Haftungsfalle Überschuldung

Unter Berücksichtigung der besonderen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und des Angriffskrieges in der Ukraine gibt es seit dem 01.01.2021 und dem 09.11.2022 Korrekturen bei den Insolvenzantragsgründen.

Bislang wurde der Insolvenzeröffnungsgrund der Überschuldung unter Haftungsgesichtspunkten für die Geschäftsleitung eher vernachlässigt. Dies hat sich mit der gesetzlichen Neuregelung zum 01.01.2021 gravierend verändert.

Der Insolvenzeröffnungsgrund der Überschuldung liegt grundsätzlich vor, wenn das Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nach Auflösung der stillen Reserven nicht mehr deckt (§ 19 Abs. 2 S.1 InsO), es sei denn die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich (insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose).

Die insolvenzrechtliche Fortbestehensprognose weist zwei Komponenten auf:

  • Objektiv: Tatsächlich bestehende Fortführungsfähigkeit (Unternehmenskonzept mit integrierter Finanzplanung)
  • Subjektiv: Fortführungswille

Darüber hinaus muss eine Durchfinanzierung für den Prognosezeitraum von grundsätzlich zwölf (derzeit vier) Monaten gewährleistet sein.
Ist ein Unternehmen aktuell überschuldet und weist es keine Fortbestehensprognose auf, muss es innerhalb von sechs Wochen (derzeit acht Wochen) einen Insolvenzantrag stellen.

Der Prognosezeitraum beträgt derzeit vier Monate. Mit dem Sanierungs- und Krisenfolgenabmilderungsgesetz (SanInsKG) wurde die Antragsfrist mit Wirkung zum 09. November 2022 auf acht Wochen verlängert und der Prognosezeitraum von zwölf auf vier Monate verkürzt. Die Neuregelung ist befristet bis zum 31.12.2023. Das Gesetz ist erstmals zum 01.01.2021 in Kraft getreten.

Bei der Ermittlung der Fortbestehensprognose ist es nicht zwingend erforderlich, dass das Unternehmen bereits am Betrachtungsstichtag überschuldet ist. Auch wenn das Unternehmen am Betrachtungsstichtag noch nicht überschuldet ist, gilt Folgendes:

Wird das Unternehmen vom jeweils aktuellen Betrachtungszeitpunkt aus gesehen innerhalb der nächsten zwölf Monate (derzeit vier Monate) auf Basis der jeweils aktuellen Liquiditätsplanung zahlungsunfähig, müssen die Vermögenswerte des Unternehmens zu Zerschlagungsgesichtspunkten bewertet werden:

  • Ist es dann überschuldet, ist es auch antragspflichtig.
  • Ist es dann nicht überschuldet, besteht keine Antragspflicht.
  • Wird es erst ab dem dreizehnten Monat (aktuell vierzehnten Monat) zahlungsunfähig, ist es nicht antragspflichtig.

Maßgeblich sind immer die folgenden Monate ab dem Tag der Feststellung des wahrscheinlichen Eintritts der Zahlungsunfähigkeit.

Die Neufassung des § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO hat folgenden Wortlaut:

„Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen in den nächsten zwölf Monaten (aktuell seit dem 09.November 2022: vier Monaten) überwiegend wahrscheinlich.“

Dies kann auch mit einem Vergleich nach StaRUG oder einem IDW-S6-Gutachten belegt werden, wenn dessen Annahme und Bestätigung nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. In diesem Fall liegt keine Überschuldung i. S. d. § 19 Abs. 2 InsO vor, sodass z. B. der Zugang zum Restrukturierungsrahmen gegeben ist.

Wird das Unternehmen voraussichtlich nach mehr als zwölf Monaten (derzeit nach mehr als vier Monaten), aber vor Ablauf von 24 Monaten zahlungsunfähig, kann es wegen drohender Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag stellen, muss es aber nicht.

Tritt die Zahlungsunfähigkeit voraussichtlich erst nach mehr als 24 Monaten ein, entfällt die Berechtigung zur Insolvenzantragstellung. Es darf dann auch kein Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt werden.

Bei der Überschuldungsprüfung sind die Verbindlichkeiten, die zum Stichtag der Überschuldungsprüfung bereits bestehen, und Rückstellungen für Verbindlichkeiten zu passivieren, die bei insolvenzfreier Liquidation voraussichtlich entstehen würden (ausf. Frystatzki, ZInsO 2020,176ff.).

Demzufolge sind auch Abwicklungskosten zu passivieren, die bei insolvenzfreier Liquidation voraussichtlich entstehen würden. Dazu gehören insbesondere

  • die auslaufenden Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, B. aus Arbeits- und Mietverhältnissen
  • Verwertungskosten
  • Rechnungslegungs- und Steuerberatungskosten
  • Notar- und Handelsregistergebühren

Achtung!

Zu den Auslaufverbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen zählen auch künftige Sozialplanverbindlichkeiten, wenn das außergerichtliche Liquidationskonzept sozialplanpflichtige Betriebsänderungen vorsieht.

Die Sozialplanbegrenzungen des § 123 InsO finden dabei keine Anwendung, sondern es ist ein Sozialplan zugrunde zu legen, wie wenn er ohne Insolvenz abgeschlossen würde (vergl. Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, zu § 19 InsO, Randnummer 60).

Die Passivierung dieser Verbindlichkeiten macht die Überschuldung bei Bewertung der Aktiva unter Liquidationsgesichtspunkten und damit die Insolvenzantragspflicht wahrscheinlicher.

Problematisch ist die Situation, wenn aus einem Betrachtungszeitpunkt vor dem 09. November 2022 innerhalb der folgenden zwölf Monate Zahlungsunfähigkeit eintritt. Gilt dann auch für Altverträge die Viermonatsfrist oder ist auf die Zwölfmonatsfrist abzustellen?

Die Rechtslage stellt sich gemäß § 4 Abs. 2 SanInsKG derzeit wie folgt dar:

 „In dem Zeitraum vom 09. November 2022 bis einschließlich 31. Dezember 2023 tritt an die Stelle des in § 19 Absatz 2 Satz 1 genannten Zeitraumes von zwölf Monaten … ein Zeitraum von vier Monaten (Wortlaut des § 19 Absatz 2 Satz 1 nunmehr: „Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung ist in den nächsten vier Monaten überwiegend wahrscheinlich). Satz 1 gilt auch, wenn vor dem 09. November 2022 eine Überschuldung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 der Insolvenzordnung vorlag (unter dem Blickwinkel einer Prognose von zwölf Monaten), es sei denn, dass der für eine rechtzeitige Antragstellung maßgebliche Zeitraum nach § 15a Absatz 1 und 2 der Insolvenzordnung bereits verstrichen ist.“

 In der Praxis bedeutet dies: Wenn das Unternehmen am 06.10.2022 noch nicht überschuldet war, gilt die Viermonatsvorschau. Vor dem 06.10.2022 gilt die Zwölfmonatsvorschau mit einer Antragsfrist von sechs Wochen. Es kommt also darauf an, wie die Situation am 06.10.2022 war (zu diesem Zeitpunkt galt noch eine Frist von sechs Wochen für die Antragspflicht bei Überschuldung, zwischen dem 06. Oktober und dem 09. November 2022 liegen sechs Wochen). Sollte aus der Sicht vor dem 06.Oktober 2022 in den folgenden zwölf Monaten Zahlungsunfähigkeit eintreten, fehlt es an der positiven Fortbestehensprognose, wenn eine Bewertung nach den obigen Grundsätzen zu einer Überschuldung führt oder eine Überschuldung zu diesem Zeitpunkt bereits vorlag.

Durch die Einführung des § 15b Abs. 4 Satz 2 wird das Haftungsrisiko für die Antragspflichtigen entschärft.

Nach § 64 Satz 1 GmbHG waren die Geschäftsführer der Gesellschaft zur Rückzahlung aller Zahlungen verpflichtet, die sie nach Eintritt der Insolvenzreife geleistet hatten. Das galt für alle Zahlungen, z. B. auch Löhne und Gehälter, unabhängig davon, ob Sie dafür eine Gegenleistung erhalten hatten. Der § 64 GmbHG wurde durch den § 15b InsO mit Wirkung vom 01.01.2021 ersetzt.

15b Abs. 4 S. 1 und 2 InsO lauten wie folgt:
„Werden entgegen Absatz 1 (betrifft Zahlungen bei Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ohne Fortbestehensprognose) Zahlungen geleistet, sind die Antragspflichtigen der juristischen Person zur Erstattung verpflichtet. Ist der Gläubigerschaft der juristischen Person ein geringerer Schaden entstanden, beschränkt sich die Ersatzpflicht auf den Ausgleich dieses Schadens.“

Nach überwiegender Meinung bedeutet dies, dass der die Haftung begrenzende Schaden nicht aus einer einzelnen verbotenen Zahlung, sondern aus der periodischen Verringerung der Befriedigungsaussichten durch die Insolvenzverschleppung für die Gläubiger ermittelt wird. Der Gegenbeweis eines geringeren Schadens obliegt dem Vertretungsorgan.

 Von der insolvenzrechtlichen Fortbestehensprognose ist die handelsrechtliche Fortführungsprognose nach § 252 Abs.1 Satz 2 HGB zu unterscheiden. Dort ist das sog. „Going Concern Prinzip“ verankert. Dieses Prinzip vermutet im Regelfall die Fortführung des Unternehmens, wenn das Unternehmen nachhaltige Gewinne erzielt hat, es ohne Schwierigkeiten auf finanzielle Mittel zugreifen kann, keine bilanzielle Überschuldung droht und die Fortführung des Unternehmens beabsichtigt ist. Sollten danach Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung in einem Planungszeitraum von mindestens einem Jahr nicht eintreten, kann eine positive handelsrechtliche Fortführungsprognose erteilt werden. In der Praxis hat sich ein Prognosezeitraum von 24 Monaten durchgesetzt.

Fazit

Die Materie ist kompliziert und es empfiehlt sich immer eine detaillierte Prüfung.  Zum einen sollte immer das Eigenkapital im Auge behalten werden. Es reicht nicht aus, am Jahresende einen Abschluss zu erstellen, der noch keine Überschuldung ausweist, und sich bis zum nächsten Abschluss auszuruhen.  Vielmehr sind die Bilanzwerte auf der Grundlage einer monatlichen Gewinn- und Verlustrechnung fortzuschreiben. Dazu muss auch aktuell für die jeweils folgenden vier Monate die Liquidität geplant werden. Ab dem 01.01.2024 sind es wieder zwölf Monate, wobei der Rückschlag bereits zum 01.09.2023 Bedeutung erlangen kann. Mit einer integrierten Planung bekommt man das am besten in den Griff und kann im Fall der Inanspruchnahme nachweisen, dass die Haftungsvoraussetzungen nicht gegeben sind.

Insolvenzverwaltern ist durch die neue Rechtslage ein neues Betätigungsfeld erwachsen, um Haftungsansprüche gegenüber der Geschäftsleitung geltend zu machen. Aktuelle Fälle zeigen, dass die Insolvenzverwalter davon regen Gebrauch machen, insbesondere dann, wenn eine D&O-Versicherung besteht. Da die Ermittlung der Haftung meist sehr komplex und schwierig ist, bedienen sie sich der Hilfe darauf spezialisierter Wirtschaftsprüfer. Unternehmen, die sich in der Risikozone befinden, sollten sich daher auch immer von einem in der Materie erfahrenen Experten begleiten lassen.

Über den Autor

Geschäftsführer, Partner, Rechtsanwalt Robert Buchalik

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