Dr. Olaf Hiebert im Interview zum Lieferkettengesetz: Die Belastungen stehen in keinem Verhältnis zum Ergebnis

Das Parlament diskutiert gerade das neue Lieferkettengesetz der Bundesregierung: Unternehmen sollen künftig dafür Sorge tragen, dass ihre Vertragspartner in ihren globalen Lieferketten Menschenrechte einhalten. Rechtsanwalt Olaf Hiebert erklärt im Interview mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten (DWN), welche politischen Hintergründe das Gesetz hat, welche Verpflichtungen auf die Firmen zukommen und wie sie sich darauf vorbereiten können.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: „Wir setzen mit dem Lieferkettengesetz ein starkes Zeichen in der EU. Wir setzen sozusagen den Standard für eine gerechte Globalisierung und für eine europäische Regelung“, hat Entwicklungsminister Gerd Müller bei der Vorstellung des Entwurfes gesagt.
Inwieweit ist das Gesetz im europäischen Vergleich einzigartig?

Dr. Olaf Hiebert: Das Ziel und die Regelungen zur Erreichung des Ziels sind weder in Europa noch weltweit einzigartig. Die Republik Frankreich hat bereits Anfang des Jahres 2017 mit dem „Loi de vigilance“ ein Gesetz zum Schutz von Menschenrechten geschaffen, das ebenfalls nicht den Staat, sondern Unternehmen verpflichtet. Auch hier werden konkrete Sorgfaltspflichten auferlegt. Teilaspekte des deutschen Entwurfs des Lieferkettengesetzes werden beispielsweise auch durch den britischen „Modern Slavery Act“ von 2015 umgesetzt. Moderne Formen der Sklaverei sollen durch ein System von Berichtspflichten und Maßnahmen ebenso verhindert werden wie Zwangsarbeit. Die Niederlande haben ein ähnliches Gesetz bezüglich des Problems der Kinderarbeit erlassen. Das sogenannte Child Labour Due Diligence Law enthält Beschwerdemöglichkeiten und Sanktionen bei Sorgfaltsverstößen. Auf europäischer Ebene sind die Akteure ebenfalls nicht untätig. Von seinem Umfang her ist die geplante deutsche Regelung allerdings insoweit einzigartig, als dass sie sehr weit geht – zu weit wie Kritiker sagen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: „Das Gesetz ist mit Augenmaß und wird Wirkung zeigen“, hat Müller hinzugefügt. Das wirkt sehr selbstsicher. Könnten Sie einen kurzen Überblick geben, was das Gesetz vorsieht, und eine Einschätzung geben, ob die Aussage von Müller stimmt.

Dr. Olaf Hiebert: Die Politik leidet hier an Selbstüberschätzung. Ähnlich wie bei den Themen Datenschutz und Compliance glaubt man offenbar, mit Berichtspflichten und Sanktionen für Unternehmer die Welt verbessern zu können. Die Belastungen für die Unternehmer stehen in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Deutschland und die anderen europäischen Staaten können juristisch selbst die Verhältnisse in Drittländern nicht regeln. Wenn dort Kinderarbeit, Sklaverei und niedrigste Löhne dem Gesetz entsprechen oder die Regierungen dies dulden, kann der deutsche Staat nicht ersatzweise handeln. Existiert in einem Drittland kein Sozialstaat, zum Beispiel keine Krankenversicherungen, kein Arbeitsschutz oder auch keine Umweltstandards, dann kann Deutschland dies nicht gesetzlich regeln. Daher folgt man hier internationalen Bestrebungen diverser Vereinigungen und geht das Problem anders an. Kritiker sagen, die Verantwortung wird abgeschoben. Unternehmen müssen dafür Sorge tragen, dass Ihre Vertragspartner in der Lieferkette Menschenrechte einhalten. Was das für Rechte sind, muss im Einzelnen betrachtet werden. Die Unternehmen sind hierzu aber nicht nur verpflichtet. Sie müssen auch Beschwerdemöglichkeiten einrichten und über ihre Aktivitäten berichten.

Paragraf 3 Absatz 1 des Gesetzentwurfs definiert die Sorgfaltspflichten im Einzelnen und lässt erkennen, dass ein hoher Verwaltungsaufwand auf Unternehmer zukommt:

(1) Unternehmen sind dazu verpflichtet, in ihren Lieferketten die in diesem Abschnitt festgelegten menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten.

Die Sorgfaltspflichten enthalten:

1. die Einrichtung eines Risikomanagements (Paragraf 4 Absatz 1),
2. die Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit (Paragraf 4 Absatz 3),
3. die Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen (Paragraf 5),
4. die Verabschiedung einer Grundsatzerklärung (Paragraf 6 Absatz 2),
5. die Verankerung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich (Paragraf 6 Absatz 1 und 3) und gegenüber unmittelbaren Zulieferern (Paragraf 6 Absatz 4),
6. das Ergreifen von Abhilfemaßnahmen (Paragraf 7 Absätze 1 bis 3),
7. die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens (Paragraf 8),
8. die Umsetzung von Sorgfaltspflichten in Bezug auf Risiken bei mittelbaren Zulieferern (Paragraf 9) und
9. die Dokumentation (Paragraf 10 Absatz 1) und die Berichterstattung (Paragraf 10 Absatz 2).

Das gewünschte Ziel soll also durch Sorgfaltspflichten erreicht werden, die den Unternehmen auferlegt werden. Folgerichtig heißt das Lieferkettengesetz tatsächlich auch Sorgfaltspflichtengesetz. Da ist der Name Programm.
Alle Pflichten und Maßnahmen im Einzelnen zu erläutern, würde hier den Rahmen sprengen. Beispielhaft sei die Dokumentations- und Berichtspflicht aus Paragraf 10 Absatz 4 des Gesetzentwurfs herausgenommen. Der von dem Unternehmen zu erstellende Bericht ist spätestens vier Monate nach Schluss des Geschäftsjahres für einen Zeitraum von sieben Jahren kostenfrei öffentlich zugänglich zu machen.
Ein Verletzter aus einem Drittland soll überdies eine inländische Gewerkschaft oder eine Nichtregierungsorganisation mit der Prozessführung beauftragen können. Diese tritt dann im Wege der sogenannten Prozessstandschaft als Kläger auf. Fast von selbst versteht sich, dass das Gesetz auch Regelungen zu einer behördlichen Kontrolle und zur Durchsetzung der vorgenannten Sorgfaltspflichten enthält. Ein weiteres scharfen Schwert ist der vorgesehene Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren im Fall eines rechtskräftig festgestellten, mit einer Mindestgeldbuße geahndeten Verstoßes. Und selbstverständlich sind umfangreiche Regelungen zu Zwangs- und Bußgeldern vorgesehen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Unternehmen sind davon überhaupt in der Praxis betroffen? Wie groß ist deren Zahl?

Dr. Olaf Hiebert: Die Pflichten gelten für alle Unternehmen, die ihre Hauptverwaltung, Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder satzungsmäßigen Sitz in Deutschland haben, soweit sie in der Regel mindestens 3.000 Mitarbeiter beschäftigen. Ab dem 1. Januar 2024 soll ein Schwellenwert von 1.000 Mitarbeitern geltend. Davon betroffen sind nach Angabe des Gesetzentwurfs selbst unter Bezugnahme auf das Unternehmensregister (Destatis) in der Bundesrepublik Deutschland 2 891 Unternehmen mit 1 000 oder mehr Beschäftigten. Es sollen also danach rund 3.000 Unternehmen betroffen sein.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie soll ein Unternehmen, das davon tangiert wird, sich jetzt im Vorfeld auf die Einführung des Gesetzes vorbereiten?

Dr. Olaf Hiebert: Diverse Dienstleister bieten im Internet bereits Papiere zur Umsetzung und Unterstützung an – sogenannte Whitepaper. Ähnlich wie beim Datenschutz und der Compliance entwickelt sich hier ein neues Geschäftsfeld für Berater und Rechtsanwälte. Entweder man nimmt entsprechende Beratungsleistungen in Anspruch oder man nutzt die von dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales zur Verfügung gestellten Informationen auf der Seite CSR – Menschenrechte in globalen Lieferketten, die zu einer umfassenden Informationsseite ausgebaut werden soll. Grundsätzlich würde ich erst einmal abwarten, ob und in welcher Form das Gesetz überhaupt durch den Bundestag beschlossen wird. Das Gesetz ist hoch umstritten, weil es den einen zu weit und den anderen nicht weit genug geht. Ein Inkrafttreten der Pflichten für die Unternehmen ist gemäß dem Entwurf für den 1. Januar 2023 vorgesehen. Die zweite und dritte Lesung des Gesetzentwurfs ist für den 20. Mai im Bundestag vorgesehen. Eine Beschlussempfehlung des zuständigen Ausschusses ist digital noch nicht abrufbar, aber angekündigt. Die Beschlussempfehlungen zu zwei Änderungsanträgen, die abgelehnt werden sollen, liegen vor. Ich rechne daher mit Zustimmung der Mehrheitsfraktionen zu dem Gesetz, gegebenenfalls in leicht abgeänderter Form.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was soll eine Firma tun, wenn sie gegen das Gesetz bereits verstoßen hat? Gibt es Möglichkeiten, die Sanktionen, die das Recht vorsieht, zu vermeiden?

Dr. Olaf Hiebert: In der Vergangenheit begangene Verstöße werden meiner Meinung nach nicht sanktioniert. Das wäre rechtsstaatlich auch bedenklich und vor den Gerichten kaum zu halten. Falls das neue Gesetz beschlossen wird, sollte zügig mit der Vorbereitung für die Erfüllung der neuen Pflichten begonnen werden. Soweit aktuelle Verstöße bereits bekannt sind oder ermittelt werden, sollten unverzüglich die in Paragraf 7 des Gesetzes vorgesehenen Abhilfemaßnahmen ergriffen werden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Dr. Hiebert, herzlichen Dank für das Gespräch.

Über den Autor

Partner, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht Dr. Olaf Hiebert

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