• BV ESUG: Richtlinie zum außerinsolvenzlichen Sanierungsverfahren zeigt Perspektiven für kleinere mittelständische Unternehmen

Düsseldorf/Brüssel, 25. November 2016. Die lange erwartete Richtlinie der EU-Kommission zur Gestaltung eines außerinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens enthält überraschende und durchaus zielführende Elemente, die die bilanzielle Sanierung eines Unternehmens außerhalb eines Insolvenzverfahrens deutlich erleichtern werden. Ein Ersatz für eine Sanierung unter Insolvenzschutz wird die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht allerdings nicht sein. Mit dem ESUG (Gesetz zur erleichterten Sanierung von Unternehmen), das am 1. März 2012 in Kraft trat, hat der Gesetzgeber Rahmenbedingungen geschaffen, die weit über die Möglichkeiten hinausgehen, die sich aus der EU-Richtlinie ableiten lassen. Anders als erwartet, lassen sich aus der Richtlinie aber auch Perspektiven für kleinere mittelständische Unternehmen entnehmen. Viele der vorgeschlagenen Elemente sind aus dem ESUG abgeleitet, das wohl als Vorbild für die Richtlinie Pate gestanden hat.

Das empfohlene außerinsolvenzliche Sanierungsverfahren hat die Entschuldung des Unternehmens zum Ziel. Dadurch soll ein Eingriff in ungesicherte Gläubigerrechte möglich sein und die Gläubiger in einem Sanierungsplan, dessen Gestaltung dem Insolvenzplan nach deutschem Insolvenzrecht sehr ähnlich ist, gezwungen werden, Sanierungsbeiträge in Form von Forderungsverzichten zu leisten. Dazu werden sachgerechte Gläubigergruppen gebildet. Stimmt die Mehrheit der Gruppen dem Plan zu, gilt er grundsätzlich als angenommen. Vollstreckungsschutz und der Schutz vor Insolvenzanträgen von bis zu zwölf Monaten sollen den notwendigen Spielraum für eine Sanierung und Verhandlungen geben. Es werden zwar Sonderrechte für die Arbeitnehmer vorgesehen, aber auch hiervon sind Ausnahmen zulässig.

Nicht selten führt die Insolvenz auch zu Vernichtung der Existenz des handelnden Geschäftsführers oder Gesellschafters. Mit einer verkürzten Restschuldbefreiung von bisher fünf auf nun drei Jahren soll der Unternehmer in die Lage versetzt werden, danach wieder vollständig von Schulden befreit am Geschäftsleben teilzunehmen. Das könnte die Motivation bei Geschäftsführern und Gesellschaftern erhöhen, frühzeitig diesen Weg zu gehen, vor allem, wenn es bei der fünf Jahresfrist bleiben sollte.

Ein wesentlicher Diskussionspunkt war die Privilegierung von Sanierungs- und Überbrückungskrediten, die von Banken in dieser Sanierungsphase zur Verfügung gestellt werden. Ihnen soll nunmehr der Vorrang vor allen ungesicherten Verbindlichkeiten eingeräumt werden. Sollte es trotz des Sanierungsversuches zu einer Folgeinsolvenz kommen, soll der Insolvenzverwalter nicht die Möglichkeit haben, die Kreditvergabe anzufechten. In den vorangegangenen Diskussionen wollten die Insolvenzverwalter dieses Anfechtungsrecht erhalten wissen. Jedoch haben sich die Berater immer für die von der EU vorgeschlagene Regelung ausgesprochen.

Aus Sicht des BV ESUG und Sanierung fehlt aber ein wesentlicher Punkt: Im Rahmen des Verfahrens genießt das Unternehmen zwar Vollstreckungsschutz und Schutz vor Insolvenzanträgen, allerdings könnten die Kreditversicherer, das Versicherungsrisiko des Schuldners bei dessen Lieferanten kürzen oder gar streichen, eventuell den versicherten Lieferanten sogar untersagen, überhaupt zu liefern. Damit würde es zumindest zu Vorkasseforderungen der Lieferanten und damit zur schnellen Illiquidität des Schuldners kommen. Das wiederum führt zu einer faktischen Insolvenzantragspflicht, denn ohne ausreichende Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe ist eine Weiterproduktion in einem Sanierungsverfahren nicht denkbar. Hier muss der deutsche Gesetzgeber eine zusätzliche Regelung schaffen, um das außerinsolvenzliche Sanierungsverfahren zu einem wirkungsvollen Sanierungsinstrument zu machen.

Neben Finanzierungshilfen, die im Rahmen einer Sanierung unter Insolvenzschutz kraft Gesetzes gewährt werden (z.B. Insolvenzgeld, Nichtabführung von Umsatzsteuerzahllast und Sozialabgaben im vorläufigen Insolvenzverfahren) besteht der wesentliche Vorteil einer Sanierung unter Insolvenzschutz darin, dass Dauerschuldverhältnisse (z.B. Miet- oder Leasingverträge) unabhängig von der Laufzeit, mit einer Frist von maximal drei Monaten gekündigt werden können. Anders als im geltenden Insolvenzrecht sind auch Eingriffe in Arbeitnehmerrechte nicht vorgesehen (kürzere Kündigungsfristen, geringere Sozialplankosten). Auch hier wäre ein Nachbessern des Gesetzgebers wünschenswert, denn ansonsten bleibt die Sanierung unter Insolvenzschutz die wesentlich bessere Option.

„Der Entwurf eignet sich nur für Unternehmen mit einem durchaus funktionierenden Geschäftsmodell, aber unpassender oder zu komplexer Finanzierungsstruktur. Die leistungswirtschaftliche Sanierung wird von der Richtlinie nicht angesprochen. Es wird aber Aufgabe der Beteiligten des Verfahrens sein auch eine leistungswirtschaftliche Sanierung sicher zu stellen, ohne die eine reine Bilanzsanierung wirkungslos bleiben wird“, erklärt Sanierungsexperte Robert Buchalik.

Motivation der EU für den Erlass der Richtlinie

Die durchschnittliche Befriedigungserwartung von Gläubigern in der EU soll nach Angaben der Weltbank zwischen 30 Prozent (Kroatien und Rumänien) und 90 Prozent (Belgien und Finnland) liegen, wobei davon auszugehen ist, dass darin auch die Verwertungserlöse aus den Sicherheiten berücksichtigt sind. Der Wert soll steigen, je verbreiteter eine Sanierung im Insolvenzverfahren ist. So soll in Ländern, in denen die Sanierung durch ein Insolvenzverfahren weit verbreitet ist, die Insolvenzquote regelmäßig bei durchschnittlich 83 Prozent liegen, während die Liquidationsquote bei 57 Prozent liegt. Die Länge eines Insolvenzverfahrens schwankt dabei ebenfalls erheblich.

Im EU-Durchschnitt dauert ein Insolvenzverfahren zwischen zwei bis vier Jahre. Einfluss auf die Dauer des Verfahrens und die damit verbundenen Kosten sollen nach Angaben der Kommission die Spezialisierung der Richter und deren Fähigkeit zu kurzfristigen Entscheidungen, die Professionalität des Sanierungsberaters sowie die Nutzung digitaler Medien haben.

Nach Angaben der EU-Kommission gehen im Zuge einer Insolvenz bis zu 1,7 Mio. Arbeitsplätze jährlich verloren. Den Grund dafür sieht die Kommission primär darin, dass statt eines frühzeitigen Sanierungsversuchs eher die Liquidation eingeleitet wird.

  1. Ziele des Entwurfs

Um diese Ausgangslage zu verbessern, hat die EU-Kommission am 22.11.2016 einen Entwurf für eine EU-Richtlinie zum außerinsolvenzlichen Sanierungsverfahren vorgelegt.

Dieser Entwurf hat folgende Schwerpunkte:

  • Unterstützung insolvenzbedrohter, aber noch lebensfähiger Unternehmen mit finanziellen Problemen durch Schaffung eines planbaren, kostengünstigen und gerichtsfernen Sanierungsverfahrens.
  • Erhalt von Unternehmen und Arbeitsplätzen
  • Vermeiden von Schäden für Gläubiger, Eigentümer und die Volkswirtschaft im Zuge eines Insolvenz- bzw. Liquidationsverfahrens
  • Die Harmonisierung der Insolvenz- und Sanierungsrechtsordnungen soll grenzüberschreitende Investments attraktiver machen. Nach den Vorstellungen der EU-Kommission bereiten die unterschiedlichen Rechtsordnungen innerhalb der EU den Investoren Probleme bei der Risikobewertung ihres Investments in krisenbefangene Unternehmen. Dadurch entstehen höhere Transaktionskosten und letztlich sinkt die Bereitschaft, das Investment einzugehen.
  • Langfristig erhofft sich die EU-Kommission, dass durch die Harmonisierung der Insolvenz- und Sanierungsrechtsordnungen nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der EU zunimmt, sondern auch das Wachstum und der Handel innerhalb der EU gefördert werden.
  • Zusätzlich soll die Flucht insolventer natürliche Personen in ein System mit einer kürzeren Restschuldbefreiungsdauer (z.B. England) unterbunden werden und Unternehmern die Angst vor dem Stigma der Insolvenz und dem Scheitern genommen werden.

 

  1. Eckpunkte des Entwurfs

Das außerinsolvenzliche Sanierungsverfahren betrifft Unternehmen in Insolvenznähe mit finanziellen Schwierigkeiten und Regelungen über die Entschuldung von Unternehmern. Eine Insolvenzantragspflicht darf noch nicht bestehen.

Das jeweilige EU-Land soll ein Frühwarnsystem zur Krisenfrüherkennung und Information über Sanierungs- und Entschuldungsmöglichkeiten bereitstellen.

Besondere Zugangsvoraussetzungen regelt der Entwurf nicht. Insbesondere muss das betroffene Unternehmen nicht seine Lebensfähigkeit („test of viability“) nachweisen. Die Prüfung der Lebensfähigkeit des Unternehmens/Schuldners soll Aufgabe der Gläubiger sein, bevor sie den Regelungen im Sanierungsplan zustimmen.

Um einen Missbrauch des Verfahrens zu vermeiden, muss der Sanierungsplan gleichwohl darstellen, dass eine Insolvenz gedroht hat und dass die Insolvenz des Unternehmens/Schuldners durch die Forderungsverzichte der Gläubiger vermieden werden kann.

Der Unternehmer behält während des gesamten Verfahrens die volle Kontrolle über sein Unternehmen. Mediatoren und Überwacher sollen zwar eine Rolle spielen, sie werden aber nicht zwingend in jedem Fall durch das Gericht ernannt.

Das Unternehmen/der Schuldner kann eine zeitweise Aussetzung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen („stay of individual enforcement actions“) für bis zu maximal vier Monaten beantragen, um einen Sanierungsplan zu erstellen.

Die zweitweise Aussetzung der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen kann umfassend sein oder nur einzelne Gläubiger betreffen.

Arbeitnehmerforderungen sollen grundsätzlich von dem zeitweisen Verbot von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ausgenommen sein und zwar ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Entstehung dieser Forderungen. Von diesem Grundsatz kann jedoch durch die jeweilige Rechtsordnung abgewichen werden, sofern ein vergleichbares Schutzniveau für Arbeitnehmerforderungen anderweitig sichergestellt wird.

Eine Verlängerung des Zwangsvollstreckungsverbots durch das Gericht soll auf Antrag des Unternehmens/Schuldners zulässig sein, wenn dadurch die Sanierung gefördert wird und die Gläubiger nicht unangemessen benachteiligt werden. Dies soll der Fall sein, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Sanierungsplan im Abstimmungstermin angenommen wird.

Insgesamt soll das Verbot der Zwangsvollstreckung die Dauer von zwölf Monaten nicht überschreiten.

Tritt während dieses Moratoriums eine Insolvenzantragspflicht ein, soll die Frist für einen Insolvenzantrag suspendiert sein. Fremdanträge durch Gläubiger sind nicht möglich.

Eine automatische Beendigung des Sanierungsverfahrens wegen des Eintritts der materiellen Insolvenz soll grundsätzlich nicht eintreten. Es soll vielmehr das Gericht entscheiden, ob das Sanierungsverfahren fortgesetzt oder in ein Insolvenzverfahren übergeleitet wird.

Zusätzlich soll zum Schutz des Unternehmens/Schuldners eine Kündigung bzw. Beendigung von Verträgen mit dem betroffenen Unternehmen wegen des Sanierungsverfahrens nicht möglich sein. Entsprechende Kündigungsklauseln sind ab Wirksamwerden des Moratoriums außer Kraft, um den Sanierungsversuch nicht zu gefährden.

Die Abstimmung über den Sanierungsplan erfolgt in Gruppen. Anstelle des Einstimmigkeitserfordernisses gilt das Mehrheitsprinzip. Entscheidend ist die Summe der Forderungen innerhalb der Gruppe bzw. die Höhe der Beteiligung am Eigenkapital.

Bei der Bildung der Gruppen ist das jeweilige wirtschaftliche Interesse maßgebend. Mischgruppen sind unzulässig.

Für gesicherte und ungesicherte Gläubiger ist zwingend jeweils eine eigene Gruppe zu bilden.

Soweit der Sanierungsplan in die Rechte von Arbeitnehmern (z.B. Änderung der bestehenden Tarifverträge oder der Betriebsorganisation) eingreift, erhalten diese ein Stimmrecht bei der Abstimmung über den Sanierungsplan.

Die Bildung einer eigenen Abstimmungsgruppe für Arbeitnehmer und Kleingläubiger ist wegen ihrer besonderen Betroffenheit möglich. Gleiches gilt für Forderungen verbundener Unternehmen, bestrittene Forderungen und bedingte Ansprüche.

Fälle, in denen der Sanierungsplan zwingend einer gerichtlichen Bestätigung bedarf und Regelung der Voraussetzungen für eine Bestätigung, sind folgende:

  • Ersetzung der Zustimmung einer ablehnenden Gläubigergruppe und
  • wenn der Plan eine neue Finanzierung zur Verfügung stellt.

Die Voraussetzungen für die Zustimmungsersetzung sind:

  • Zustimmung der Mehrheit der Gruppen zum Plan (Art. 9)
  • „best interest of creditors“-Test: Danach darf kein Gläubiger durch den Sanierungsplan schlechter gestellt werden, als er ohne den Plan (im Falle der Liquidation) stünde, egal ob eine Einzelverwertung stattfindet oder ein Verkauf im Ganzen.
  • Die neue Finanzierung muss Voraussetzung für die Umsetzung des Plans sein und keinen betroffenen Gläubiger unangemessen benachteiligen.

Die Bestätigung soll unverzüglich, spätestens aber innerhalb von 30 Tagen, beginnend mit dem Antrag auf Bestätigung, erfolgen.

Die Bestätigung des Plans ist abzulehnen, wenn der Plan nicht ausreicht, um eine Insolvenz erfolgreich zu verhindern und das Überleben des Unternehmens nicht gesichert erscheint.

Gesellschafter sollen nur unter bestimmten Voraussetzungen gegen den Sanierungsplan stimmen können. Ob die fehlende Zustimmung der Gesellschafter durch das Gericht ersetzt werden soll, steht im Ermessen des Planvorlegers.

Im Falle der Anfechtung wegen eines Verstoßes gegen den best-interest-Test soll das Gericht bzw. ein gerichtlich bestellter Sachverständiger den Unternehmenswert festlegen.

Der bestätigte Sanierungsplan wirkt für und gegen alle Beteiligten des Sanierungsplanverfahrens. In die Rechte der Gläubiger, die nicht dem Plan zugestimmt haben, darf der Plan hingegen nicht eingreifen.

Im Falle der Anfechtung des Sanierungsplans gilt das Beschleunigungsprinzip: Zum Schutz der Sanierung hat die Anfechtung keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Bestätigung des Sanierungsplans (keine aufschiebende Wirkung).

Der entsprechende Antrag auf Versagung der Bestätigung des Plans ist abzuweisen, wenn im Sanierungsplan Mittel für den Fall bereitgestellt werden, dass ein Beteiligter eine Schlechterstellung nachweist.

Banken sollen zur Mitwirkung bei der Sanierung motiviert werden. Der Entwurf sieht vor, Sanierungs- und Überbrückungskredite im Falle eines Insolvenzantrages gegenüber den Altforderungen (= Forderungen aus dem Zeitraum vor Einleitung des Sanierungsverfahrens) im Insolvenzverfahren vorrangig zu bedienen. Zusätzlich soll ein grundsätzliches Verbot der Insolvenzanfechtung gelten.

Um einen Missbrauch zu vermeiden, sollen aber nur solche Finanzierungen geschützt sein, die angemessen und unmittelbar notwendig für die Betriebsfortführung oder den Erhalt des Wertes des Unternehmens sind.

Die Richtlinie sieht einen besonderen Schutz für angemessene Beraterkosten, gezahlte Arbeitnehmerentgelte und andere betriebsnotwendige Zahlungen vor.

Die Richtlinie sieht auch umfassende Fortbildungspflichten für Richter und Anforderungen an die Qualifikation von Sanierungsberatern und Mediatoren vor.

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