Hinweis- und Warnpflichten von Beratern gemäß § 102 StaRUG

Beim überwiegenden Teil aller Insolvenzen liegt eine Insolvenzverschleppung von mehr als einem Jahr vor. Dies galt schon zu Zeiten der Konkursordnung und besserte sich weder durch die Einführung der Insolvenzordnung noch durch das im Jahr 2012 in Kraft getretene ESUG.

Am 01.01.2021 ist das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) in Kraft getreten. Dieses Gesetz eröffnet Unternehmen die Möglichkeit, ihre Finanzverbindlichkeiten außerhalb eines Insolvenzverfahrens durch einen mit qualifizierter Mehrheit der betroffenen Gläubiger angenommenen und gerichtlich bestätigten Restrukturierungsplan in der Weise zu strukturieren, dass eine drohende Zahlungsunfähigkeit nachhaltig abgewendet und eine Fortführung des Unternehmens damit ermöglicht wird.

Andererseits statuiert es in § 1 für die Mitglieder der Geschäftsleitung die Pflicht, fortlaufend über Entwicklungen zu wachen, welche den Fortbestand des Unternehmens gefährden können. Flankierend dazu verpflichtet es in § 102 die mit der Erstellung des Jahresabschlusses für das Unternehmen befassten Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer, vereidigten Buchprüfer und Rechtsanwälte, die Geschäftsleiter des Unternehmens auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes und die daran anknüpfenden Organpflichten hinzuweisen.

  1. Vertragliche Haftung des Abschlusserstellers wegen mangelhafter Bilanzerstellung

In einer Entscheidung vom 26.01.2017, IX ZR 285/14 bejahte der BGH erstmals eine Haftung des Steuerberaters für Schäden aus einer Insolvenzverschleppung wegen mangelhafter Bilanzerstellung. Die betreffende Entscheidung gründete auf dem Argument, der Steuerberater verstoße gegen seine Verpflichtung aus dem der Erstellung des Jahresabschlusses zugrundeliegenden Mandatsvertrag, wenn er im Jahresabschluss Fortführungswerte ansetze, obwohl dies wegen Eintritts der Insolvenzreife gem. § 252 Abs. 1 HGB nicht mehr zulässig sei. Ein entsprechender Jahresabschluss weise Mängel auf, die zur Haftung des Bilanzerstellers führen könnten, wenn er angesichts einer bestehenden Insolvenzreife zu Unrecht von Fortführungswerten ausgehe. Den insoweit erweiterten Pflichtenkreis des Steuerberaters hat der BGH in folgenden Grundsätzen umrissen:

„Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater ist verpflichtet zu prüfen, ob sich auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihm sonst bekannten Umstände tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten ergeben, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen können. Hingegen ist er nicht verpflichtet, von sich aus eine Fortführungsprognose zu erstellen und die hierfür erheblichen Tatsachen zu ermitteln. Eine Haftung des Steuerberaters setzt voraus, dass der Jahresabschluss angesichts einer bestehenden Insolvenzreife der Gesellschaft objektiv zu Unrecht von Fortführungswerten ausgeht.“

Damit begründete der BGH zugleich eine den Steuerberater bereits in seinem allgemeinen Beratungsmandat treffende Verpflichtung, Hinweisen auf Umstände aktiv nachzugehen, die auf eine Insolvenzreife des Unternehmens hindeuten und damit einer Bilanzierung zu Fortführungswerten entgegenstehen könnten.

2. Gesetzliche Kodifizierung von Hinweis- und Warnpflichten in § 102 StaRUG

In § 102 StaRUG hat der Gesetzgeber die vom BGH herausgearbeiteten Hinweis- und Warnpflichten von Beratern kodifiziert und konkretisiert. Danach sind sie immer dann verpflichtet, die Geschäftsleiter auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes hinzuweisen und sie über die daran anknüpfenden Pflichten aufzuklären, wenn offenkundige Anhaltspunkte für das Vorliegen eines entsprechenden Insolvenzgrundes vorliegen und die Berater annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist. Auf die Frage, wann entsprechende Anhaltspunkte vorliegen, wird man auf die von der Rechtsprechung hierzu aufgestellten Grundsätze zurückgreifen können.

Danach liegen Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Insolvenzgrundes vor, wenn

  • das Unternehmen die zur Finanzierung seines Betriebs notwendige Liquidität nicht oder nur teilweise aufbringen kann
  • die Jahresabschlüsse der Gesellschaft in aufeinanderfolgenden Jahren wiederholt nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge aufweisen oder
  • die bilanziell überschuldete Gesellschaft über keine stillen Reserven verfügt.

Im Ergebnis muss man davon ausgehen, dass die nunmehr gesetzlich geregelten Hinweis- bzw. Warnpflichten der Berater bzgl. etwaiger Indizien für den Eintritt eines Insolvenzgrundes früher eintreten als die Verpflichtung zum Ansatz von Liquidationswerten im Jahresabschluss, nämlich bereits dann, wenn der Steuerberater Kenntnis von den Indizien erlangt.

3. Rechtsfolgen / Verteilung der Darlegungs- und Beweislast

Liegt nach diesem Maßstab eine schuldhafte Pflichtverletzung des Beraters vor, haftet er ggf. für den Schaden, welcher der Insolvenzmasse dadurch entstanden ist, dass der Insolvenzantrag nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt, nämlich innerhalb von längstens drei Wochen nach pflichtgemäßer Belehrung durch den Steuerberater über den Eintritt des Insolvenzgrundes gestellt wurde.

Im Rahmen der prozessualen Geltendmachung eines solchen Schadensersatzanspruchs muss der klagende Insolvenzverwalter darlegen und ggf. beweisen, dass bzw. weshalb der Berater seine Pflichten aus dem Beratungsmandat objektiv verletzt hat. Sofern ihm dies gelingt, wird schuldhaftes Handeln des Beraters vermutet (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Ihm obliegt daher gegebenenfalls darzulegen und zu beweisen, warum er nicht schuldhaft, sondern mit der gebotenen Sorgfalt eines Beraters gehandelt hat.

Demgegenüber muss der klagende Insolvenzverwalter wiederum darlegen und beweisen, dass und in welcher Höhe die Pflichtverletzung des Beraters die schadensstiftende Verzögerung der Insolvenzantragstellung zumindest mitverursacht hat. Hinsichtlich der Höhe des verursachten Schadens kommt ihm die Beweiserleichterung gem. § 287 ZPO zugute.

4. Auswirkungen auf die Praxis

Zukünftig wird in Insolvenzverfahren über das Vermögen von Kapitalgesellschaften die Prüfung der Einhaltung von Warnpflichten gemäß § 102 StaRUG unter Berücksichtigung der letzten Jahresabschlüsse zum Standardprogramm jedes Insolvenzverwalters gehören. In diesem Zusammenhang wird der Insolvenzverwalter auch prüfen, wann der Berater im Rahmen der Erstellung des Jahresabschlusses Kenntnis von ernsthaften Anhaltspunkten für das Vorliegen eines Insolvenzantragsgrundes erlangt hat und ob der Berater seinen daraus resultierenden Hinweis- bzw. Warnpflichten unverzüglich nachgekommen ist.

Vor diesem Hintergrund sollte jeder mit der Erstellung des Jahresabschlusses einer Kapitalgesellschaft beauftragte Berater im eigenen Interesse auf die Erstellung einer Fortführungsprognose bestehen, wenn ihm im Rahmen der auftragsgemäßen Erstellung des Jahresabschlusses oder sonstiger Tätigkeiten Umstände bekannt werden, aus denen auf den Eintritt einer Überschuldung oder eines sonstigen Insolvenzantragsgrundes geschlossen werden kann. Kann er eine – formal ordnungsgemäße und inhaltlich plausible – Fortführungsprognose zu gegebener Zeit vorlegen, so kann er damit den Vorwurf einer Verletzung seiner Pflichten aus § 102 StaRUG entkräften.

Andernfalls sollte er die Mitglieder der Geschäftsleitung unverzüglich darüber informieren, dass aus seiner Sicht ein Insolvenzgrund vorliegen könnte und welche Pflichten dies für die Geschäftsleitung nach sich zieht. Diesen Hinweis sollte er schriftlich dokumentieren.

Über den Autor

Geschäftsführer, Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht Jochen Rechtmann

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