10 Jahre ESUG – Entwicklungen im Steuerrecht

10 Jahre ESUG

Im März 2012 hat der Gesetzgeber mit der Einführung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) eine Zeitenwende bei der Sanierung von in wirtschaftliche Not geratenen Unternehmen eingeleitet. Neben den insolvenzrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Regelungen nimmt der Gesetzgeber auch durch die Steuergesetze auf die Sanierung von Unternehmen erheblichen Einfluss. In den letzten 10 Jahren hat sich gerade im Steuerrecht viel verändert.

Die Steuern im vorläufigen Verfahren werden zu Masseverbindlichkeiten (§ 55Abs.4 InsO n. F.)

Im Gesetzgebungsverfahren des ESUG unterblieb eine gesetzliche Regelung zu der Frage, ob die Regelung des § 55 Abs. 4 InsO auch in der vorläufigen Eigenverwaltung Anwendung findet. Aus den Gesetzgebungsmaterialien ließen sich Argumente dahingehend ableiten, dass eine Erstreckung der Regelung vom Gesetzgeber bewusst nicht erfolgt war und deshalb eine direkte oder analoge Anwendbarkeit nicht in Betracht kommt.

In der Praxis akzeptierte die Finanzverwaltung in den weit überwiegenden Fällen diese Auffassung. Jedoch kam es in einzelnen Fällen zu gerichtlichen Verfahren sowohl in der Zivil- als auch in der Finanzgerichtsbarkeit. Letztendlich haben sowohl der Bundesgerichtshof als auch der Bundesfinanzhof höchstrichterlich bestätigt, dass § 55 Abs. 4 InsO in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung in der vorläufigen Eigenverwaltung und im Schutzschirmverfahren nicht anwendbar ist.

Mit Inkrafttreten der Neuerungen zur Insolvenzordnung für alle Verfahren mit Antragstellung ab dem 01.01.2021 hat der Gesetzgeber jedoch „mit einem Federstrich“ die jahrelange Fachdiskussion beendet und in der Neufassung des § 55 Abs. 4 InsO geregelt, dass dieser nunmehr auch in der vorläufigen Eigenverwaltung und im Schutzschirmverfahren anwendbar ist. Zwar wurde im Gegenzug der Bereich der Ertragsteuern (Einkommensteuer bzw. Körperschaftsteuer sowie weiterhin Gewerbesteuer) aus dem Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO herausgenommen. Hinsichtlich der Steuerarten mit der größten praktischen Bedeutung (Umsatzsteuer und Lohnsteuer) ist jedoch der Fiskus aufgrund der neuen gesetzlichen Lage auch im Bereich der vorläufigen Eigenverwaltung und des Schutzschirmverfahrens insbesondere gegenüber den Sozialkassen bevorzugt, für welche die Sonderregelung nicht greift.

Unabhängig davon gilt, dass mit Inkrafttreten des ESUG im Jahr 2012 folgerichtig die spannende Frage in der insolvenzsteuerlichen Beratung aufgeworfen wurde, ob in der vorläufigen Eigenverwaltung und im Schutzschirmverfahren der Geschäftsführer weiterhin zur Entrichtung der Steuerzahlungen verpflichtet ist. Der Geschäftsführer befindet sich in einem Interessenkonflikt:

  • Die insolvenzrechtliche Massesicherungspflicht verlangt von ihm, die Insolvenzmasse zu sichern. Aus diesem Grund fordert das Insolvenzrecht vom Geschäftsführer, Steuern während des vorläufigen Insolvenzverfahrens nicht zu entrichten, weil diese keine Masseverbindlichkeiten, sondern Insolvenzforderungen darstellen, die nur zur Insolvenzquote bedient werden dürfen.
  • Zugleich jedoch droht dem Geschäftsführer bei unterbliebener Entrichtung der Steuern eine steuerrechtliche persönliche Haftung gemäß § 69 AO. Die Praxis behalf sich mit einer Heranziehung des insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechts: Gemäß § 130 InsO können nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in anfechtbarer Weise gezahlte Steuern als Insolvenzforderung zur Insolvenzmasse zurückgefordert werden. So konnte sich der Geschäftsführer einerseits steuerlich pflichtgemäß verhalten, andererseits ebenfalls erreichen, dass die insolvenzrechtliche Massesicherungspflicht durch den Geschäftsführer gewahrt werden konnte. Die mangelnde Abstimmung der Gesetzeslage zwischen Insolvenz- und Steuerrecht konnte damit durch vermittelnde rechtspraktische Maßnahmen entschärft und praxistauglich gemacht werden.

Die Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns ist eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg

Auch im Ertragsteuerrecht knüpfte das ESUG an eine zentrale steuerliche Fragestellung an, die sich schon seit den zwanziger Jahren im Bereich außergerichtlich vertraglich erzielter Forderungsverzichte wie auch in den seltenen Fällen der Vergleiche nach der Vergleichsordnung stellte:

Generell führt im Bereich des Steuerbilanzrechts der Verzicht eines Gläubigers auf eine bilanziell passivierte Forderung beim Schuldner zu einem Ertrag aus Forderungsverzicht. Ein solcher Forderungsverzicht ist grundsätzlich ertragsteuerpflichtig. Möglichkeiten zur Saldierung mit laufenden ertragsteuerlichen Verlusten oder Verlustvorträgen greifen nicht in allen Fällen. Somit können steuerpflichtige Erträge aus Forderungsverzicht zur Ertragsteuerbelastungen führen, welche die Sanierung insgesamt gefährden können.

Bereits in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts urteilte der Reichsfinanzhof dahingehend, dass solche Erträge aus Forderungsverzicht dann steuerfrei sind, wenn insbesondere ein sogenannter Gläubiger Akkord vorliegt, das bedeutet, ein Forderungsverzicht durch alle Gläubiger oder zumindest aller wesentlichen Gläubiger. Nur in solchen Fällen sollte der Ertrag aus Forderungsverzicht als sogenannter Sanierungsgewinn steuerfrei sein.

Zwar wurde die Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen in der Folgezeit gesetzlich geregelt. Die gesetzliche Regelung wurde jedoch in den neunziger Jahren wieder abgeschafft mit der Folge, dass es an einer gesetzlichen Regelung über die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen fehlte. Um dennoch Sanierungsgewinne steuerfrei stellen zu können, erging im Jahr 2003 ein Schreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF Schreiben). Dieses ordnete die Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen im Wege einer Verwaltungsvorschrift an, der sogenannte Sanierungserlass. Durchführungsweg sollte ein Erlass der Steuern aufgrund von Unbilligkeit nach Maßgabe der Abgabenordnung sein. Aufgrund der Steuerhoheit der Kommunen im Bereich der Gewerbesteuer konnte diese Verwaltungsanweisung jedoch nicht die Gewerbesteuer regeln. Vielmehr musste die Steuerbefreiung im Bereich der Gewerbesteuer mit der jeweils hebeberechtigten Kommune geregelt werden.

Die Regelung sogenannter Sanierungsgewinne über eine Verwaltungsanweisung wurde seit jeher in der Fachwissenschaft kritisiert. Sowohl die Frage, ob nicht eine gesetzliche Regelung statt einer Verwaltungsanweisung erforderlich ist, als auch die Frage, ob die Steuerbefreiung konform zum europäischen Beihilferecht ist, wurde hinterfragt.

Durch das ESUG kam das Rechtsinstrument des Insolvenzplans in deutlich vergrößertem Umfang zur Anwendung. Folgerichtig kam es auch zu einer deutlich höheren Zahl an Fällen, in welchen im ertragsteuerlichen Bereich der steuerliche Umgang mit ertragsteuerlichen Belastungen aufgrund von Forderungsverzichten zu klären war. Dementsprechend erlangte auch die fachliche Kritik an dem sogenannten Sanierungserlass erheblich umfangreichere Bedeutung.

Letztlich kam es zur Frage der Anwendbarkeit des Sanierungserlasses zu einem Verfahren beim Großen Senat des Bundesfinanzhofs. Dieser entschied, dass der Sanierungserlass als Verwaltungsvorschrift gegen den grundgesetzlichen Vorbehalt des Gesetzes verstößt und damit nicht länger angewendet werden darf. Der Gesetzgeber musste handeln.

Die umsatzsteuerliche Organschaft kann in der Sanierung ein Problem sein

Auch im Bereich der Umsatzsteuer ergaben sich umfangreiche insolvenzbedingte Fragestellungen und Klärungen im Bereich des ESUG. Diese betrafen nicht so sehr den umsatzsteuerlichen Grundtatbestand. Jedoch erlangten einige Besonderheiten des Umsatzsteuerrechts auch im Bereich von Eigenverwaltung und Schutzschirm erhebliche Bedeutung.

Damit in finanzieller Hinsicht weder der Gesellschafter als Organträger noch die Gesellschaft als Organgesellschaft bevorzugt oder benachteiligt werden, muss die Gesellschaft als Organgesellschaft dem Gesellschafter als Organträger die finanzielle Mehrbelastung aufgrund der umsatzsteuerlichen Organschaft erstatten. Im Normalfall ist diese Erstattung unproblematisch. Im Insolvenzfall ist sie jedoch nicht mehr umsetzbar.

Im Regelinsolvenzverfahren unter Bestellung eines Insolvenzverwalters erging bereits recht früh die Rechtsprechung dahingehend, dass die umsatzsteuerliche Organschaft mit der Eröffnung des Verfahrens kraft Gesetzes endet, ohne, dass es irgendwelcher gestaltender Maßnahmen bedarf. Nachfolgend urteilte die Rechtsprechung dahingehend, dass die umsatzsteuerliche Organschaft im Regelinsolvenzverfahren auch bereits mit Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters endet, wenn (wie in der Praxis ganz allgemein üblich) das Insolvenzgericht anordnet, dass Verfügungen der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters bedürfen.

Betreffend die Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren erging ebenfalls eine übereinstimmende höchstrichterliche Rechtsprechung dahingehend, dass ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung die umsatzsteuerliche Organschaft endet. Lange Zeit fraglich war jedoch, ob die Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft auch schon mit Einleitung einer vorläufigen Eigenverwaltung unter Bestellung eines vorläufigen Sachwalters eintritt. Allgemein erwartet wurde, dass der Bundesfinanzhof auch dies so entscheiden würde. Überraschend entschied der Bundesfinanzhof jedoch, dass während einer vorläufigen Eigenverwaltung unter Bestellung eines vorläufigen Sachwalters die Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft (noch) nicht eintritt. Kritisch anzumerken war gegenüber dieser Rechtsprechung, dass der Bundesfinanzhof die aufgrund des Beginns der vorläufigen Eigenverwaltung umfassend geänderte wirtschaftliche Struktur des Unternehmens nicht berücksichtigte.

Die Berichtigung der Vorsteuer und der Umsatzsteuer (§17 UStG)

Ebenfalls besondere Bedeutung in umsatzsteuerlicher Hinsicht erlangte das umsatzsteuerliche Rechtsinstitut der Berichtigung der Umsatzsteuer sowie der Vorsteuer gemäß § 17 UStG aufgrund Uneinbringlichkeit.

Im Bereich der Vorsteuer (Verbindlichkeiten des Unternehmens aus Lieferung und Leistung) war es seit jeher Auffassung von Finanzverwaltung und Rechtsprechung, dass unmittelbar vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Forderungen der Gläubiger gegen das Unternehmen uneinbringlich werden, da die Gläubiger ihre Forderungen im eröffneten Insolvenzverfahren nicht mehr individuell geltend machen können. Folge ist, dass in der letzten Umsatzsteuer-Voranmeldung vor Eröffnung das Unternehmen die bereits gezogene Vorsteuer insoweit wieder rückgängig zu machen hat (sogenannte erste Berichtigung). Die Berichtigung wirkt nicht zurück auf den erstmaligen Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs. Die Frage, ob eine solche Vorsteuerberichtigung bereits zu einem früheren Zeitpunkt eintritt, konnte nur anhand der Besonderheiten des Einzelfalls beantwortet werden.

Die sogenannte zweite Berichtigung erfolgte sodann erst in dem Zeitpunkt und nur in der Höhe, in der in der Folgezeit Zahlungen auf solche Verbindlichkeiten geleistet werden, insbesondere also aufgrund der Quotenzahlungen an die Insolvenzgläubiger.

Diese Berichtigung der Vorsteuer mit der Folge der Erhöhung der Umsatzsteuer-Zahllast tritt ebenfalls in der vorläufigen Eigenverwaltung ein. Da sie jedoch noch im vorläufigen Verfahren eintritt, war die entsprechende Forderung des Finanzamts nur eine Insolvenzforderung.

Zur Überraschung der Fachwelt ergab sich jedoch in einem Urteil des Bundesfinanzhofs aus 2010, dass eine Berichtigung aufgrund Uneinbringlichkeit nicht nur im Bereich der Vorsteuer (Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung), sondern auch im Bereich der Umsatzsteuer (Forderungen aus Lieferung und Leistung) eintreten soll. Der Bundesfinanzhof begründete dies mit dem im Regelverfahren eintretenden Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter. Aufgrund dieses Begründungsansatzes, der konkret auf die Befugnisse des Insolvenzverwalters im Regelverfahren abstellte, sprach vieles dafür, dass die Rechtsfolge der Uneinbringlichkeit im umsatzsteuerlichen Sinne in der Eigenverwaltung nicht eintritt, da es in der Eigenverwaltung keinen Wechsel in der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gibt. Diese verbleibt auch nach Eröffnung beim Geschäftsführer. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs entschied jedoch anders mit der Folge, dass auch unmittelbar vor der Eröffnung in Eigenverwaltung eine umsatzsteuerliche Uneinbringlichkeit eintritt.

Fazit

Aus den vorstehend dargestellten beispielhaften Entwicklungen des Insolvenzsteuerrechts in der Regelinsolvenz und insbesondere in der Eigenverwaltung wird deutlich, dass die Forderung, Insolvenzrecht und Steuerrecht grundlegend systematisch in der Gesetzgebung zu verzahnen, nach wie vor von großer Bedeutung ist. Sanierungsprozesse werden durch die uneinheitliche nicht abgestimmte Gesetzgebung und Rechtsprechung verkompliziert. Die steuer- und insolvenzrechtliche Beratung hat jedoch erreicht, dass praxistaugliche Lösungen in den konkreten Fällen erzielt werden können.

Über den Autor

Partner, Rechtsanwalt, Steuerberater Martin Rekers LL.M. Eur. LL.M. Steuern

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