. Im März 2020 hat ein Vertriebsangestellter ein umsatzträchtiges Geschäft abgeschlossen, das für ihn einen Provisionsanspruch auslöste. Mit Abschluss des Geschäftes wurde der Provisionsanspruch erarbeitet. Dies war zeitlich vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Anspruch wurde auch außerhalb des Insolvenzgeldzeitraumes, der hier die Monate Juni bis August 2020 umfasste, erarbeitet. Also handelt es sich bei diesem Anspruch um eine einfache Insolvenzforderung, die der Vertriebsmitarbeiter zur Insolvenztabelle anmelden muss. Dass der Provisionsanspruch erst Ende des Jahres 2020 zur Auszahlung fällig gewesen wäre, ist dabei unerheblich.

Auswirkungen auf Überstunden, Urlaubsansprüche, Urlaubsgeld und Abfindungsforderungen

Dies gilt ebenso für Überstunden, die auf Arbeitszeitkonten gutgeschrieben wurden. Sofern ein Mitarbeiter am Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ein Überstundenguthaben verfügt, wird dies anhand seines Stundenentgelts in Euro umgerechnet und zur Insolvenztabelle festgestellt. Besondere Auswirkungen hat dies bei Mitarbeitern in Altersteilzeit, die auch Gefahr laufen, ihr in der Aktivphase erarbeitetes Guthaben zu verlieren. Hier greift aber die obligatorische Versicherung, welche der Arbeitgeber für den Fall der Insolvenz abzuschließen hat.

Anders ist die Handhabung bei Urlaubsansprüchen. Da der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers kein Entgeltanspruch, sondern ein Anspruch auf Erholung darstellt, findet keine Umrechnung in Geld statt. Der Urlaubsanspruch bleibt mithin über die Verfahrenseröffnung unverändert bestehen.

Wieder anders verhält es sich beim Urlaubsgeld: War für einen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens genommenen Urlaub noch kein Urlaubsgeld gezahlt worden, handelt es sich um eine Insolvenzforderung.

So ist auch eine Abfindungsforderung, die sich aus einem vor der Eröffnung (z.B. im gerichtlichen Kündigungsschutzprozess) vereinbarten Vergleich ergibt, eine einfache Insolvenzforderung, die zur Insolvenztabelle anzumelden ist.

Weitere Liquiditätseffekte

Eine enorme wirtschaftliche Entlastung bringt ein Insolvenzverfahren Unternehmen, die erhebliche Rückstellungen aufgrund vereinbarter betrieblicher Altersvorsorge gebildet haben. Diese können, sofern die Zeit vor dem Insolvenzverfahren betreffend, aufgelöst werden, weil für die Altforderungen der Pensionssicherungsverein eintritt. Sofern es dem Unternehmen dann noch gelingt, derartige Vereinbarungen über die betriebliche Altersvorsorge für die Zukunft abzuschneiden, ergibt sich für das Unternehmen hieraus ein ganz wesentlicher Liquiditätseffekt.

Über den Autor

Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Sozialrecht, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht Michael Kothes.

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