Unternehmensführung in Krisen(nähe) – Neue alte Überwachungspflichten und Haftungsrisiken nach dem StaRUG

  1. Einleitung

Nach der Finanzkrise ist vor der Wirtschaftskrise und vor der geopolitischen Krise. Es überrascht daher nicht, dass deutsche Unternehmenslenker in diesen instabilen Zeiten in besonderem Maße auf Anzeichen für eine Eintrübung der wirtschaftlichen Lage ihres Unternehmens achten müssen. Eine einheitliche Definition einer Unternehmenskrise gibt es nicht. Krisen können ad-hoc auftreten und den gesamten Unternehmensverbund betreffen oder auch nur an einzelnen Stellen eines ansonsten wirtschaftlich gesunden Unternehmensverbunds. Wird auf Krisenindikatoren nicht rechtzeitig und adäquat reagiert, dann geraten die heute häufig auf integrierten Geschäftsmodellen basierenden Unternehmensverbünde leicht in eine Existenzkrise, die die wirtschaftliche Einheit als Ganzes bedrohet. Solche Krisenherde können schnell auch auf Zulieferer, Abnehmer oder auch Wettbewerber übergreifen. Mitunter gerät eine ganze Branche in die Vertrauenskrise. Zu weltweiter Berühmtheit ist der Begriff „systemisches Risiko“ für solche Szenarien einer sich fortfressenden (eben auch sektor- und branchenübergreifenden) Krise gelangt.

Das Arsenal, welches den Beteiligten an nationalen und grenzüberschreitenden Unternehmensrestrukturierungen zur Verfügung steht, ist vom Gesetzgeber − gewissermaßen als Reaktion auf solche volkswirtschaftlichen Horrorszenarien − in den Jahren seit der Einführung der Insolvenzordnung im Jahr 1999 stetig verbessert und ausgebaut worden. Die Einführung und immer weitere Stärkung des Insolvenzplanverfahrens und der Eigenverwaltung sind hier ebenso zu nennen, wie etwa das sogenannte „Sanierungs- und Abwicklungsgesetz“ (SAG) [1] für die bessere Vorbereitung auf Krisen und die Insolvenzvermeidung von deutschen Banken sowie das neue „Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen“ (SchVG 2009) [2]. Diesem Arsenal wird nun, mit der Einführung des vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens, ein Instrument hinzugefügt, das bei allen bisherigen gesetzgeberischen Eingriffen immer wieder mit auf der Agenda stand, letztlich aber nie den Sprung in die erste Elf wirklich geschafft hat.

Seit Beginn des Jahres 2021 eröffnet der vorinsolvenzliche Restrukturierungsrahmen nach dem StaRUG [3] den Unternehmen auch nach deutschem Recht die Möglichkeit, ihre (Finanz-)Verbindlichkeiten außerhalb eines Insolvenzverfahrens durch einen mit qualifizierter Mehrheit der betroffenen Gläubiger umsetzbaren Restrukturierungsplan neu zu ordnen.

Ziel des Gesetzgebers: Der Gesetzgeber wollte mit dem StaRUG eine zusätzliche Handlungsoption zur Vermeidung einer Insolvenz schaffen und damit das deutsche Sanierungsrecht im Wettbewerb der europäischen Rechtsordnungen besser aufstellen. Das StaRUG bietet somit einen Regelungsrahmen zwischen

  • einer freien außergerichtlichen Sanierung und
  • einem Insolvenzverfahren.

Auf diese Weise kann

  • eine drohende Zahlungsunfähigkeit nachhaltig abgewendet und
  • die Fortführung des Unternehmens damit ermöglicht werden.

Wird ein Unternehmen im Wege eines vorinsolvenzlichen Verfahrens restrukturiert, so werden selbstverständlich – egal wie die Regelungen für ein solches Verfahren am Ende tatsächlich aussehen – die geltenden Regelungen des deutschen Insolvenz- und Gesellschaftsrechts nicht einfach ausgesetzt bzw. übergangen und somit insbesondere für die Geschäftsleitung im Hinblick auf ihre Pflichten und Haftungsrisiken in der Unternehmenskrise auch weiter eine erhebliche Rolle spielen. Mit Haftung ist hier wohlgemerkt nicht die Haftung des vorhandenen Aktivvermögens gemeint, sondern die persönliche und oftmals existenzbedrohende Haftung des Geschäftsleiters selbst. Die Nichtbeachtung von Managementpflichten – gerade auch in Zeiten wirtschaftlicher Schieflage – führt immer häufiger vor deutsche Gerichte und wirft damit die Frage auf, wie sich das Management vor und in der Krise besser vor haftungsauslösendem Verhalten schützen kann.

2. Überwachungspflichten

Pflicht zur laufenden Überwachung der Gesellschaft: Dieses Gesetz statuiert nun u. a. für die GmbH erstmals, für die Aktiengesellschaft lediglich ergänzend zur Vorschrift des § 91 Abs. 2 AktG, die Pflicht zur laufenden Überwachung der Gesellschaft durch ihre Organe sowie deren Berater. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, 3 StaRUG trifft

  • die Mitglieder der Geschäftsführung einer juristischen Person (rechtsformübergreifend) bzw.
  • den die zur Geschäftsführung berufenen Gesellschaftern bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit

die fortlaufende Verpflichtung, über bestandsgefährdende Entwicklungen zu wachen.

Pflicht zur Ergreifung von Gegenmaßnahmen und zur Berichterstattung: Zudem trifft die organschaftlichen Vertreter der krisenbefangenen Gesellschaft gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 StaRUG über die reine Überwachung von potenziell bestandsgefährdenden Entwicklungen hinaus die Verpflichtung,

  • geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen und
  • den zur Überwachung der Geschäftsführung berufenen Organen unverzüglich Bericht zu erstatten.

3. Haftungsgefahren

Ab dem Moment des „Erkennens“ einer Krise besteht mit der Sanierungspflicht eine neue Handlungspflicht der Geschäftsführung. Diese führt zu ersten möglichen Haftungsfallen:

  • Es muss an die Herabsetzung der Vorstandsbezüge nach § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG gedacht werden.
  • Das Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsgebot ist zu beachten, vgl. § 79a1930 f., 49 Abs.355 ff. GmbHG§§ 2731 ff., 92 AktG. Die Geschäftsführung   darf die Einforderung des Stamm- bzw. Grundkapitals nicht verjähren lassen.
  • Die Geschäftsführung „überwacht“ die Vollständigkeit und  Vollwertigkeit der Sacheinlage der Gesellschafter und die Überwachung von deren Bonität bei offenen Einlagen, vgl. § 9a19 Abs. 4 und 530 Abs. 1 Satz 282 GmbHG§§ 2731 ff. AktG.
  • Die Geschäftsführung trifft eine Ersatzpflicht für verbotene Zahlungen an den Gesellschafter nach  15b Abs. 5 InsO.

Mit dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO und somit ab dem möglichen Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung oder dem Zeitpunkt der Einleitung des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nach § 2 ff. StaRUG, insbesondere der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens nach § 31 StaRUG, kann die Geschäftsführung unternehmerische Entscheidungen nicht mehr mit dem (weiten) Ermessensspielraum treffen wir zuvor.

Die Geschäftsführung ist zur Vermeidung einer Haftung verpflichtet, mit dem Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit in die Sanierung einzusteigen. Über das „Ob“ der Sanierung besteht kein Handlungsspielraum.

Allerdings gibt es für das „Wie“ der Sanierung Wahlmöglichkeiten, nämlich die Durchführung

  • einer „freien“ Sanierung außerhalb des Anwendungsbereichs der gesetzlichen Sonderverfahren.
  • die Sanierungsmoderation nach § 94 ff. StaRUG.
  • das Eigenverwaltungsverfahren mit Insolvenzplansanierung gemäß §§ 270b, 270d (Schutzschirmverfahren) und
  • das Regelinsolvenzverfahren (auch als Insolvenzplanverfahren).

Werden diese Verfahren nicht rechtzeitig eingeleitet, sind verschiedene Haftungstatbestände denkbar, wenn die Geschäftsführung trotz Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit in dem in Schieflage befindlichen Unternehmen erforderliche Sanierungsbemühungen unterlässt, also wenn die Geschäftsführung trotz Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit

  • weder einen Insolvenzantrag stellt
  • noch erforderliche Sanierungsbemühungen veranlasst und
  • dadurch das Haftungsvermögen zu Lasten der Gläubiger geschmälert wird.

Leitet die Geschäftsführung ein gesetzliches Verfahren rechtzeitig ein, dann beginnt mit der möglichen Durchführungshaftung ein neues Regime. Dieses beginnt bezüglich der Regelungen des StaRUG mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens an das Restrukturierungsgericht gemäß § 31 StaRUG.

Der Grundpflichtenkatalog der Geschäftsführung nach Anzeige des Restrukturierungsvorhabens wird in § 32 Abs. 1 StaRUG geregelt:

„Der Schuldner betreibt die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Sanierungsgeschäftsführers und wahrt dabei die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger. Insbesondere unterlässt er Maßnahmen, welche sich mit dem Restrukturierungsziel nicht vereinbaren lassen oder welche die Erfolgsaussichten der in Aussicht genommenen Restrukturierung gefährden. Mit dem Restrukturierungsziel ist es in der Regel nicht vereinbar, Forderungen zu begleichen oder zu besichern, die durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden sollen.“

Dabei sind Weisungen der Gesellschafter des Unternehmens, die gegen die Interessen der Gläubigergesamtheit nach §§ 32, 43 StaRUG verstoßen, für die Geschäftsführung unbeachtlich.

Um die Einhaltung sämtlicher Pflichten der Geschäftsführung in der Sanierungs- bzw. Restrukturierungsphase nachweisen zu können, ist eine Dokumentation der einzelnen Entscheidungen unbedingt anzuraten.

Selbstverständlich bleiben sodann auch die sonstigen klassischen Haftungstatbestände in der Krise des Unternehmens weiter zu beachten, wie u. a.:

  • Vorenthalten von Arbeitsentgelt nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB
  • Haftung bei Nichtabführung von Steuern nach §§ 34, 69 AO
  • Beim Abschluss von Verträgen in der Krise ist immer auch der sogenannte Eingehungsbetrug gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB zu beachten.

4. Schlussfolgerung

Frühzeitiges Handeln der Beteiligten gefordert: Die Beteiligten müssen seit der Einführung eines vorinsolvenzlichen Restrukturierungsrahmens durch das StaRUG nun noch frühzeitiger eine weitere Alternative – neben der bereits seit 1999 bzw. 2012 bestehenden Option des Insolvenzplanverfahrens in Eigenverwaltung – als möglichen Lösungsweg (er)kennen und gegebenenfalls einschlagen können.

Viele Werkzeuge zur Krisenbewältigung: Den Beteiligten stehen damit so viele Werkzeuge zur Krisenbewältigung zur Verfügung wie noch nie zuvor. Werden die in diesen Regelwerken enthaltenen Möglichkeiten zur Sanierung und Restrukturierung von den Geschäftsführern nicht rechtzeitig wahrgenommen, dann wird dies immer öfter zu persönlichen Haftungsfällen führen. Auch entsprechende Haftungsfälle auf Beraterebene werden nicht zuletzt deshalb immer häufiger den Weg in deutsche Gerichtssäle finden.

[1] Sanierungs- und Abwicklungsgesetz vom 10. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2091).
[2] Schuldverschreibungsgesetz vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2512).
[3] Gesetz zur Stabilisierung und Restrukturierung von Unternehmen v. 22.12.2020 (in Kraft seit 1.1.2021).

Autor: Dr. Alexander Verhoeven

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