Gericht erklärt Wirecard-Bilanzen für nichtig: Können die Dividendenzahlungen der Anleger zurückgefordert werden?

Vor etwa einem Jahr berichteten die Medien über ein beim Landgericht München I rechtshängiges Zivilverfahren. In der Klage ging es im Schwerpunkt um die mutmaßlichen Scheinbuchungen, mit denen Wirecard-Manager die Bilanzen um erfundene Milliardenbeträge aufgebläht haben sollen.

Die aktuelle Entscheidung des Landgerichts München I wird nun wieder für Aufsehen sorgen. Denn die Kammer gab der Klage des Insolvenzverwalters statt. Nichtig sind damit nicht nur die Bilanzen des Konzerns aus den Jahren 2017 und 2018, sondern auch die Dividendenbeschlüsse für die beiden Jahre.

Was bedeutet dies für betroffene Anleger? Anlegern stellt sich insbesondere die Frage: Können die Dividendenzahlungen nun zurückgefordert werden?

Zum Sachverhalt im Einzelnen und der ersten rechtlichen Einschätzung:

I. Gerichtsverfahren zur Nichtigkeitsfeststellung der Bilanzen

Im Wirecard-Skandal beantragte der Insolvenzverwalter, die Nichtigkeit der Bilanzen des Unternehmens für das Geschäftsjahr 2017 und 2018 festzustellen. Auch die Dividendenbeschlüsse der Hauptversammlung wurden angefochten. Diese bildeten die Grundlage für die Dividendenzahlung an die Aktionäre. Das vor der Handelskammer des Münchener Landgerichts I geführte Verfahren (Az. 5 HK O15710/20) ist nun zugunsten des Insolvenzverwalters entschieden worden, so Jaffé in seiner jüngsten Pressemitteilung. Der Insolvenzverwalter hatte einen Verstoß gegen das Aktiengesetz gesehen, wonach „Aktivposten in den beiden Bilanzen deutlich überbewertet“ worden seien. Dem folgte das Gericht.

II. Rechtliche Ausgangslage

Grundsätzlich gilt: Aktionäre haften für den Empfang von „verbotenen Leistungen“. Einschlägige Norm ist hier § 62 AktG. Danach müssen Aktionäre Leistungen der Gesellschaft, die sie entgegen den Vorschriften des Aktiengesetzes erhalten haben, zurückgewähren. In § 62 Abs. 1 AktG heißt es konkret:

„Die Aktionäre haben der Gesellschaft Leistungen, die sie entgegen den Vorschriften dieses Gesetzes von ihr empfangen haben, zurückzugewähren. Haben sie Beträge als Gewinnanteile bezogen, so besteht die Verpflichtung nur, wenn sie wussten oder infolge von Fahrlässigkeit nicht wussten, dass sie zum Bezug nicht berechtigt waren.“

Es sollen Gewinne von insgesamt etwa 600 Millionen Euro betroffen sein. Zudem wurden Dividendenzahlungen in achtstelliger Höhe an Aktionäre ausbezahlt.

Darüber hinaus wurden die von der Hauptversammlung beschlossenen Dividendenbeschlüsse ebenfalls angefochten.

Grundsätzlich rechtfertigt ein wirksam angefochtener und für nichtig erklärter Gewinnverwendungsbeschluss die Rückforderung der Dividendenzahlung im Sinne des § 62 Abs. 1 Aktiengesetz. Dividendenzahlungen an Aktionäre stellen verbotene Leistungen dar, auch wenn diesen Zahlungen zunächst ein Gewinnverwendungsbeschluss zugrunde lag. Die Nichtigkeit wirkt auf den Zeitpunkt des Beschlusses zurück. Mit anderen Worten: Der Rückforderung steht die spätere Nichtigkeitserklärung des Dividenbeschlusses nicht entgegen.

III. Schutz für gutgläubige Dividendenempfänger im Fall Wirecard

Zu beachten ist jedoch: Das Aktienrecht schützt gutgläubige Aktionäre, auch wenn diese verbotene Leistungen als Gewinnanteile bezogen haben. Der gute Glaube muss sich dabei auf die Berechtigung auf den Gewinnbezug beziehen. Der gute Glaube entfällt lediglich im Falle der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis des Aktionärs. Die Aktiengesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter hat die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des Aktionärs zu beweisen. Dies bedeutet: Der Kleinaktionär ist schutzwürdiger als der geschäftserfahrene Großaktionär. Im Visier der Insolvenzverwaltung dürften überwiegend Großaktionäre, wie beispielsweise die von Dr. Markus Braun gehaltene MB Beteiligungs GmbH, sein.

IV. Was bedeutet die neue Wirecard-Entscheidung für Aktionäre?

Kleinaktionären müsste die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis der zu Unrecht erfolgten Dividendenzahlung nachgewiesen werden, um die Dividenden zurückfordern zu können. Die Wahrscheinlichkeit aus § 62 Abs. 1 AktG in Anspruch genommen zu werden, dürfte daher für Kleinaktionäre und Privatanleger als eher gering einzuschätzen sein.

Über den Autor

Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht Sascha Borowski

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