Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Berichtigung der Insolvenztabelle nach Rücknahme seines Widerspruchs gegen eine angemeldete Forderung

Hat der Insolvenzverwalter einer zur Insolvenztabelle angemeldeten Forderung vorläufig widersprochen, so ist er verpflichtet, auf die Berichtigung der Insolvenztabelle hinzuwirken, wenn er den Widerspruch zurücknimmt. Hierzu kann er nach seiner Wahl die Rücknahme des Widerspruchs gegenüber dem anmeldenden Gläubiger oder aber gegenüber dem Insolvenzgericht erklären.

Verletzt er diese Pflicht schuldhaft, haftet er dem Gläubiger gemäß § 60 InsO für den Schaden, der diesem dadurch entsteht, dass die betreffende Forderung im Verteilungsverfahren gemäß der §§ 187 ff. InsO nicht berücksichtigt wird.

Der Schadensersatzanspruch des betreffenden Gläubigers kann gemäß § 254 BGB anteilig zu mindern sein, wenn dieser nach Rücknahme des Widerspruchs untätig bleibt. Dies ist die Quintessenz eines Urteils des BGH vom 27. April 2023, Az. IX ZR 99/22.

  1. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Das Finanzamt Zwickau meldete für den klagenden Freistaat Sachsen in dem am 16. April 2009 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der U GmbH Steuerforderungen i. H. v. 59.064,59 € zur Tabelle an.

Der Beklagte bestritt diese zunächst i. H. v. 50.049,27 €. Mit Schreiben vom 4. August 2009 teilte der Beklagte dem Finanzamt mit, dass nach nochmaliger Durchsicht der vorliegenden Unterlagen die angemeldeten Forderungen bis auf diejenigen aus Körperschaftssteuer und Solidaritätszuschlag für 2007 nunmehr anerkannt werden könnten.

Am 20. Oktober 2009 reduzierte das Finanzamt gegenüber dem Insolvenzgericht die angemeldeten Forderungen auf 50.850,59 €. Von dem Erlass von Feststellungsbescheiden sah es ab. Das Insolvenzgericht berichtigte die Insolvenztabelle am 6. April 2016 dahingehend, dass nunmehr die festgestellte Forderung 7.561,26 € betrage und angemeldete Forderungen i. H. v. 43.289,33 € bestritten seien.

Nach Bekanntmachung des Schlusstermins am 1. Juni 2017 forderte das Finanzamt bei dem Insolvenzgericht eine Abschrift des Schlussberichts und der Schlussrechnung an. Am 15. Februar 2018 erhielt das Finanzamt die Tabelle mit Stand 31. Januar 2018.

Mit Schreiben vom 16. Februar 2018 bat das Finanzamt den Beklagten um eine Korrektur der Tabelle, was er als nicht mehr möglich ablehnte. Der Kläger erhielt auf die bestrittene Forderung keine Zuteilungen. Am 8. August 2018 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben.

Der Kläger hat den Beklagten persönlich wegen dessen Tätigkeit als Insolvenzverwalter auf Schadensersatz nach § 60 InsO in Anspruch genommen. Er macht geltend, das Finanzamt habe keine Feststellungsbescheide erlassen, weil der Beklagte die zuletzt angemeldeten Forderungen mit dem Schreiben vom 4. August 2009 anerkannt habe. Während die Forderung bei der Verteilung berücksichtigt worden, hätte der Kläger 4.177,00 € erhalten.

Das Amtsgericht und das Landgericht haben die Klage abgewiesen. Aufgrund der zugelassenen Revision hat der BGH das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

2. Dies hat er im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Beklagte habe durch das vorläufige Bestreiten der Forderungen keine insolvenzspezifischen Pflichten verletzt. Sofern sich aufgrund der eingereichten Unterlagen Zweifel an der Berechtigung der Forderung aufdrängen oder aufdrängen müssen, könne er gehalten sein, die Forderung vorläufig zu bestreiten, um Zeit für eine weitergehende Prüfung zu gewinnen. Durch ein schuldhaftes Unterlassen des Widerspruchs mache der Insolvenzverwalter sich nach § 60 InsO persönlich haftbar. Umgekehrt könne aber auch das grundlose Bestreiten einer Forderung eine Schadensersatzpflicht gemäß § 60 InsO auslösen.

Eine ihm obliegende insolvenzspezifische Pflicht im Sinne von § 60 InsO habe der Beklagte aber verletzt, indem er weder das Insolvenzgericht über die Rücknahme des Widerspruchs in Kenntnis gesetzt noch das Finanzamt darauf hingewiesen habe, eine Berichtigung der Tabelle zu veranlassen. Denn der Insolvenzverwalter müsse nach der Rücknahme eines zuvor durch ihn erhobenen Widerspruchs, jedenfalls bei einem vorläufigen Bestreiten, auf eine Berichtigung der Insolvenztabelle hinwirken.

Umstritten sei bislang, wer der richtige Adressat für die Rücknahme des Widerspruchs sei, ob also die Erklärung entweder dem Gläubiger gegenüber oder dem Insolvenzgericht gegenüber oder ausschließlich nur dem Insolvenzgericht gegenüber abzugeben sei. Diese Frage sei dahingehend zu beantworten, dass dem Insolvenzverwalter beide Wege offen stünden.

Jedenfalls sei er aber bei persönlicher Verantwortlichkeit (§ 60 InsO) gehalten, in einer zur Tabellenberichtigung ausreichenden Weise den Antrag des Gläubigers zu unterstützen oder aber selbst die Berichtigung zu beantragen.

Soweit dem Kläger durch die Pflichtverletzung des Beklagten ein Schaden entstanden sei, werde zu prüfen sein, ob dem Schadensersatzanspruch ein dem Kläger zurechenbares Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB entgegenstehe. Da das Finanzamt jegliche Möglichkeit ungenutzt gelassen habe, einen Rechtsverlust in dem Insolvenzverfahren zu verhindern, müsse sich der Kläger in entsprechender Anwendung von § 278 BGB ein Mitverschulden des Finanzamts zurechnen lassen, dass die in eigenen Angelegenheiten obliegende Sorgfalt jedenfalls fahrlässig verletzt habe.

3. Fazit

Das Urteil IX ZR 99/22 schafft für den Insolvenzgläubiger einer zunächst bestrittenen Insolvenzforderung Rechtssicherheit dahingehend, dass er einen Anspruch gegen den Insolvenzverwalter auf aktive Unterstützung bei der Berichtigung der Insolvenztabelle hat, wenn der Widerspruch später zurückgenommen wird. Einen Freifahrtschein für Untätigkeit stellt der BGH dem Insolvenzgläubiger nicht aus.

Über den Autor

Geschäftsführer, Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht Jochen Rechtmann

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