Zum Begriff der Unentgeltlichkeit nach § 134 InsO

In Großverfahren, wie beispielsweise P&R und Wirecard, in denen sich die Schäden jeweils auf über drei Mrd. Euro belaufen, sehen sich Investoren der insolvenzrechtlichen Anfechtung ausgesetzt. Meist drei Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bekamen Investoren – institutionelle wie auch private – entweder direkt Post vom Insolvenzverwalter oder von einer beauftragten Kanzlei. Diese Schreiben enthielten – insbesondere bei Kriminalinsolvenzverfahren – eine Zahlungsaufforderung.

Zurückgefordert wurden die von der Insolvenzschuldnerin an die Investoren geleisteten Zahlungen der letzten vier Jahren von dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Insbesondere bei sogenannten „Schneeballsystemen“ wurden mit Verweis auf die Unentgeltlichkeit die einstigen Investoren in Anspruch genommen.

In zwei Entscheidungen hat sich der Bundesgerichtshof mit eben dieser landläufig als Schenkungsanfechtung bekannt gewordenen Vorschrift und deren Voraussetzungen näher auseinandergesetzt.

  1. Schenkungsanfechtung – BGH, Az. IX ZR 17/22 = SanB 2023, S. 12 ff.,

Dem BGH-Beschluss, Az. IX ZR 17/22, lag die vom Insolvenzverwalter erhobene Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde.

a) Sachverhalt

Die Investoren erwarben Container und vermieteten diese an die Verkäuferin zurück. Während der Vertragslaufzeit zahlte die Gesellschaft fest vereinbarte Mieten. Am Ende der von vornherein festgelegten Laufzeit wurde den Investoren ein Rückkaufangebot für die Container unterbreitet, das diese annahmen.

Das Eigentum an den Containern erwarben die Eigentümer Investoren jedoch nicht.

Die Unentgeltlichkeit der gezahlten Mieten und Rückkaufspreise lag nahe und veranlasste den Insolvenzverwalter (zu Recht), sich der Sache anzunehmen. Im Rahmen von „Pilot-Verfahren“ wurden mehrere Investoren in Anspruch genommen.

b) Rechtliche Wertungen

Das Oberlandesgericht Karlsruhe negierte die Schenkungsanfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO und wies die Klage des Insolvenzverwalters ab. Hiergegen richtet sich die von ihm erhobene Nichtzulassungsbeschwerde. Der IX. Zivilsenat des BGH wies das vom Insolvenzverwalter erhobene Rechtsmittel zurück. In dem Leitsatz des BGH heißt es:

Der Zahlungsanspruch des Anlegers auf Zahlung von Mieten und vereinbarten Rückkaufszahlungen entfällt nicht, wenn die zu diesen Zahlungen verpflichtete Gesellschaft für die Unmöglichkeit der Leistungsverpflichtung des Anlegers allein oder weit überwiegend verantwortlich ist.

Irrelevant ist, dass es den jeweiligen Investoren gerade nicht möglich ist, die von ihnen vermieteten Container während der Mietzeit zu überlassen und das Eigentum an diesen zu übertragen, so der IX. Zivilsenat. Ein Rückgriff auf § 326 Abs. 2 BGB ermöglicht diese vielfach kritisierte Anfechtung im Rahmen von Schneeballsystemen.

326 Abs. 2 BGB:

„Ist der Gläubiger für den Umstand, auf Grund dessen der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu leisten braucht, allein oder weit überwiegend verantwortlich oder tritt dieser vom Schuldner nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit ein, zu welcher der Gläubiger im Verzug der Annahme ist, so behält der Schuldner den Anspruch auf die Gegenleistung. Er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Befreiung von der Leistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.“

  1. Anfechtung von Dividendenzahlung – BGH, Az. IX ZR 121/22

In einer weiteren Entscheidung hatte der in Insolvenzsachen zuständige IX. Zivilsenat die Frage zu beantworten gehabt, ob die Auszahlung von Dividenden seinerzeit unentgeltlich war.

Die Entscheidung erging zwar nicht im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal, wird aber Einfluss auf das Vorgehend es Insolvenzverwalters haben.

a) Sachverhalt

Die Insolvenzschuldnerin zahlte in vier aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren Dividenden an die nunmehr in Anspruch genommene Aktionärin. Den Dividendenzahlungen lagen jeweils Gewinnverwendungsbeschlüsse zugrunde.

b) Rechtliche Wertungen

Die von einer Aktiengesellschaft gezahlte Dividende setzt einen ordnungsgemäß gefassten Gewinnverwendungsbeschluss, §§ 278 Abs. 3, 174 AktG, voraus. An einem Dividendenanspruch fehlt es jedoch, wenn der Gewinnverwendungsbeschluss (a) aufgrund eines Mangels oder (b) infolge der Nichtigkeit des Jahresabschlusses nichtig ist. Dem steht der Grundsatz, dass die Unentgeltlichkeit im Zeitpunkt der Leistung selbst vorliegen muss, § 140 InsO, nicht entgegen, da die Nichtigkeit von Anfang an besteht.

Die jeweiligen Jahresabschlüsse sowie die mit diesen korrespondierenden Dividendenbeschlüsse waren von Anfang an nichtig und stellten gerade keine die Insolvenzschuldnerin legitimierende Grundlage für die Zahlung selbst dar.

In einem dem Anfechtungsrechtsstreit vorausgegangenen Rechtsstreit wurden für zwei Jahre sowohl die Dividendenbeschlüsse als auch die jeweils zugrundeliegenden Jahresbeschlüsse für nichtig erklärt. Infolge der Nichtigkeit der Jahresabschlüsse sowie der Dividendenbeschlüsse waren die von der Insolvenzschuldnerin geleisteten Dividendenzahlungen unentgeltlich im Sinne des § 134 Abs. 1 InsO. Ein der Unentgeltlichkeit entgegenstehender Rückforderungsanspruch, bspw. in Form der ungerechtfertigten Bereicherung (§§ 812 ff. BGB), war nicht festzustellen.

Zudem stellte der Senat (zu Recht) fest, dass die Kapitalerhaltungsvorschrift des § 62 AktG die insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften nicht beschränkt.

Zwei weiteren angefochtenen Dividendenzahlungen, die ebenfalls Gegenstand der Entscheidung waren, lag eine abweichende Konstellation zugrunde: Die ursprünglich von der Insolvenzschuldnerin aufgestellten und als Grundlage für die Fassung der Gewinnverwendungsbeschlüsse dienenden Jahresabschlüsse wurden vom Insolvenzverwalter ersetzt. Diese Ersetzung reichte dem BGH vorerst nicht aus, da es an Feststellungen der Vorinstanzen fehlte, dass auch die Gewinnverwendungsbeschlüsse von Anfang an nichtig waren. Insoweit wurde der Rechtsstreit an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Über den Autor

Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht Sascha Borowski

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