Mysterium Einigungsstelle

Streiten sich Arbeitgeber und Betriebsrat, sei es etwa über die Aufstellung von Dienstplänen, die Einführung einer neuen Zeiterfassung oder die Schulung von Betriebsratsmitgliedern etc. und können sie dabei keine Einigung erzielen, schreibt das Gesetz den Gang vor die Einigungsstelle vor. . Die Aufgabe dieser innerbetrieblichen Schlichtungsstelle ist, den Streit beizulegen. Geschäftsleitung und Personalabteilung sollten mit diesem Instrument der Streitschlichtung vertraut sein.  Wann jedoch wird die Einigungsstelle tätig, welchen Grundsätzen unterliegt sie, wie setzt sie sich zusammen und wie weit gehen ihre Entscheidungsbefugnisse?

 Der Arbeitgeber beabsichtigt Betriebsferien einzuführen und möchte – aufgrund der geringeren Auftragslage – den Betrieb in den Sommerferien für sechs Wochen vom 15.06. bis 28.07. schließen. Diese Regelung soll dauerhaft gelten. Er fragt beim Betriebsrat an, ob er diesem Vorhaben zustimmen würde. Der Betriebsrat ist nicht einverstanden, da er der Meinung ist, dass dies die Belegschaft zu sehr einschränke, da auch Arbeitnehmer ohne schulpflichtige Kinder betroffen seien. Diese müssten dann in der teuren Hauptsaison Urlaub machen. Des Weiteren ist er der Auffassung, dass die Arbeitnehmer auch Urlaubstage zur freien Verfügbarkeit haben müssten. Ferner meint er, wenn es schon Betriebsferien gäbe, dann müssten auch alle ein Urlaubsgeld in Höhe von 500 Euro brutto bekommen. Er lehnt den Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung ab. (Der Fall ist nachgebildet, BAG, Beschluss vom 28.07.1981, 1 ABR 79/79).

Was ist aus Sicht des Arbeitgebers zu veranlassen?

Die Vorschriften zur Einigungsstelle (im Folgenden E-Stelle) finden sich in § 76 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) und die Regelungen zu deren Kosten in § 76a BetrVG.

Die E-Stelle wird in Fällen, bei denen eine erzwingbare Mitbestimmung des Betriebsrates besteht, auf Antrag einer der Betriebsparteien tätig. Handelt es sich um freiwillige Mitbestimmung, gibt es keinen Anspruch auf die Einrichtung einer E-Stelle.

In den folgenden Fällen kann beispielsweise ein E-Stellenverfahren erzwungen werden, wobei diese Aufzählung nicht abschließend ist:

§ 37 Abs. 6, 7 Schulung von Betriebsratsmitgliedern
§ 38 Abs. 2 Freistellung von Betriebsratsmitgliedern
§ 39 Abs. 1 Sprechstunden des Betriebsrates
§ 47 Abs. 6 Streit über Zahl der Mitglieder im Gesamtbetriebsrat
§ 87 Abs. 2 Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten
§ 94 Abs. 1, 2 Mitbestimmung bei Personalfragebögen
§ 102 Abs. 6 Ausspruch von Kündigungen, wenn nach einer Betriebsvereinbarung Kündigungen
nur mit Zustimmung des Betriebsrates zulässig sind
§ 109 Auskunft an den Wirtschaftsausschuss bzw. Betriebsrat
§ 112 Abs. 4 Aufstellung eines Sozialplanes bei Betriebsänderung

 

Die E-Stelle muss nur dann gebildet werden, wenn ein konkreter Anlass für eine Streitschlichtung der Betriebsparteien besteht.

Zusammensetzung der Einigungsstelle

Gebildet wird die E-Stelle aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern, die jeweils vom Arbeitgeber und Betriebsrat entsandt werden, sowie aus einem unparteiischen Vorsitzenden. Die Beisitzer sind in der Regel Beschäftigte des Unternehmens. Dies ist jedoch nicht zwingend notwendig.  Der Vorsitzende ist meist ein Richter aus der Arbeitsgerichtsbarkeit.

Ausreichend dürfte es sein, die E-Stelle mit jeweils zwei Beisitzern und einem Vorsitzenden zu besetzen, das Gesetz macht hier keine Vorgaben.

Die Betriebsparteien müssen sich sowohl auf die Anzahl der Beisitzer als auch über die Person des Vorsitzenden einigen. Geschieht dies nicht, entscheidet das Arbeitsgericht hierüber.

Das Verfahren der Einigungsstelle

Sobald die E-Stelle gebildet wurde, hat sie unverzüglich tätig zu werden. Der Vorsitzende übernimmt die Verfahrensleitung und legt Termine und Ort der Sitzungen fest. Eine spezielle Verfahrensordnung existiert nicht. Ist eine gütliche Streitbeilegung zwischen den Betriebsparteien nicht möglich, muss die E-Stelle den Streit entscheiden.

Die E-Stelle ist befugt, selbst Ermittlungen zum Sachverhalt aufzunehmen. Sie kann Beweise erheben und einen Sachverständigen hinzuziehen, ohne hierfür eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber schließen zu müssen. Da es sich bei der E-Stelle nicht um ein staatliches Gericht handelt, kann diese keine Zwangsmittel zur Aufklärung des Sachverhaltes verhängen.

Zur Gewährung des rechtlichen Gehörs wird die E-Stelle regelmäßig eine mündliche Verhandlung anberaumen. Eine solche mündlichen Verhandlung ist jedoch nicht obligatorisch vorgeschrieben, sodass auch ein rein schriftliches Verfahren denkbar wäre.

Die Betriebsparteien können sich vor der E-Stelle von Bevollmächtigten vertreten lassen. Die mündlichen Verhandlungen der E-Stelle erfolgen unter Ausschluss der Betriebsöffentlichkeit. Nur der Arbeitgeber und der Betriebsrat können an den Sitzungen teilnehmen.

Abschließende Beratung und Beschlussfassung

Die E-Stelle zieht sich zur abschließenden Beratung und Beschlussfassung ohne die Betriebsparteien zurück. Sie fasst ihre Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. In der ersten Abstimmung hat sich der Vorsitzende seiner Stimme zu enthalten. Ergibt sich keine Stimmenmehrheit, hat nochmals eine mündliche Beratung stattzufinden. Der Vorsitzende ist gehalten, einen mehrheitsfähigen Kompromiss zu finden. Erst nach erneuter Beratung darf der Vorsitzende dann an einer zweiten Abstimmung teilnehmen. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Beisitzer einen Vermittlungsvorschlag des Vorsitzenden abgelehnt haben. Die Stimme des Vorsitzenden zählt nicht doppelt. Sie gibt im Falle einer Stimmengleichheit nicht den Ausschlag. Eine Stimmenthaltung des Vorsitzenden in der zweiten Abstimmung ist nicht zulässig. Die Beisitzer können sich jederzeit ihrer Stimme enthalten. Kommt auch in der zweiten Abstimmung keine Stimmenmehrheit zustande, ist das Verfahren fortzusetzen, da keine Sachentscheidung der E-Stelle getroffen wurde.

Der Spruch der Einigungsstelle

Der Spruch der E-Stelle ersetzt die fehlende Einigung zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber. Die Maßnahme ist vom Arbeitgeber so zu befolgen, wie es der Spruch der E-Stelle vorsieht. Er kann die Bedeutung einer Betriebsvereinbarung haben. Im Falle eines freiwilligen E-Stellenverfahrens müssen jedoch beide Parteien den Spruch der E-Stelle anerkennen. Die im Beispielsfall gebildete E-Stelle beschließt nach der zweiten Abstimmung eine Betriebsvereinbarung, die für die Arbeitnehmer Betriebsferien von vier Wochen vom 15.06. bis 14.07. vorsieht. Ferner erhalten alle Arbeitnehmer 400 Euro brutto Urlaubsgeld. Die Regelung soll fünf Jahre gelten. Der Arbeitgeber ist mit dem Spruch der E-Stelle nicht einverstanden und fragt nach seinen Möglichkeiten.

Rechtskontrolle durch das Arbeitsgericht

Die Entscheidungen der E-Stelle sind voll gerichtlich beim Arbeitsgericht überprüfbar. Dies gilt nicht nur für die Entscheidung selbst, sondern für das gesamte E-Stellenverfahren. Die Betriebsparteien sind alleinig antragsberechtigt, nicht die von der Regelung direkt betroffenen Arbeitnehmer. Das Arbeitsgericht prüft den Spruch der E-Stelle auf seine Rechtmäßigkeit. Die Zweckmäßigkeit ist nicht Gegenstand der gerichtlichen Prüfung. Das Gericht hat zu beachten, dass der E-Stelle regelmäßig ein gewisser Entscheidungsspielraum zusteht, der von der gerichtlichen Kontrolle ausgenommen ist. Das Gericht prüft, ob die E-Stelle, die ihr zustehende Ermessensausübung überschritten hat. In dem gebildeten Beispielsfall dürfte die Entscheidung der E-Stelle, die Betriebsferien einheitlich auf einen Monat festzulegen, nicht zu beanstanden sein. Sie berücksichtigt sowohl die Interessen des Arbeitgebers, im umsatzschwachen Sommer zu schließen, auf der anderen Seite bleiben ein Drittel des verbliebenen Urlaubsanspruchs den Arbeitnehmern zur freien Verfügung.

Der E-Stellenspruch hinsichtlich der Gewährung von Urlaubsgeld ist hingegen unwirksam. Der Regelungsgegenstand fällt schon nicht unter erzwingbare Mitbestimmung und hätte nur in einem freiwilligen E-Stellenverfahren geklärt werden können. Die Teilunwirksamkeit eines E-Stellenspruchs führt nicht zur Unwirksamkeit der Regelung insgesamt, wenn der wirksame Teil auch ohne die unwirksamen Bestimmungen sinnvoll bestehen können.

Kosten der Einigungsstelle

Der Arbeitgeber trägt sämtliche Kosten der Einigungsstelle, die erforderlich und nicht unverhältnismäßig sind. Betriebsangehörige Beisitzer haben keinen gesonderten Anspruch auf Vergütung, sie haben einen Anspruch auf bezahlte Freistellung für die Tätigkeit in der E-Stelle. Die Vergütung des Vorsitzenden ist mangels einer entsprechenden Gebührenordnung im Einzelfall festzulegen. Zweckmäßig ist eine Vereinbarung nach dem zeitlichen Aufwand bzw. nach Tagessätzen. Stundensätze zwischen 200 und 300 Euro dürften für den Vorsitzenden zu veranschlagen sein. Die Vergütung für die Beisitzer muss gemäß § 76a Absatz 4 Satz 4 BetrVG zwingend niedriger bemessen sein. Ein Abschlag von ca. 30 Prozent ist nach Auffassung der Rechtsprechung angemessen.

RA Michael Kothes, Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht

 

 

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