Kein Wiedereinstellungsanspruch in der Insolvenz

Im Rahmen von Kündigungsschutzprozessen bei betriebsbedingten Kündigungen stellt sich oftmals die Frage, inwieweit der Arbeitnehmer trotz zunächst wirksamer Kündigung des Arbeitgebers dennoch einen Wiedereinstellungsanspruch hat, weil im Nachgang zur Kündigung Ereignisse eingetreten sind, aufgrund derer ein Beschäftigungsbedarf neu entsteht. Diese Konstellation ergibt sich oftmals bei nachträglich eintretenden Betriebsübergängen. Die Rechtsprechung hat hierfür einen Wiedereinstellungsanspruch als Richterrecht geschaffen. Mit Urteil vom 25.02.2022 (Az. 6 AZR 224/21) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) einen derartigen Wiedereinstellungsanspruch in der Insolvenz jedoch verneint.

Hintergrund eines Wiedereinstellungsanspruchs

Das BAG beschreibt zunächst rechtsdogmatisch den Hintergrund eines Wiedereinstellungsanspruchs: Die Arbeitsgerichte prüfen im Kündigungsschutzprozess, ob die Kündigung zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung wirksam war, die sogenannte punktuelle Streitgegenstandstheorie. Zu diesem Zeitpunkt darf der Arbeitgeber aufgrund sogenannter greifbarer Anhaltspunkte auch eine Prognose aufstellen, dass spätestens zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung, also spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist, der Beschäftigungsbedarf entfallen wird.

Derartige greifbare Anhaltspunkte können z. B. die Kündigung eines Betriebspachtvertrags oder der Abschluss eines Vertrags über das Outsourcing von bisher eigenen Dienstleistungen sein mit der Folge, dass der Betrieb oder ein Betriebsteil eingestellt werden muss.

Erweist sich die Prognose des Arbeitgebers im Laufe der Kündigungsfrist aber als falsch, so wird die Kündigung dadurch nicht sozialwidrig, sofern zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Prognose noch zutreffend war. Der Arbeitgeber ist somit berechtigt, bereits aufgrund der Prognose, soweit diese zutreffend aufgestellt war, zukunftsbezogen zu kündigen.

Daher hat die Rechtsprechung ein sogenanntes Korrektiv im Wege des Richterrechts aufgestellt, wonach der (zunächst) wirksam gekündigte Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber einen Wiedereinstellungsanspruch hat, sofern sich die ursprüngliche Prognose im Nachhinein – insbesondere bei einem nachträglichen Betriebsübergang – während des Auslaufs der Kündigungsfrist als unzutreffend erweist.

Dieses Korrektiv kommt auch dann zum Tragen, wenn der Betriebsübergang während der Auslaufkündigungsfrist nur beschlossen, aber erst nach der Auslaufkündigungsfrist vollzogen wird (BAG 15.12.2001, Az. 8 AZR 197/11). Der Arbeitnehmer ist vom Arbeitgeber dann zu den bisherigen Konditionen wiedereinzustellen, sofern der Arbeitgeber noch keine Dispositionen getroffen hat und ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten ist (BAG 27.02.1997, Az. 2 AZR 160/96). Damit trägt der Arbeitgeber das Risiko der Fehlprognose.

Der skizzierte Wiedereinstellungsanspruch findet seine Grundlage in einer vertraglichen Nebenpflicht gemäß §§ 241 Abs. 2, 242 BGB. Der Wiedereinstellungsanspruch richtet sich gegen den Arbeitgeber, der gekündigt hat. Tritt zwischenzeitlich ein Betriebsübergang gemäß § 613a BGB ein, richtet sich der Anspruch ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs gegen den Erwerber (BAG 15.12.2011, Az. 8 AZR 197/11).

Ein Arbeitnehmer kann gemäß § 311a Abs. 1 BGB auch einen Anspruch auf rückwirkende Wiedereinstellung haben, was relevant wird, wenn sich ein Rechtsstreit über diese Frage über einen längeren Zeitraum hinzieht.

Zwar kann in dem Fall das Arbeitsverhältnis für die Vergangenheit tatsächlich nicht mehr durchgeführt werden, weshalb im formellen Sinne für die Vergangenheit auch keine arbeitsrechtlichen Annahmeverzugslohnansprüche gemäß § 615 BGB zulasten des Arbeitgebers entstehen können. Sofern aber der Arbeitgeber, gegen den sich der Wiedereinstellungsanspruch richtet, allein oder weit überwiegend dafür verantwortlich ist, dass er das Angebot des Arbeitnehmers auf Wiedereinstellung nicht rechtzeitig angenommen hat, behält der Arbeitnehmer nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln gemäß § 326 Abs. 2 BGB seinen Anspruch auf Entgeltzahlung.

Er muss sich jedoch, wie beim „klassischen“ arbeitsrechtlichen Annahmeverzug gemäß § 615 BGB auch, anderweitiges Erwerbseinkommen (Zwischenverdienst) anrechnen lassen. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer einen zumutbaren Zwischenverdienst böswillig unterlässt, in dem Fall muss sich der Arbeitnehmer einen fiktiven (unterlassenen) Zwischenverdienst anrechnen lassen.

Sonderfall Insolvenz – kein Wiedereinstellungsanspruch

Jedenfalls in der Insolvenz besteht laut BAG aber kein Wiedereinstellungsanspruch. Hintergrund ist, dass die Insolvenzordnung keinen Kontrahierungszwang für den Insolvenzverwalter oder bei einer Eigenverwaltung für die eigenverwaltende Schuldnerin auf (Neu-)Begründung von Vertragsverhältnissen vorsieht.

Der Insolvenzverwalter bzw. die eigenverwaltende Schuldnerin ist gemäß § 108 Abs. 1 InsO nur an Vertragsverhältnisse gebunden, die von der Schuldnerin bereits begründet wurden und die der Insolvenzverwalter bzw. die eigenverwaltende Schuldnerin kündigen muss, wenn er/sie die Insolvenzmasse von den damit verbundenen Verbindlichkeiten befreien will.

Ein darüberhinausgehendes Aufoktroyieren von Arbeitsverhältnissen ist der Insolvenzordnung fremd. Das gilt

  1. nicht nur bei wirksamer Kündigung in der Insolvenz des Betriebsveräußerers,
  2. sondern auch bei wirksamer Kündigung durch den später in Insolvenz fallenden Arbeitgeber (Schuldner) als Betriebsveräußerer
  3. oder − wie in dem Sachverhalt, den das BAG am 25.02.2022 zu entscheiden hatte − in der Konstellation der wirksamen Kündigung des Veräußerers bei späterer Insolvenz des Betriebserwerbers.

Grundsätzlich hat der Insolvenzverwalter bzw. die eigenverwaltende Schuldnerin gemäß § 103 InsO ein Wahlrecht, ob er/sie einen gegenseitigen Vertrag, der zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht oder nicht vollständig erfüllt ist, fortsetzt. Arbeitsverhältnisse bestehen jedoch gemäß § 108 InsO fort, d. h. es besteht insofern kein Wahlrecht des Insolvenzverwalters bzw. der eigenverwaltenden Schuldnerin, da das Kontinuitätsinteresse der Arbeitnehmer vorrangig ist.

Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens begründet keine eigenständigen Kündigungsgründe. Sofern die Insolvenzordnung in den §§ 113ff. InsO nichts Abweichendes vorsieht, hat der Insolvenzverwalter bzw. die eigenverwaltende Schuldnerin die allgemeinen Regelungen des Arbeitsrechts einzuhalten.

Einen über diesen Pflichtenkatalog hinausgehenden der Systematik der Insolvenzordnung widersprechenden Kontrahierungszwang kann nur der Gesetzgeber, nicht aber die Rechtsprechung anordnen. Anders als z. B. im Mietrecht, wo in § 574 BGB ein gesetzlicher Fortsetzungsanspruch geregelt ist, fehlt es im Arbeitsrecht an einer gesetzlichen Regelung.  Ein gesetzgeberischer Wille, dem Kontinuitätsinteresse der Arbeitnehmer vor dem Interesse der Masse und damit der Gesamtheit der Gläubiger den Vorrang einzuräumen, kann der Insolvenzordnung (§ 108 InsO) nicht entnommen werden.

Kündigt der Insolvenzverwalter bzw. die eigenverwaltende Schuldnerin nach Maßgabe der bei Zugang der Kündigung vorliegenden Verhältnisse wirksam, hat es somit sein Bewenden, auch wenn es später doch noch zu einem Betriebsübergang kommen sollte. Ein erneutes Oktroyieren des Arbeitsverhältnisses zur Korrektur einer Fehlprognose kommt daher nicht in Betracht.

Bei einer wirksamen Kündigung des Insolvenzverwalters oder der eigenverwaltenden Schuldnerin ungeachtet eines nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgenden Betriebsübergangs besteht kein zukunftsgerichteter Wiedereinstellungsanspruch. In der Insolvenz trägt der Arbeitnehmer das Risiko einer fehlerhaften Prognose des Kündigenden über den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist. Das gilt in allen Fallgestaltungen und unabhängig davon, ob der Betriebsübergang vor oder nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt.

Das BAG stellt in der Entscheidung klar, dass ein Wiedereinstellungsanspruch auch dann nicht besteht, wenn die rechtlichen Voraussetzungen für einen Betriebsübergang noch vor Ablauf der Kündigungsfrist geschaffen worden sind oder der Betriebsübergang vor Ablauf der Frist bereits erfolgt ist und die Wiedereinstellung zu einem Zeitpunkt vor Insolvenzeröffnung vorgenommen werden soll oder nur gegenüber dem Betriebserwerber verfolgt wird.

Voraussetzung ist jedoch stets ein zunächst gegen den Insolvenzverwalter bzw. gegen die eigenverwaltende Schuldnerin bestehender Wiedereinstellungsanspruch, der auf den Betriebserwerber übergehen soll.

Praxisfolgen

Die Entscheidung des BAG ist für die Praxis des Insolvenzarbeitsrechts erfreulich, da sie insbesondere sanierende Betriebsübernahmen oder Betriebsübergänge, die sich erst im Nachgang von Kündigungen im Insolvenzverfahren wider Erwarten ergeben, erleichtern.

Gleichwohl darf nicht verkannt werden, dass die Anforderungen an Kündigungen nach dem Kündigungsschutzgesetz durch die Entscheidung des BAG nicht erleichtert werden. Die beim Zugang der Kündigung arbeitgeberseits anzustellende Prognose des (künftigen) Wegfalls des Beschäftigungsbedarfs ist gerichtlich voll überprüfbar. Stellt sich heraus, dass der Arbeitgeber die Prognose so nicht aufstellen durfte, da er sich z. B. noch in Verhandlungen mit einem potentiellen Betriebserwerber befindet, wäre die Kündigung bereits als bloße Vorratskündigung unwirksam. Die Frage des Widereinstellungsanspruchs, der ja eine wirksame Kündigung zunächst voraussetzt, stellt sich dann erst gar nicht.

Da in der gerichtlichen Praxis oftmals streitig ist, ob der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung aufgrund greifbarer Tatsachen eine Prognose zum Arbeitsentfall stellen durfte bzw. konnte, empfiehlt sich bei Vorhandensein eines Betriebsrats und bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG der Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste. Aufgrund dessen wird gemäß § 125 InsO vermutet, dass die Kündigung wirksam ist, d. h. auch eine entsprechende korrekte Prognose vorlag. Die Vermutung erstreckt sich gemäß § 128 Abs. 2 InsO auch darauf, dass die Kündigung nicht wegen eines Betriebsübergangs erfolgt.

Hat hingegen der Insolvenzverwalter bzw. die eigenverwaltende Schuldnerin bereits zum Zeitpunkt des Zugangs der betriebsbedingten Kündigung von einem bevorstehenden Betriebsübergang Kenntnis, ist eine Kündigung nach einem sogenannten Erwerberkonzept eine ratsame Variante. Mit diesem von der Rechtsprechung im Wege des Richterrechts entwickelten Modell kann der insolvente Betriebsveräußerer fremde unternehmerische Entscheidungen eines „vor der Tür stehenden“ Betriebserwerbers bereits zur Grundlage von eigenen Kündigungen machen, ohne dass die Kündigung wegen eines Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 4 BGB unwirksam wäre.  

Über den Autor

Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für  Arbeitsrecht Jürgen Bödiger

Pressemitteilungen

Veranstaltungen

Newsletter

Bücher

Studien & Leitfäden

Videos