Sanierungsberatung: Risiken der Anfechtung bei noch nicht entschiedener Rechtsfrage und Näheverhältnis zum Auftraggeber

I. Einführung

Sanierungsberater müssen auf dem Weg zur nachhaltigen Sanierung ihres Auftraggebers häufig rechtliche Entscheidungen treffen, die auf neuen oder geänderten Gesetzen basieren. So ist die Insolvenzordnung seit ihrem Bestehen häufig reformiert worden. Hinzugekommen sind gänzlich neue Gesetze, wie etwa das Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetz, kurz StaRUG.

Eine ausdifferenzierte Rechtsprechung oder eine ausreichende Anzahl von Veröffentlichungen in Fachzeitschriften gibt es als Leitplanke in solchen Fällen häufig noch nicht. Beurteilt ein Gericht eine entscheidende Rechtsfrage anders als der Berater, scheitert die angestrebte Sanierung. Der Sanierungsberater sieht sich wegen seiner Vergütung dann häufig Anfechtungen des späteren Insolvenzverwalters wegen seiner gesamten Vergütung ausgesetzt. Meist wird nach § 133 Abs. 1 InsO angefochten, weil hiervon Zahlungen der letzten vier Jahre betroffen sein können.

Dreh- und Angelpunkt einer solchen Anfechtung ist der Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Sanierungsberaters davon. Häufig wird aus dem späteren Scheitern des Konzepts pauschal darauf geschlossen, dieses sei von Anfang an untauglich gewesen. Alle Zahlungen an den Berater seien deswegen mit dem Vorsatz erfolgt, die übrigen Gläubiger zu benachteiligen. Der Sanierungsberater selbst habe die Untauglichkeit seines Konzeptes und damit einen solchen Vorsatz selbstverständlich ebenfalls erkannt.

Mitunter wird die Rechtslage erst später durch höchstgerichtliche Entscheidungen klarer. Das kann sich zugunsten des Sanierungskonzepts auswirken. Es kann aber auch das genaue Gegenteil eintreten. Dann kommt die Frage auf, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtslage gilt.

Wegen der Bedeutung in Sanierungsfällen wird auch die mögliche Anfechtbarkeit wegen eines besonderen Näheverhältnisses kurz besprochen.

II. Der konkrete Fall

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zur Anfechtbarkeit in solchen Fällen am 03.03.2022 unter dem Aktenzeichen IX ZR 78/20 ein Urteil gesprochen. Hier muss sich zwar die untere Instanz mit der Sache neu befassen. Aber der BGH hat wichtige Leitsätze formuliert, die hier in aller Kürze besprochen werden sollen. Auch zu einem besonderen Näheverhältnis der Beraterin zur Schuldnerin und den Folgen für die Anfechtung hat der BGH Stellung genommen.

Die niederländische Tochter der Schuldnerin (von nun an: Emittentin) hatte im Jahr 2009 Wandelschuldverschreibungen (WSV) begeben. Für die Rückzahlung übernahm die Schuldnerin Garantien. Die WSV wurden Ende Februar 2012 zur Auszahlung oder Umwandlung fällig.

Jedoch schon 2011 gerieten die Schuldnerin und mit ihr die Emittentin in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Es war absehbar, dass im Februar 2012 die Gläubiger der WSV nicht befriedigt würden. Die Schuldnerin beauftragte eine Beraterin mit der Entwicklung eines Sanierungskonzepts. Die Beraterin sollte in Zwei-Wochen-Schritten Rechnungen stellen. Die Rechnungen wurden von der Schuldnerin bis Anfang April 2012 bezahlt.

Für die Sanierung schlug die Beraterin vor, die Bedingungen der WSV zu ändern. Die Gläubiger sollten nur noch die Umwandlung in Eigenkapital verlangen können und keine Zahlung mehr.

Als ausländische Emittentin unterfiel die Tochtergesellschaft nicht dem damaligen Schuldverschreibungsgesetz von 1899. Es konnte daher keine Mehrheitsentscheidung über die Änderung der Bedingungen geben. Eine Änderung der Anleihebedingungen setzte Einstimmigkeit voraus. Diese war aber nicht zu erlangen.

Im Jahr 2009 trat ein neues Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) in Kraft. Das galt zwar nicht direkt für die WSV der Tochtergesellschaft. Denn die WSV war vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes begeben worden. Das neue Gesetz sah aber eine Möglichkeit vor, dass Schuldverschreibungen durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger unter das neue Gesetz fallen konnten. Eine Unsicherheit bestand damals noch: Galt diese Möglichkeit auch für Anleihen, die dem alten Gesetz von 1899 nicht unterfielen? Die Regelungen waren neu, Rechtsprechung zu der Frage gab es noch nicht.

Die Beraterin entschied sich, die Sanierung nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz anzugehen. Es wurde im Dezember 2011 eine Gläubigerversammlung durchgeführt. Diese beschloss folgendes:  Erstens wurde die Fälligkeit der WSV um zwei Monate hinausgeschoben. Zweitens sollte die WSV dem neuen Gesetz unterfallen. Drittens sollten die Anleihebedingungen geändert werden.

Mehrere Gläubiger der WSV erhoben aber Klage gegen den Beschluss, die Anleihebedingungen zu ändern. Die Klage wurde bei dem einzigen Gericht erhoben, das nach dem neuen SchVG in Deutschland für Klagen gegen Emittenten ausländischer WSV zuständig war: dem LG Frankfurt am Main. Mit der Klage war die Umsetzung des Mehrheitsbeschlusses gehemmt.

Das SchVG ermöglicht es dem Gericht, die Umsetzung des angefochtenen Beschlusses trotz der anhängigen Klage anzuordnen (sog. Freigabeverfahren). Einen solchen Antrag stellte die Emittentin beim LG; der Antrag wurde aber am 23.01.2012 abgewiesen. Die Emittentin legte Beschwerde beim OLG Frankfurt am Main ein, um die Freigabe zu erlangen. Das Verfahren ruhte dann wegen Verhandlungen.

Denselben Sanierungsansatz (Umwandlung der WSV einer ausländischen Tochtergesellschaft) verfolgte die Beraterin bei einem anderen Mandanten. Der Schuldnerin war dies bekannt. Ihr war auch bekannt, dass das OLG Frankfurt dort über eine Freigabe entscheiden musste. Derselbe Senat in derselben Besetzung war auch für das Verfahren der Emittentin zuständig.

Das OLG Frankfurt wies am 27.03.2012 den Freigabeantrag im Parallelverfahren ab. Es verneinte die Anwendbarkeit des neuen SchVG auf Anleihen, die nicht zuvor dem alten Gesetz unterlegen hatten.

Es gab keinen Alternativplan der Beraterin, der in der kurzen Zeit bis zur Fälligkeit der Anleihe Ende April 2012 umsetzbar war. Die Schuldnerin stellte am 03.04.2012 den Insolvenzantrag.

Der Insolvenzverwalter focht alle Zahlungen der Schuldnerin an die Beraterin (über 4 Mio. Euro) an. Das LG Frankfurt gab der Klage in voller Höhe, das OLG nur für die Zahlungen an die Beraterin ab dem 27.03.2012, statt. Schuldnerin und Verwalterin legten Revision ein. Der BGH verwies an das OLG zurück.

Bittere Ironie: Im Jahr 2014 entschied der BGH in einem anderen Verfahren, dass Anleihen wie die vorliegende WSV doch dem neuen Schuldverschreibungsgesetz unterfallen können.

III. Die Auswirkungen des Urteils im Einzelnen

1. Die ungewisse Rechtlage

Der BGH verlangt für einen erfolgversprechenden Sanierungsversuch keinen rechtlich risikolosen Weg. Der Schuldner müsse jedoch vorausschauend eine Einschätzung der Rechtslage treffen. Auf einen damaligen Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung dürfe er vertrauen. Gibt es keine solche Rechtsprechung, entscheidet der Stand der veröffentlichten Literatur. Wenn diese die Rechtsfrage zum Nachteil des Schuldners kommentiert, darf die Sanierung nicht auf dem vorgeschlagenen Weg erfolgen. Das gilt jedenfalls dann, wenn nicht genügend Zeit für eine verbindliche Klärung der Rechtsfrage bleibt.

Bei einer völlig neuen Rechtslage ohne Leitplanken in Rechtsprechung und Literatur muss der Schuldner prüfen, ob der Sanierungsversuch nicht aus Rechtsgründen scheitern werde. Wegen der Unsicherheit sei dies in einem solchen Fall nach einem großzügigen Maßstab zu beurteilen. Auf den Rat eines fachlich einschlägig ausgewiesenen Beraters darf er sich verlassen.

Die Entscheidung des OLG Frankfurt am 27.03.2012 gegen den gewählten Weg machte den Sanierungsversuch vor diesem Stichtag daher nicht zwingend untauglich. Zahlungen konnten daher bis dahin noch ohne Benachteiligungsvorsatz erfolgen.

Ein solcher Vorsatz konnte aber durchaus schon vorher bestehen; die Zurückweisung der Freigabe durch das LG wies in diese Richtung. Dazu musste das Berufungsgericht aber noch eigene Feststellungen treffen.

2. Benachteiligungsvorsatz spätestens ab der nachteiligen Entscheidung

Jedoch spätestens ab dem 27.03.2012 hat der BGH den Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin wegen Zahlungen an die Beraterin für möglich gehalten. Ein Vertrauen auf einen aussichtsreichen Sanierungsversuch gab es nach der Entscheidung des OLG im Parallelverfahren nicht mehr. Denn in fünf Wochen wurde die WSV zur Rückzahlung fällig.  Es verblieb auch nicht mehr genug Zeit, um das Hauptsacheverfahren wegen der Widersprüche einzelner Gläubiger durchzufechten. Ohne die Freigabeentscheidung war der Beschluss zur Umwandlung der WSV nicht umsetzbar.

Alle Zahlungen an die Beraterin ab der Entscheidung des OLG Frankfurt konnten daher den Gläubigern keinen Nutzen mehr bringen. Es wurde einseitig ein Gläubiger zu Lasten der anderen befriedigt. Der Insolvenzantrag stand unmittelbar bevor.

Es nützt der Schuldnerin nichts, dass der BGH zwei Jahre später zu ihren Gunsten entschied: Es kam nach Ansicht des BGH auf die Rechtslage im Jahr 2012 an. Damals gab es zu der vorliegenden Rechtsfrage nur den Beschluss des OLG Frankfurt.

3. Zahlungen bei noch nicht ansatzweise umgesetztem Sanierungskonzept

Die Beraterin hat von der Schuldnerin bereits für die Ausarbeitung des Sanierungskonzeptes Zahlungen erhalten. Zu diesem Zeitpunkt war die Sanierung noch nicht einmal − mitnichten in Ansätzen − in die Tat umgesetzt. So war die Gläubigerversammlung erst im Dezember 2011 zusammengetreten.

Der BGH hatte bislang (so z.B. 2014 in NZI 2014, 650) einen Benachteiligungsvorsatz bei Zahlungen bei lediglich beabsichtigter Sanierung angenommen.

Insoweit hat der BGH seine Rechtsprechung ausdrücklich geändert.

4. Die gefährliche Nähe nach § 138 InsO

Der BGH entschied in einem Punkt zuungunsten der Beraterin. Er sah nämlich die Möglichkeit, dass ein Sanierungsberater eine nahestehende Person im Sinne des § 138 InsO sein konnte. Die Vorgerichte hatten das von vornherein verneint.

Eine solche Nähe kann nach Ansicht des BGH gegeben sein, wenn der Berater denselben Einblick in die Situation der Mandantin hat wie ein leitender Angestellter.

Folge dieser Nähebeziehung ist die Anfechtbarkeit nach § 133 Abs. 4 InsO. Danach sind Rechtshandlungen anfechtbar, die durch Vertrag mit dieser nahestehenden Person begründet wurden. Dieser Vertrag muss die Gläubiger unmittelbar benachteiligen. „Vertrag“ in diesem Sinne können auch einvernehmliche Zahlungen sein. Zahlungen, welche die Liquidität mindern, benachteiligen die Gläubiger häufig unmittelbar: Der Kontobestand ist geringer oder der Negativsaldo höher als vor der Zahlung.

Eine solche unmittelbare Benachteiligung scheidet jedoch aus, wenn der Schuldner durch die Beratung eine Gegenleistung erhält, die „ihr Geld wert“ ist.

Bei einem aussichtsreichen Sanierungskonzept wird das regelmäßig der Fall sein.

Spätestens dann, wenn die Sanierung gescheitert ist, erlangt die Schuldnerin keinen Gegenwert mehr durch weitere Zahlungen an den Berater. Gleiches gilt von Beginn der Sanierung an bei überhöhten Beraterhonoraren.

In diesen beiden Fällen wird dann vermutet, dass der Sanierungsberater den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners kennt. Die Widerlegung einer Kenntnis ist erfahrungsgemäß sehr schwer.

IV. Zusammenfassung

  1. Ein Schuldner darf auch einen rechtlich riskanten Weg bei der Sanierung gehen. Er hat dabei einen weiten Spielraum. Auf fachlich versierte Berater darf er dabei vertrauen.
  2. Entscheidend ist die Rechtslage, die zum Zeitpunkt des Sanierungskonzepts gilt. Spätere Änderungen der Rechtslage sind unbeachtlich.
  3. Zahlungen an einen Sanierungsberater können auch bei einem nur beabsichtigten tauglichen Sanierungskonzept ohne Benachteiligungsvorsatz erfolgen.
  4. Ein Sanierungsberater kann als nahestehende Person gelten. Zahlungen an ihn können nach
    133 Abs. 4 InsO erleichtert anfechtbar sein, insbesondere bei untauglichen Konzepten.

Über den Autor

Rechtsanwalt Karsten Dumrath

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