Bauunternehmen trotz voller Auftragsbücher von Insolvenzen bedroht. Was tun?

Die Bauindustrie boomt, die Auftragsbücher sind übervoll und trotzdem melden die Statistiker, dass allein im ersten Halbjahr 2022 mehr als 200 Bauunternehmen einen Insolvenzantrag gestellt haben. Wie ist das zu erklären und vor allem, was ist zu tun?

Die Corona Pandemie, der Ukrainekrieg und die extrem gestiegenen Energiepreise führen zu einem massiven Anstieg der Erzeugerpreise für viele Baustoffe wie Holz, Aluminium, Stahl, Stahllegierungen und viele Dämmstoffe. Gleichzeitig sind die Lieferketten unterbrochen, weil insbesondere durch den Ukrainekrieg Rohstoffe fehlen, aber auch, weil Lieferungen aus China wegen des dortigen Lockdowns ausbleiben. Trotz voller Auftragsbücher wird deshalb in nicht wenigen Fällen Kurzarbeit beantragt.

Geschlossene Verträge müssen eingehalten werden

Darüber hinaus besteht in einigen Fällen ein noch weitreichenderes Problem: Häufig haben Bauunternehmen noch vor wenigen Monaten Preise mit ihren Kunden vereinbart, die durch die massiven Steigerungen der Vormaterialien nicht weitergegeben werden können. Die durchschnittliche Erhöhung der Preise für die Vormaterialien dürfte bei 20 Prozent liegen, die durchschnittlich erzielbare Marge vor der Preissteigerung bei etwa 5 Prozent. Erhebliche Verluste sind damit vorprogrammiert. Nun versuchen viele Unternehmen nachzuverhandeln, was aber, wenn sich der Auftraggeber nicht darauf einlässt? Einzelfälle lassen sich sicher verkraften, was aber, wenn großvolumige Verträge abgeschlossen wurden und es zu keiner Einigung kommt? In Deutschland gilt:

„Verträge sind zu erfüllen“.  Grundsätzlich ist jeder Unternehmer an sein Vertragsangebot gebunden, mit der Folge, dass er nur den angebotenen Preis an den Vertragspartner berechnen kann. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur möglich bei einer:

  • vertraglich vereinbarten Rücktrittsmöglichkeit
  • vertraglich vereinbarten Preisanpassungsklausel
  • Möglichkeit zur Anfechtung, z. B. wegen arglistiger Täuschung
  • einvernehmlichen Vertragsaufhebung oder
  • Störung der Geschäftsgrundlage.

Die Störung oder besser der Wegfall der Geschäftsgrundlage ist ein in § 313 BGB verankertes Prinzip.  Die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage greifen ein, wenn die Leistung zwar noch möglich, aber die „Opfergrenze“ überschritten ist. Offen ist, wann das der Fall sein kann. Anhaltspunkte hierzu gibt der Erlass des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BW) vom 25.03.2022. Unter Ziffer IV.2 wird dort aufgeführt:

„Sind die Materialien aus den im Erlass genannten Produktgruppen zwar zu beschaffen, muss das Unternehmen jedoch höhere Einkaufspreise zahlen als kalkuliert, gilt folgendes:

Auftraggeber und Auftragnehmer haben den Vertrag in der Annahme geschlossen, dass sich die erforderlichen Materialien grundsätzlich beschaffen lassen und deren Preise nur den allgemeinen Unwägbarkeiten des Wirtschaftslebens unterliegen. Sie hätten den Vertrag nicht mit diesem Inhalt geschlossen, hätten sie gewusst, dass die kommenden Kriegsereignisse in der Ukraine derart unvorhersehbaren Einfluss auf die Preisentwicklung nehmen würden“.

Das BW legt sich allerdings bei der Frage, wann die Opfergrenze erreicht sein kann nicht fest, sondern führt aus, dass dies eine Frage des Einzelfalls sein kann. Eine Kostensteigerung auf Seiten des Auftragnehmers zwischen 10 und 29 Prozent wird dabei als mögliche Orientierung ins Spiel gebracht.

Rechtsprechung und baurechtliche Literatur sind allerdings uneinheitlich. Auf jeden Fall ist immer auf eine Gesamtbetrachtung des Vertrages abzustellen und nicht auf das einzelne Vorprodukt. Eine bei Vertragserfüllung drohende Insolvenz dürfte jedenfalls nicht ausreichend sein. Das BM führt weiter aus:

Wenn nach dieser Prüfung von einer gestörten Geschäftsgrundlage auszugehen ist, hat der Auftragnehmer einen Anspruch auf Anpassung der Preise für die betroffenen Positionen. Das bedeutet nicht, dass der Auftraggeber sämtliche die Kalkulation übersteigenden Kosten trägt. Die Höhe der Vertragsanpassung ist im Einzelfall festzusetzen, wobei die o.g. Gesichtspunkte der Zumutbarkeit erneut zu berücksichtigen sind. Grundlage der Anpassung sind die reinen Materialpreise. Die Zuschläge für BGK (betriebliche Gemeinkosten), AGK (Allgemeine Geschäftskosten), Wagnis und Gewinn bleiben unberücksichtigt. Sollte die Zumutbarkeit durch die Preisanpassung nicht wiederhergestellt werden können, steht dem Auftragnehmer nach § 313 BGB ein Rücktrittsrecht vom Vertrag, bzw. ein Sonderkündigungsrecht zu. Das bedeutet nicht, dass den Forderungen des Unternehmens in vollem Umfang Rechnung getragen werden muss. Das Risiko einer insoweit unberechtigten Kündigung trägt das Unternehmen“.

Dabei darf ein weiteres, möglicherweise für die Geschäftsleitung des Auftragnehmers viel graviererendes Problem nicht vernachlässigt werden, denn möglicherweise besteht eine Insolvenzantragspflicht mit weitreichenden Haftungsrisiken für die Geschäftsleitung, die bis in das Privatvermögen hineinreichen.

Wir kennen in Deutschland zwei verpflichtende und einen fakultativen Insolvenzantragsgrund: Verpflichtende Insolvenzgründe sind Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung.

Insolvenzgrund Zahlungsunfähigkeit

Zahlungsunfähigkeit heißt, dass die fälligen Verbindlichkeiten die freien liquiden Mittel um mehr als zehn Prozent nicht nur vorrübergehend übersteigen. Fällig ist alles, was in der Kreditorenliste als fällig ausgewiesen, nicht gestundet und nicht bestritten ist. Freie liquide Mittel sind Cash auf dem Bankkonto, in der Kasse und freie Banklinien. Wurde Zahlungsunfähigkeit festgestellt, muss spätestens innerhalb von drei Wochen nach dieser Feststellung ein Insolvenzantrag gestellt werden. In Grenzsituationen empfiehlt es sich, einen permanenten Zahlungsfähigkeitsstatus zu erstellen.

Insolvenzgrund Überschuldung

Unter Berücksichtigung der besonderen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie gibt es seit dem 01.01.2021 Korrekturen beim Insolvenzgrund der Überschuldung. Überschuldung liegt dann vor, wenn die Verbindlichkeiten das Vermögen nach Auflösung etwaiger stiller Reserven übersteigen und keine positive Fortführungsprognose besteht.

Die positive Fortführungsprognose sollte in diesem Fall vom Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater im Jahresabschluss bescheinigt werden. Auch ein insolvenzerfahrener Dritter kann diese Bescheinigung erstellen. Seit dem 01.01.2021 gibt es allerdings Besonderheiten:

Droht das Unternehmen innerhalb der nächsten zwölf Monate zahlungsunfähig zu werden, müssen die Vermögenswerte zu Zerschlagungsgesichtspunkten bewertet werden. Ist es dann überschuldet, ist es antragspflichtig, wobei die Antragsfrist − anders als bei der Zahlungsunfähigkeit (drei Wochen) − bei Überschuldung sechs Wochen beträgt.

Allerdings sind bei der Überschuldungsprüfung die Verbindlichkeiten, die zum Stichtag der Überschuldungsprüfung bereits bestehen und Rückstellungen für Verbindlichkeiten zu passivieren, die bei insolvenzfreier Liquidation voraussichtlich entstehen würden. Dazu gehören insbesondere die auslaufenden Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, z. B. Arbeitsverträge, Mietverträge und Leasingverträge. Zu den Auslaufverbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen zählen auch künftige Sozialplanverbindlichkeiten, wenn das außergerichtliche Liquidationskonzept sozialplanpflichtige Betriebsänderungen vorsieht. Die Passivierung dieser Verbindlichkeiten macht die Überschuldung bei der Bewertung der Aktiva unter Liquidationsgesichtspunkten und damit die Insolvenzantragspflicht wahrscheinlicher.

Es ist deshalb Vorsicht geboten: Sollte die Preisanpassung oder der verlangte Rücktritt vom Vertrag vor Gericht scheitern, das Unternehmen aber permanente Verluste erwirtschaften, die innerhalb von zwölf Monaten vom Betrachtungszeitpunkt aus gesehen zur Zahlungsunfähigkeit führen, ist die Berechnung nach vorstehenden Vorgaben vorzunehmen.

Im Falle einer dann drohenden Zahlungsunfähigkeit fehlt es an der positiven Fortführungsprognose, wenn diese Berechnung zu einer Überschuldung führt. Wird der Insolvenzantrag dann nicht innerhalb von sechs Wochen gestellt, droht der Geschäftsleitung die persönliche Haftung mit dem Privatvermögen.

Sanierung durch ein Schutzschirmverfahren

Ein Rechtsstreit ist immer von Unwägbarkeiten getragen, der Ausgang eines Prozesses zunächst einmal offen. Wenn absehbar ist, dass der Auftraggeber nicht verhandlungsbereit ist, sollte unter einer entsprechenden Risikoabwägung auch über einen Insolvenzantrag nachgedacht werden.

Sobald der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt worden ist und bis dahin die Insolvenz nicht verschleppt wurde, befindet man sich auf der sicheren Seite. Der Insolvenzantrag kann schon bei bloß drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt werden. Es reicht für das Antragsrecht (keine Antragspflicht!), dass die Zahlungsunfähigkeit innerhalb der nächsten vierundzwanzig Monate eintritt.

Der Insolvenzantrag bedeutet nicht das Ende. Ein rechtzeitig gestellter Insolvenzantrag ermöglicht den Eintritt in ein sogenanntes Schutzschirmverfahren. Mit Verfahrenseröffnung können alle Verträge nur durch den Auftragnehmer (aber nicht durch den Auftraggeber) gekündigt werden.

Mit dem Verfahren lassen sich eine Vielzahl weiterer Vorteile erzielen. So übernimmt die Bundesagentur für Arbeit für bis zu drei Monate die Löhne und Gehälter der Mitarbeiter bis zur Beitragsbemessungsgrenze, Lohnsteuer fällt in diesem Zeitraum nicht an und Sozialabgaben sind bis zur Verfahrenseröffnung nicht abzuführen.

Letztlich kommt es immer auf den Einzelfall an. Allein mit diesem Drohszenario lassen sich oft schon im Vorfeld gewünschte Verhandlungsergebnisse erzielen, ohne dass es zu einem Insolvenzantrag kommen muss. Solche Verhandlungen sollten von einem insolvenzerfahrenen Juristen begleitet werden, denn nur das wird den Verhandlungen den gewünschten Nachdruck verleihen.

Es wird im Übrigen, erfahrene Begleitung vorausgesetzt, immer eine Lösung geben, ohne dass am Ende der Verlust des Unternehmens stehen wird.

Die völlig falsche Option wäre es aber, die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Agieren und nicht reagieren ist das wichtigste Gebot in derartigen Situationen.

Über den Autor

Geschäftsführer, Partner, Rechtsanwalt Robert Buchalik

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