Neues aus Brüssel! Der nächste Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Harmonisierung des Insolvenzrechts

Gerade erst wurde mit den am 01.01.2021 in Kraft getretenen Neuregelungen des StaRUG (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz) die Restrukturierungsrichtlinie der EU zum präventiven Restrukturierungsrahmen in deutsches Recht umgesetzt. Nunmehr ist die EU-Kommission mit dem am 07.12.2022 veröffentlichten Richtlinienvorschlag zur Harmonisierung des Insolvenzrechts abermals dabei, das deutsche Insolvenz- und Sanierungsrecht zu ändern.

Der Beitrag versucht der Frage nachzugehen, ob damit der Sanierungs- und Insolvenzrechtsbranche erneut ein großer Umbruch bevorsteht, wie seinerzeit durch das seit 2012 geltende ESUG mit der Möglichkeit der Eigenverwaltung.

Regelungen zur Insolvenzanfechtung und zu Gläubigerausschüssen

Die Richtlinie legt Mindeststandards für die Bildung von Gläubigerausschüssen fest und regelt Insolvenzanfechtungstatbestände. Im Vergleich zu den bisherigen deutschen Regelungen ergeben sich hier keine großen Abweichungen. Lediglich bei der Schenkungsanfechtung, für die in Deutschland ein Anfechtungszeitraum von vier Jahren gilt, sieht die EU- Richtlinie nur ein Jahr als Anfechtungszeitraum vor.

Verbesserungen zum Aufspüren von grenzüberschreitenden Vermögenswerten

Die Richtlinie sieht auch verbesserte Möglichkeiten eines grenzüberschreitenden Asset Tracing vor. Hierfür soll ein neues EU-weites Vermögensregister geschaffen bzw. der Zugang zu bestehenden Registern erleichtert werden. So sollen beispielsweise die Insolvenzverwalter über die Insolvenzgerichte Einsicht in die jeweiligen zentralen Bankkontenregister der Mitgliedsstaaten erhalten.

Neues „Pre-Pack“- Verfahren: Vorteil des Übergangs von Verträgen

Weiterhin sieht die Richtlinie ein neues Verfahren vor, das sogenannte „Pre-Pack-Verfahren“. Dabei handelt es sich um die vorinsolvenzrechtliche Abstimmung eines Unternehmensverkaufs, der in der Insolvenz unter Ausschluss der Altverbindlichkeiten durchgeführt wird. Im Vorfeld soll ein sogenannter „Monitor“, der über die gleichen Qualifikationen wie ein Insolvenzverwalter verfügt, gewährleisten, dass ein fairer Verkaufsprozess im Sinne der bestmöglichen Gläubigerinteressen (best-interest-of-creditors-test) durchgeführt wird und ein Verkaufserlös erzielt wird, der über dem Liquidationswert liegt.

Dieser „Monitor“ wird auf Antrag des Schuldners gerichtlich bestellt. In dieser Phase des Verkaufsprozesses, in der das Tagegeschäft vom Unternehmen weitergeführt wird, soll Vollstreckungsschutz bestehen. Der eigentliche Verkauf soll dann unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Gericht genehmigt werden. Durch das Vorziehen des Unternehmensverkaufs soll das eigentliche Insolvenzverfahren so schnell wie möglich abgewickelt und die Befriedigungschancen angeblich erhöht werden.

Ganz neu ist diese Idee zumindest aus Sicht der deutschen Praxis nicht. So wird in vielen Fällen im Rahmen des vorläufigen Insolvenzverfahrens ein Investorenprozess eingeleitet, der dann unmittelbar nach Verfahrenseröffnung in einen Verkauf ohne Übernahme der Altverbindlichkeiten mündet (übertragende Sanierung oder Asset Deal).

Allerdings haben die Gläubiger in diesem bisherigen Modell weitreichende Mitspracherechte. Dies scheint beim neuen „Pre-Pack“ auf den ersten Blick weniger der Fall zu sein.

Verträge, die nicht zwingend betriebsnotwendig sind, können im „Pre-Pack“-Verfahren auf gerichtliche Anordnung gekündigt werden, wenn dies im Interesse des Schuldners liegt. Diese Möglichkeit des Nichteintritts besteht auch bei der übertragenden Sanierung.

Der große Vorteil des neuen „Pre-Pack“-Verfahrens liegt jedoch darin, dass die zwingend erforderlichen und noch zu erfüllenden Verträge auf den Erwerber übergehen. Eine Zustimmung des Vertragspartners ist nicht erforderlich.  Bei der bisher praktizierten übertragenden Sanierung hingegen mussten Vermieter oder auch Kunden dem Vertragsübergang auf den neuen Erwerber zustimmen, was in einigen Fällen bzw. bei Filialisten eine Übertragung per Asset Deal massiv erschwert oder unmöglich gemacht hat.

Vor diesem Hintergrund könnte das neue „Pre-Pack“-Verfahren zukünftig für einige Sonderfälle interessant sein und die bisher praktizierte „übertragende Sanierung“ verdrängen.

Vereinfachtes Verfahren für Kleinstunternehmen − das verwalterlose Verfahren

Für die größte Diskussion sorgt der Entwurf derzeit durch die Einführung eines verwalterlosen Insolvenzverfahrens für Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von nicht mehr als zwei Millionen EUR oder einer Bilanzsumme von nicht mehr als zwei Millionen EUR. Die EU-Kommission stellt sich ein reduziertes Verfahren vor, bei dem der Schuldner selbst die Insolvenztabelle führt und die Verwertung von Vermögensgegenständen über öffentliche Onlineauktionen erfolgt. Eine Anfechtung soll nur in Ausnahmefällen stattfinden und die Bestellung eines Insolvenzverwalters soll nur auf Antrag eines Gläubigers oder des Schuldners selbst erfolgen.  Hintergrund ist, dass es auch diesen Kleinstunternehmen ermöglicht werden soll, die Restschuldbefreiung zu erlangen, auch wenn sie die Kosten eines Insolvenzverfahrens nicht tragen können.

Dies ist in Deutschland jedoch durch die Möglichkeit der Verfahrenskostenstundung gegeben. Insofern dürfte die Implementierung eines solchen Verfahrens nicht erforderlich sein. Im Übrigen müssten auch diese Kleinstunternehmen für eine ordnungsgemäße Abwicklung bzw. Beantragung insolvenzrechtliche Berater hinzuziehen, die bezahlt werden müssten.

Ausblick

Es bleibt abzuwarten, mit welchem Inhalt die Richtlinie letztendlich verabschiedet wird. Sicherlich wird es dabei noch Änderungen geben. Viele Aspekte insbesondere des „Pre-Pack“-Verfahrens sind im deutschen Sanierungsrecht und in der geübten Praxis der übertragenden Sanierung bereits enthalten. Die Umsetzung eines verwalterlosen Verfahrens – wenn es denn dazu kommt – würde jedenfalls die Verwalterbranche massiv treffen. So dürften von der Gesamtzahl der derzeit verwalteten Unternehmensinsolvenzen schätzungsweise ca. 60 Prozent oder mehr der verwalteten Fälle die vom Richtlinienentwurf betroffenen Kleinstunternehmen sein.

Jedenfalls zeigt sich der Trend, dass sich die Bewältigung von Krisen immer mehr auf das Vorfeld der Insolvenz verlagert, weg von der reinen Insolvenzverwaltung hin zur außergerichtlichen Beratung unter Nutzung neuer Sanierungswerkzeuge.

Über den Autor

Geschäftsführer, Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht Dr. Jasper Stahlschmidt

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