Des einen Freud ist des anderen Leid: BGH erweitert Möglichkeiten, die Insolvenzmasse zu mehren

Die Insolvenzanfechtung dient dazu, abgeflossene Vermögenswerte aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in das schuldnerische Vermögen zurückzuholen. Damit soll eine gleichmäßige Verteilung auf alle Insolvenzgläubiger erreicht werden.

Der BGH hat jüngst in seinem Urteil vom 22. Juli 2021 (Az. IX ZR 195/20) eine relevante Entscheidung zur Insolvenzanfechtung getroffen. Das Urteil beschäftigt sich mit der Frage, ob die Ausschüttung eines Gewinnvortrags an eine GmbH-Alleingesellschafterin anfechtbar ist. Im Ergebnis hat der BGH dies bejaht und die Zahlung der Schuldnerin als Zahlung auf eine wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung gemäß §§ 135 Abs. 1 Nr. 2, 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 InsO (darlehensgleiche Forderung) bewertet.

Das Urteil des BGH wird künftig dazu führen, dass sich Insolvenzverwalter alle Auszahlungen an Gesellschafter im Vorfeld einer Insolvenz noch genauer ansehen werden.

  1. Worum ging es im konkreten Fall?

Der Kläger war Verwalter über das Vermögen einer GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Das Insolvenzgericht eröffnete das Insolvenzverfahren am 01.06.2010 auf Antrag der Schuldnerin vom 31.03.2010. Die Beklagte war die alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Zahlung eines Betrags i. H. v. 200.000,00 EUR.

In der Gesellschafterversammlung der Schuldnerin am 28.09.2009 beschloss die Beklagte nach Feststellung des Jahresabschlusses zum 31.12.2008, den im Geschäftsjahr 2008 erwirtschafteten Jahresüberschuss i. H. v .ca. 240.000,00 Euro auf neue Rechnung vorzutragen. Mit weiterem Gesellschafterbeschluss vom 01.12.2009 beschloss die Beklagte für das Geschäftsjahr 2008 einen Gewinn i. H. v. 200.000,00 Euro auszuschütten. Am 09.12.2009 überwies die Schuldnerin der Beklagten einen Betrag von 200.000,00 Euro.

Der Klage wurde in der ersten und zweiten Instanz stattgegeben. Die Revision vor dem BGH hatte keinen Erfolg.

2. Die Begründung des BGH

Der BGH ist der Ansicht, dass es sich bei der Ausschüttung eines Gewinnvortrags an eine GmbH-Alleingesellschafterin um eine darlehensgleiche Forderung des Gesellschafters handelt, so dass diese gemäß §§ 135 Abs. 1 Nr. 2, 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 InsO anfechtbar sei. Er begründet dies insbesondere damit, dass der Gesellschafter der Gesellschaft beim Vortrag des Gewinns auf neue Rechnung, wie bei einem Darlehen, vorübergehend Kapital überlasse und ihr damit zeitlich begrenzt Liquidität verschaffe.

Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise macht es nach Ansicht des BGH beim Alleingesellschafter einer GmbH keinen Unterschied, ob ein von der Gesellschaft erwirtschafteter Gewinn zunächst an den Gesellschafter ausgeschüttet und anschließend wieder als Gesellschafterdarlehen zur Verfügung gestellt wird oder der Gewinn gem. § 29 Abs. 2 GmbHG auf neue Rechnung vorgetragen wird.

Erst recht mache es keinen Unterschied, ob der erwirtschaftete Gewinn nach Fassung eines Ausschüttungsbeschlusses stehengelassen (vgl. hierzu BGH NZI 2021, 180 = ZIP 2021, 93 Rn. 13) oder erst auf neue Rechnung vorgetragen und ein Ausschüttungsbeschluss später gefasst werde. Denn die Liquidität stehe der Gesellschaft zum Wirtschaften oder zur Vornahme von Investitionen weiterhin zur Verfügung. Der Gesellschafter entscheide sich in allen diesen Fällen dafür, der Gesellschaft eine Finanzierungsquelle für die weitere Geschäftstätigkeit zu überlassen, die ihm mittelbar über seine Stellung als Gesellschafter zugutekommt (vgl. BGHZ 222, 283 = NZG 2019, 1026 Rn. 25).

Der BGH möchte mit seiner Entscheidung dafür sorgen, dass die Rechtsfolgen des §§ 135 Abs. 1 Nr. 2, 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO (Generalklausel) nicht durch die Wahl einer bestimmten rechtlichen Konstruktion unterlaufen werden können. Durch die Vornahme eines Gewinnvortrags und dessen späterer Ausschüttung könnte der Alleingesellschafter anderenfalls das Risiko einer Insolvenzanfechtung wegen Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens umgehen. Denn der Alleingesellschafter einer GmbH kann jederzeit eine von ihm gewünschte Gewinnverteilung beschließen oder abändern.

3. Ähnliche BGH-Entscheidung

In diesem Zusammenhang ist auch ein weiteres Urteil des BGH vom 17.12.2020 (Az. IX ZR 122/19) zu beachten, in welchem der BGH eine Anfechtbarkeit gemäß §§ 135 Abs. 1 Nr. 2, 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO bejahte.

Der BGH entschied darin, dass eine darlehensgleiche Forderung vorliege, wenn durch einen Gewinnverwendungsbeschluss ein Anspruch des Gesellschafters auf Ausschüttung des Gewinns der Gesellschaft begründet werde, es aber zu keiner zeitnahen Ausschüttung der Gewinnforderung komme. D. h., wenn die Gewinnforderung über einen längeren Zeitraum auf einem Kapitalkonto des Kommanditisten stehen gelassen wird.

Der BGH begründete dies damit, dass ungeachtet des Entstehungsgrunds, alle aus sonstigem Rechtsgrund herrührenden Forderungen einem Darlehen entsprechen, die der Gesellschaft rechtlich oder rein faktisch gestundet werden, weil eine Stundung bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Darlehensgewährung bewirke.

In dem entschiedenen Fall ließ der Kommanditist die Gewinnforderung für einen Zeitraum von 8 Monaten auf seinem Kapitalkonto stehen, was nach Ansicht des BGH einem wirtschaftlichen Darlehen zu Gunsten der Schuldnerin i. S. d § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO entspreche.

Autorin

Rechtsanwältin Viktoria Schabel

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