Eineinhalb Jahre StaRUG: Was kann das neue Gesetz und was nicht? Ein Fazit und Ausblick.

I. StaRUG-Fallzahlen 2021

Am 01. Juli 2022 wird das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – kurz: StaRUG) eineinhalb Jahre alt. Zu diesem vorinsolvenzlichlichen Sanierungsverfahren, das auf der EU-Richtlinie über die präventive Restrukturierung aus dem Jahr 2019 basiert, treten zudem am 17. Juli 2022 die §§ 84 – 88 StaRUG in Kraft, wonach es dem Schuldner auf Antrag möglich ist, dass einzelne Verfahrensschritte des Restrukturierungsverfahrens öffentlich bekannt gemacht werden. Die Veröffentlichung der Restrukturierungssache ist Voraussetzung für die Anerkennung des Restrukturierungsplans in anderen EU-Mitgliedsstaaten gemäß der europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO).

Gab es im Jahr 2021 laut einer Befragung der 24 deutschen Restrukturierungsgerichte insgesamt 22 angezeigte Restrukturierungsvorhaben und fünf Sanierungsmoderationen, dürfte sich die Anzahl der Verfahren mit dem Wegfall bzw. Auslaufen der staatlichen Corona-Hilfsprogramme deutlich erhöhen. Die amtliche Zählung hat nach dem Gesetz über die Insolvenz- und Restrukturierungsstatistik erst am 01.01.2022 begonnen (allerdings ohne Miterfassung der Sanierungsmoderationsfälle), sodass Anfang 2023 verlässliche Fallzahlen für 2022 vorliegen werden. Ähnlich wie das im Jahr 2012 in Kraft getretene Gesetz über die weitere Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) wird auch das StaRUG seine Zeit brauchen, um in der Praxis noch weiter bekannt zu werden und sich zu etablieren.

II. Aktuelle Rechtsprechung zum StaRUG aus dem Jahr 2022

Zur Fortentwicklung des StaRUG trägt auch die Rechtsprechung bei. Einen Überblick über die im Jahr 2021 ergangenen Gerichtsentscheidungen zum StaRUG finden Sie in unseren Newslettern vom 23. November 2021 und vom 16. Dezember 2021. Das bisher größte bekannt gewordene und erfolgreich abgeschlossene Restrukturierungsverfahren ist bislang immer noch das Verfahren um das Modeunternehmen eterna, bei dem das Unternehmen aufgrund eines coronabedingten deutlichen Umsatzrückgangs seine Rückzahlungsverpflichtung aus einer Unternehmensanleihe nicht einhalten konnte (s. hierzu AG München, Beschl. v. 21.10.2021, Az. 1542 RES 2180/21 sowie ausführlich Bernsau/Beyer, ZInsO 2021, 2533 ff.).

Mittlerweile liegen zwei weitere Entscheidungen des Amtsgerichts Hamburg vom 17.01.2022 und vom 18.01.2022 vor, die nachfolgend näher beleuchtet werden.

  1. AG Hamburg, Hinweisbeschluss v. 17.1.2022, Az. 61 c RES 1/21

In diesem Restrukturierungsverfahren hatte der unternehmerisch tätige Schuldner, der eine Salatbar betreibt, am 10.12.2021 die Restrukturierungssache gemäß § 31 StaRUG beim Restrukturierungsgericht in Hamburg angezeigt. Der dabei vorgelegte Restrukturierungsplanentwurf enthält vier Plangruppen: Gruppe 1 (institutionelle (teilweise besicherte) Gläubiger/Geldgeber), Gruppe 2 (Gläubiger aus Lieferung und Leistung), Gruppe 3 (institutionelle (unbesicherte) Geldgeber/Gläubiger) und Gruppe 4 (Sicherungsgeber bestehend aus einer Bürgschaftsgemeinschaft).

Analoge Anwendung von § 44 InsO im Restrukturierungsverfahren

Die konkreten Planregelungen im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplanentwurfs zu Gruppe 1 und Gruppe 4 waren in sich nicht stimmig, sodass es zu einer doppelten Berücksichtigung wirtschaftlich identischer Forderungen kam, die § 44 InsO nicht zulässt. Nach § 44 InsO können der Gesamtschuldner und Bürge die Forderung, die sie durch eine Befriedigung des Gläubigers künftig gegen den Schuldner erwerben könnten, im Insolvenzverfahren nur dann geltend machen, wenn der Gläubiger seine Forderung nicht geltend macht.

  • 44 InsO ist nach Ansicht des AG Hamburg im Restrukturierungsverfahren analog anwendbar. Das in § 44 InsO statuierte sogenannte Verbot der Doppelanmeldung beruht auf dem Gedanken, dass die Rückgriffsforderung des Bürgen und die Forderung des Gläubigers jedenfalls bei wirtschaftlicher Betrachtung identisch sind und deshalb nicht nebeneinander geltend gemacht werden dürfen. Dieser Gedanke greift auch im Rahmen eines Restrukturierungsverfahrens. Dafür sprechen auch die wortgleichen Regelungen der § 67 Abs. 3 StaRUG und des § 254 Abs. 2 InsO. Durch einen Restrukturierungsplan werden – wie auch durch einen Insolvenzplan – die Rechte des Gläubigers gegen den Bürgen nicht berührt. Der Schuldner wird jedoch durch den Plan gegenüber dem Bürgen in gleicher Weise befreit wie gegenüber dem Gläubiger.

Verfahrensleitung durch den Restrukturierungsrichter und analoge Anwendung von § 10a InsO im Restrukturierungsverfahren

Das AG Hamburg hatte den Hinweis auf die analoge Anwendung des § 44a InsO bereits vor der eigentlichen förmlichen Anzeige des Restrukturierungsverfahrens erteilt und zwar im Rahmen eines Vorgesprächs mit dem Restrukturierungsgericht. Daher weist das Gericht in seinem Hinweisbeschluss auf folgende für die Sanierungspraxis bedeutsamen Aspekte hin:

Das Restrukturierungsgericht kann dem Schuldner im Rahmen der ihm nach § 38 S. 1 StaRUG, § 139 Abs. 1 ZPO obliegenden Verfahrensleitung Hinweise erteilen. Das Gericht muss den Schuldner dabei auf Gesichtspunkte hinweisen, die der Schuldner erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat. Ein solcher Hinweis ist insbesondere immer dann angezeigt, wenn es um rechtliche Fragen geht, die sinnvoll zwischen Gericht und Schuldner und ohne Einbeziehung der Gläubiger geklärt werden können. Demgegenüber ist die gerichtliche Vorprüfung, die gemäß § 46 Abs. 3 StaRUG auch von Amts wegen erfolgen kann, in erster Linie dafür vorgesehen, Fragen zu erörtern, die sinnvoll nur unter Einbeziehung der planbetroffenen Gläubiger geklärt werden können; dies zeigt § 48 Abs. 1 StaRUG, der vorsieht, dass die von der Vorprüfungsfrage planbetroffenen Gläubiger anzuhören sind.

Nach diesen Maßstäben kann das Gericht im Rahmen der §§ 38 S. 1 StaRUG, 139 Abs. 1 ZPO insbesondere auf Mängel bei der Auswahl der Planbetroffenen und der Gruppenbildung hinweisen, die im Rahmen des vom Schuldner eingereichten Entwurfs des Restrukturierungsplans oder eines gemäß § 10a InsO analog durchgeführten Vorgespräches ersichtlich werden und zu einer amtswegigen Versagung der Bestätigung nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG führen können.

2. AG Hamburg, Beschl. v. 18.1.2022, Az. 61 c RES 1/21

Interessant für die Sanierungspraxis sind auch die Ausführungen des AG Hamburg in dem um einen Tag nachgelagerten Beschluss zu dem vorgenannten Fall. Der Schuldner hatte mit der Anzeige seines Restrukturierungsverfahrens bei Vorlage eines sechsmonatigen Finanzplans zugleich beantragt, sämtlichen Gläubigern Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG für die Dauer von drei Monaten zu untersagen.

Erlass einer Stabilisierungsanordnung auch bei Mängeln im Restrukturierungsplan

Das AG Hamburg hat in richtiger Konsequenz auch die Stabilisierungsanordnung erlassen, allerdings zeitlich verkürzt:

Eine Restrukturierungsplanung, die Mängel bei der Begründung der Auswahlentscheidung der Planbetroffenen nach § 8 S. 1 StaRUG aufweist, steht dem Erlass einer Stabilisierungsanordnung nicht entgegen.

Die Stabilisierungsanordnung ist in einem solchen Fall gemäß § 51 Abs. 1 S. 3 StaRUG – vorläufig – auf einen Zeitraum von 20 Tagen zu beschränken; diese Frist beginnt – in Parallele zur einstweiligen Einstellung der Vollstreckung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO – am Tag des Erlasses des Beschlusses um 12.00 Uhr und endet mit Ablauf des 20. Tages nach dem Erlass. Gleichzeitig hat das Gericht dem Schuldner aufgegeben, die Mängel bei der Gruppenbildung und Begründung der Auswahlentscheidung zu beheben.

Keine Bestellung eines Restrukturierungsbeauftragten

In diesem Fall hat das AG Hamburg keinen Restrukturierungsbeauftragten bestellt. Denn bei Überschaubarkeit der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse kann das Gericht davon absehen, einen Restrukturierungsbeauftragten zu bestellen (§ 73 Abs. 1 S. 2 StaRUG). Bei der Ausübung des gerichtlichen Ermessens ist auch und insbesondere die im Rahmen eines Vorgespräches gemäß § 10a InsO analog geäußerte Einschätzung des Schuldners zu berücksichtigen.

Es ist anzunehmen, dass bei der Entscheidungsfindung des Gerichts der Kostenfaktor eines Restrukturierungsbeauftragten eine Rolle gespielt hat, was im Rahmen des Vorgesprächs mit dem Restrukturierungsgericht mitbesprochen worden sein dürfte.

3. Fazit und Ausblick

Das StaRUG bietet Unternehmen ein diskretes, flexibles und vergleichsweise kostengünstiges Sanierungsinstrument, mit dem sich das Stigma einer Insolvenz vermeiden lässt. Voraussetzung für eine solche Sanierung ist, dass das Unternehmen nur drohend zahlungsunfähig ist. Es ist zu erwarten, dass es künftig mehr StaRUG-Verfahren geben wird. Die beiden Entscheidungen des Amtsgerichts Hamburg, die bei der Auslegung des neuen Sanierungsrechts helfen, sind überzeugend und zeigen auf, wie wichtig es ist, im Rahmen eines Restrukturierungsverfahrens nach dem StaRUG einen fachlich versierten Rechtsberater an der Seite zu haben, der die entsprechende praktische Sanierungserfahrung mitbringt, auch in Bezug auf die Erstellung von Insolvenz- und Restrukturierungsplänen.
Bei Fragen zum StaRUG – wir helfen Ihnen gerne weiter!

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