Geschäfts­lei­ter­haf­tung bei Stun­dung von Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen in der Corona-Krise

Die Coro­­na-Kri­­se hat die deut­sche Wirt­schaft „kalt“ erwischt. Eine Vor­be­rei­tung auf die Kri­se war prak­tisch nicht mög­lich. Der Gesetz­ge­ber hat aller­dings schnell reagiert und Mit­tel wie Kurz­ar­beit, Bun­­des- oder Lan­des­kre­di­te, Steu­er­stun­dun­gen und Rück­zah­lung von Steu­er­vor­aus­zah­lun­gen u.v.m. zur Ver­fü­gung gestellt, um die Kri­se mög­lichst abzuwenden.

Auch die vor­über­ge­hen­de Aus­set­zung der Insol­venz­an­trags­pflicht gehört dazu. Wäh­rend Kre­dit und Kurz­ar­beit nicht sofort wir­ken und das Kurz­ar­bei­ter­geld erst nach Antrag erstat­tet wird (der Antrag kann frü­hes­tens am 1. des Fol­ge­mo­nats gestellt wer­den) und die KFW-Kre­­di­­te nicht sofort zur Aus­zah­lung gelan­gen, haben vie­le Unter­neh­men neben Steu­er­stun­dun­gen auch das Instru­ment der Stun­dung von Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen in Anspruch genom­men. Als Zah­lungs­auf­schub ver­schafft das Instru­ment ledig­lich einen kurz­fris­ti­gen Vor­teil für die Liqui­di­täts­la­ge und ist dazu mit nicht uner­heb­li­chen Risi­ken ver­bun­den. Eine auch nur teil­wei­se Ver­lust­de­ckung, wie etwa durch das Kurz­ar­bei­ter­geld, erfolgt nicht, son­dern die Bei­trä­ge sind in vol­lem Umfang zur Rück­zah­lung geschuldet.

Recht­li­che Grund­la­gen und Voraussetzungen

Die Vor­aus­set­zun­gen für eine Stun­dung von Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen erge­ben sich aus § 76 SGB IV. Gemäß § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB IV kön­nen Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­ge gestun­det wer­den, wenn die sofor­ti­ge Ein­zie­hung mit erheb­li­chen Här­ten für das Unter­neh­men ver­bun­den wäre und der Anspruch durch die Stun­dung nicht gefähr­det wird.

Hand­ha­bung vor der Corona-Krise

Vor der Coro­­na-Kri­­se wur­den Stun­dun­gen von Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen nur sehr zurück­hal­tend gewährt. Ins­be­son­de­re bei einer Gefähr­dung des Bei­trags­an­spru­ches wur­den sie ausgeschlossen.

Bei einer ein­ge­tre­te­nen Zah­lungs­un­fä­hig­keit gemäß § 17 Abs. 1 InsO kam eine Stun­dung nicht in Betracht, da die Zah­lungs­schwie­rig­kei­ten nicht nur vor­über­ge­hend sind. Vor der Aus­set­zung der Insol­venz­an­trags­pflicht durch § 1 COVIn­sAG (Gesetz zur Abmil­de­rung der Fol­gen der COVID-19-Pan­­de­­mie im Zivil‑, Insol­­venz- und Straf­ver­fah­rens­recht v. 27.3.2020, BGBl. 2020, Teil I, Nr. 14, S. 569 ff.)
führ­te die Zah­lungs­un­fä­hig­keit zu einer unver­züg­li­chen Insol­venz­an­trags­pflicht gemäß§ 15a InsO und damit zur Eröff­nung eines Insol­venz­ver­fah­rens. Die Ein­zugs­stel­le könn­te ihre Ansprü­che nur noch zur Insol­venz­ta­bel­le anmel­den und wür­de ledig­lich eine Quo­ten­zah­lung auf ihre Insol­venz­for­de­run­gen erhal­ten. Damit wäre der Bei­trags­an­spruch gefähr­det und eine Stun­dung käme nicht in Betracht.

Wenn nur eine dro­hen­de Zah­lungs­un­fä­hig­keit gemäß § 18 Abs. 2 InsO vor­liegt, fehlt eine posi­ti­ve Fort­füh­rungs­pro­gno­se i.S.d. § 19 Abs. 2 S. 1 InsO, und es ist eine Über­schul­dungs­bi­lanz zu Liqui­da­ti­ons­wer­ten auf­zu­stel­len, die im Regel­fall eben­falls zur Insol­venz­an­trags­pflicht und einer Gefähr­dung des Bei­trags­an­spruchs führt.

Eine Zurück­hal­tung bei der Stun­dung ist auch durch die Insol­venz­an­fech­tung bedingt. Die Ein­zugs­stel­le setzt sich der Gefahr einer spä­te­ren Insol­venz­an­fech­tung aus, wenn Umstän­de mit­ge­teilt wer­den, die als Beweisan­zei­chen für die Kennt­nis einer Zah­lungs­ein­stel­lung und eines Gläu­bi­ger­be­nach­tei­li­gungs­vor­sat­zes die­nen. Ein Bei­trags­rück­stand von sechs Mona­ten wird als Beweisan­zei­chen für die Kennt­nis der Ein­zugs­stel­le für eine zumin­dest dro­hen­de Zah­lungs­un­fä­hig­keit angesehen.

Prak­ti­sche Handhabung

Man­gels neu­er Bestim­mun­gen, aber einer offen­sicht­li­chen wirt­schaft­li­chen Här­te für vie­le Unter­neh­men, und der Zeit­knapp­heit bis zur Ent­schei­dung wur­de zunächst von den Ein­zugs­stel­len unein­heit­lich ent­schie­den. Die Ein­zugs­stel­len zeig­ten gro­ßes Ver­ständ­nis für die Stun­dungs­bit­ten, wohl auch, weil die wirt­schaft­li­che Kri­se unver­schul­det war. Den­noch bestand zunächst eine deut­li­che Zurück­hal­tung unter Ver­weis auf eine feh­len­de Ent­schei­dung des GKV Spitzenverbandes.

In der Fol­ge ergin­gen bei ent­spre­chen­den Stun­dungs­an­trä­gen eine Viel­zahl unter­schied­li­cher Ent­schei­dun­gen der Kran­ken­kas­sen. Mitt­ler­wei­le ist aber klar­ge­stellt, dass eine Stun­dung für die Mona­te März, April und Mai zuläs­sig ist und die Rück­zah­lung der gestun­de­ten Bei­trä­ge mit der Fäl­lig­keit der Bei­trä­ge, also am 26. 06.2020, erfol­gen muss. Da die Coro­­na-Kri­­se noch nicht über­wun­den ist und vie­le Betrie­be erst lang­sam hoch­lau­fen, wür­de eine Ein­mal­zah­lung am 26.06.2020 vie­le Unter­neh­men vor unab­seh­ba­re Schwie­rig­kei­ten stel­len. Des­halb kann auf Antrag eine Raten­zah­lung gewährt wer­den und die Rück­zah­lung der gestun­de­ten Bei­trä­ge in zwölf glei­chen Raten ab dem 26.06.2020 erfol­gen. Mus­ter für der­ar­ti­ge Raten­zah­lungs­an­trä­ge sind im Inter­net ver­öf­fent­licht. Um jeg­li­ches Haf­tungs­ri­si­ko aus­zu­schlie­ßen, soll­te dar­auf geach­tet wer­den, dass die Zustim­mung zur Raten­zah­lung der jewei­li­gen Kran­ken­kas­se vor dem 26.06.2020 vorliegt.

Haf­tung des Geschäfts­lei­ters für Arbeit­neh­mer­bei­trä­ge wäh­rend der Corona-Krise

Die Haf­tung des Geschäfts­lei­ters für nicht abge­führ­te Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­ge bezieht sich immer nur auf die Ver­pflich­tung zur Abfüh­rung der Arbeit­neh­mer­bei­trä­ge, nicht auf die Abfüh­rung der Arbeit­ge­ber­bei­trä­ge. Bei nicht aus­rei­chen­der Liqui­di­tät soll­te des­halb die Abfüh­rung nur auf die Arbeit­neh­mer­bei­trä­ge erfol­gen. Dazu bedarf es auf dem Über­wei­sungs­trä­ger einer ent­spre­chen­den Til­gungs­be­stim­mung, ansons­ten wird im Zwei­fel auf die Arbeit­ge­ber­bei­trä­ge ver­rech­net. Ein­zugs­er­mäch­ti­gun­gen oder Abbu­chungs­auf­trä­ge sind recht­zei­tig zu widerrufen.

Die Stun­dung von Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen stellt grund­sätz­lich ein haf­tungs­re­le­van­tes Sanie­rungs­mit­tel dar, da das Vor­ent­hal­ten von Arbeit­neh­mer­bei­trä­gen zur Fäl­lig­keit gemäß § 266a StGB straf­bar ist. Zudem besteht eine flan­kie­ren­de, per­sön­li­che Haf­tung des Geschäfts­lei­ters gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB. Die Recht­spre­chung ver­langt von dem Geschäfts­lei­ter, dass die­ser Rück­stel­lun­gen bil­det und vor­ran­gig die Arbeit­neh­mer­bei­trä­ge leis­tet. Dem­ge­gen­über ist eine Straf­bar­keit und per­sön­li­che Haf­tung nicht gege­ben, wenn eine Unmög­lich­keit zur Leis­tung vor­liegt, da es sich bei § 266a StGB um ein ech­tes Unter­las­sungs­de­likt han­delt. Gemäß § 266a Abs. 6 S. 1 StGB kann von einer Stra­fe abge­se­hen wer­den, wenn der Arbeit­ge­ber zumin­dest unver­züg­lich nach der Fäl­lig­keit dar­legt, war­um die frist­ge­mä­ße Zah­lung nicht mög­lich war, obwohl er sich ernst­haft dar­um bemüht hat. Sofern die Bei­trä­ge nach­träg­lich inner­halb einer von der Ein­zugs­stel­le nach­ge­setz­ten Frist geleis­tet wer­den, wird gemäß § 266a Abs. 6 S. 2 StGB nicht bestraft. Die Fäl­le, in denen auf­grund der Aus­wir­kun­gen der Coro­­na-Kri­­se sofort kei­ne Mit­tel zur Leis­tung von Arbeit­neh­mer­bei­trä­gen zur Sozi­al­ver­si­che­rung mehr vor­han­den waren und die Nicht­zah­lung damit unver­schul­det nicht erfolg­te, dürf­ten sehr sel­ten sein. Da die Aus­wir­kun­gen der Coro­­na-Kri­­se aber ande­rer­seits schwer ein­zu­schät­zen sind, besteht das gene­rel­le Risi­ko, dass die Bei­trä­ge gestun­det wur­den, aber zur Fäl­lig­keit nicht geleis­tet wer­den kön­nen, obwohl bei Ver­zicht auf Zah­lung ande­rer Ver­bind­lich­kei­ten noch Zah­lun­gen an die Ein­zugs­stel­len hät­ten vor­ge­nom­men wer­den können.

Es ist davon aus­zu­ge­hen – wenn auch umstrit­ten – dass ein soge­nann­ter Vor­rang der Bei­trags­schuld besteht, d.h., es besteht eine Pflicht zur Liqui­di­täts­vor­sor­ge bezo­gen auf den Zeit­punkt der Fäl­lig­keit der Bei­trags­schuld, zumin­dest dann, wenn Liqui­di­täts­schwie­rig­kei­ten erkenn­bar sind. In die­sem Fall hat der Arbeit­ge­ber vor dem Fäl­lig­keits­ter­min im Rah­men des tat­säch­lich Mög­li­chen und recht­lich Zumut­ba­ren für das Vor­han­den­sein der Mit­tel zu sor­gen, die zur Erfül­lung der Bei­trags­schuld benö­tigt wer­den. Inso­weit besteht nach gefes­tig­ter Recht­spre­chung ver­mut­lich ein Vor­rang der Erfül­lung der Bei­trags­ab­füh­rungs­pflicht des Arbeit­ge­bers vor allen sei­nen ande­ren Zah­lungs­ver­pflich­tun­gen. Der BGH lei­tet die­sen Vor­rang einer­seits aus dem Umstand der Straf­be­weh­rung der Nicht­er­fül­lung der Bei­trags­schuld und aus dem Vor­han­den­sein der ansons­ten lehr­lau­fen­den Pri­vi­le­gie­rung ab.
Die­se Grund­sät­ze dürf­ten auch unter Coro­na gel­ten und sich eben­falls auf gestun­de­te Bei­trä­ge beziehen.

Die Stun­dung von Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen ist daher auch unter Coro­na sehr haftungsträchtig

Soll­te beab­sich­tigt sein, vor dem 26.06.2020 einen Insol­venz­an­trag zu stel­len, soll­ten zumin­dest die Arbeit­neh­mer­bei­trä­ge zur gesetz­li­chen Sozi­al­ver­si­che­rung rein vor­sorg­lich gezahlt wer­den. Um Haf­tungs­an­sprü­chen des Insol­venz­ver­wal­ters oder Sach­wal­ters zu ent­ge­hen, sind die Krank­len­kas­sen ent­we­der vor­her bös­gläu­big zu machen oder aber es ist vor­fäl­lig zu zah­len. Dann hat der Insol­venz­ver­wal­ter oder Sach­wal­ter die Mög­lich­keit, die Zah­lung im eröff­ne­ten Ver­fah­ren anzu­fech­ten und die gezahl­ten Bei­trä­ge zur Mas­se zurück­zu­for­dern. Soll­te der Antrag vor dem 26.06.2020 gestellt wer­den und der Beschluss vor dem 26.06.2020 vor­lie­gen, kann die Zah­lung ver­mie­den wer­den, wenn das Gericht einem bean­trag­ten Zustim­mungs­vor­be­halt im Eigen­ver­wal­tungs­ver­fah­ren (Zah­lung von Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen nur mit Zustim­mung des vor­läu­fi­gen Sach­wal­ters) zuge­stimmt hat und der vor­läu­fi­ge Sach­wal­ter hier­von Gebrauch gemacht hat. Um hier­bei nicht gleich­wohl in eine Haf­tungs­fal­le zu tap­pen, soll­te vor­her immer ein insol­ven­zer­fah­re­ner Rechts­an­walt zu Rate gezo­gen werden.

Fazit und Handlungsempfehlung

Die zins­freie Stun­dung von Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen stellt ein wich­ti­ges Instru­ment zur kurz­fris­ti­gen Liqui­di­täts­ver­bes­se­rung in der Coro­­na-Kri­­se dar. Hier­durch wird ein Zeit­vor­teil ver­schafft, um ande­re Liqui­di­täts­maß­nah­men umzu­set­zen. Gleich­wohl muss von vorn­her­ein berück­sich­tigt wer­den, dass es sich eben nur um eine Stun­dung han­delt und die Rück­zah­lung muss bedacht wer­den. Durch die Beschrän­kung auf die Arbeit­neh­mer­bei­trä­ge wird die Liqui­di­tät geschont. Zwar sind auch die Arbeit­ge­ber­bei­trä­ge geschul­det, die Nicht­zah­lung führt aber weder zu einer Straf­bar­keit noch einer per­sön­li­chen Haf­tung des Geschäftsleiters.

Die Zah­lungs­fä­hig­keit, zumin­dest hin­sicht­lich der Arbeit­neh­mer­bei­trä­ge, soll­te durch eine lau­fend aktua­li­sier­te Liqui­di­täts­pla­nung beob­ach­tet wer­den, damit eine zivil- und straf­recht­li­che Haf­tung ver­mie­den wird. Soll­te die Rück­zahl­bar­keit danach in Fra­ge ste­hen, könn­te ein recht­zei­ti­ger Insol­venz­an­trag ein pro­ba­tes Mit­tel sein, um einer Straf­bar­keit oder einer per­sön­li­chen zivil­recht­li­chen Haf­tung zu entgehen.

RA Robert Buch­a­lik, Geschäfts­füh­rer, Partner

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