Insolvenzbedingte Lösungsklauseln – pauschal unwirksam oder nicht?

Eine Besprechung der Entscheidung des BGH vom 27.10.2022 – IX ZR 213/21

  1. Gesetzliches Verbot Nr. 1: § 119 InsO

Bereits das Gesetz stellt in einigen Fällen klar, dass bestimmte Klauseln im Insolvenzfall unwirksam sind.

Die wichtigste Vorschrift ist dabei § 119 InsO. Danach sind Bestimmungen unwirksam, die das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach den §§ 103 bis 118 InsO ausschließen. Nur: So eindeutig (und ungeschickt) sind Lösungsklauseln natürlich nicht formuliert. Allein der Wortlaut des § 119 InsO hilft dem zu sanierenden Unternehmen also nicht weiter.

Die Schwierigkeit bei der Auslegung des § 119 InsO liegt deshalb darin, ob er indirekt auch die Lösung von einem Vertrag im Insolvenzfall verbietet, ob also jede Klausel, die eine Vertragsbeendigung im Insolvenzfall zulässt, noch in seinen Anwendungsbereich fällt.

  1. Verbot Nr. 2: § 112 InsO

Noch einfacher ist es im Fall des § 112 InsO: Mietverträge mit dem Schuldner als Mieter können im Eröffnungsverfahren nicht wegen Zahlungsrückständen gekündigt werden.

3. Verbot Nr. 3:  § 225a InsO

Im Insolvenzplan kann in Rechte der Gesellschafter eingegriffen werden, wenn die Gesellschaft Schuldnerin ist. Häufig bestehen Verträge zwischen der Schuldnerin und einzelnen Gesellschaftern, etwa wegen der Überlassung einer Immobilie. In diesen Verträgen ist oft die Klausel enthalten, dass der Gesellschafter den Vertrag kündigen kann, wenn er z. B. seine Stellung als Mehrheitsgesellschafter verliert.

Eine solche Klausel ist nach § 225 a Abs. 4 InsO nicht zulässig.

  1. Die Crux der Formulierung

Häufig werden solche Lösungsklauseln in der Art formuliert, dass die Insolvenz oder der Antrag einen „wichtigen Grund“ für die Lösung des Vertragspartners von der Vereinbarung zulässt.

Um einen solchen Fall ging es in der Entscheidung vom 27.10.2022.

  1. Die BGH-Entscheidung: Was war geschehen?

a) Sachverhalt

Die spätere Insolvenzschuldnerin betrieb in einem Landkreis die Schülerbeförderung. Grundlage war ein Vertrag, der auf Leistungsvereinbarungen verwies, von denen die hier interessierende wie folgt lautete:

Der Auftraggeber ist berechtigt, den Vertrag aus wichtigem Grund fristlos zu kündigen. Als wichtige Gründe gelten insbesondere: (…)

  1. e) Der Auftragnehmer ist zahlungsunfähig geworden, über das Vermögen des Auftragnehmers ist ein Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares Verfahren beantragt oder eröffnet worden, die Eröffnung eines solchen Verfahrens ist mangels Masse abgelehnt worden, der Auftragnehmer befindet sich im Verfahren der Liquidation oder der Auftragnehmer hat seine Tätigkeit eingestellt.“

Der Vertrag hätte regulär erst im Sommer 2020 zum Ende des Schuljahres gekündigt werden können.

Bereits im Januar 2019 hat die Schuldnerin einen Insolvenzantrag gestellt. Es wurde ein vorläufiger Verwalter bestellt. Dieser wollte das Unternehmen fortführen.

Der Landkreis kündigte den Beförderungsvertrag jedoch zum 01.02.2019 und verwies auf die oben angegebene Klausel.

Im eröffneten Verfahren wurde der vorläufige Verwalter zum endgültigen Verwalter bestellt. Er erhob Klage auf Zahlung der Beförderungsentgelte bis Ende Juli 2020 abzüglich ersparter Aufwendungen.

In erster Instanz – am Landgericht (LG) – unterlag er, in zweiter Instanz – am Oberlandesgericht (OLG) – obsiegte er in vollem Umfang. Der BGH hob das Urteil auf und verwies zurück an das OLG.

b) Was sagte das OLG?

Das OLG hielt die konkrete Kündigungsklausel für unwirksam – wie nach seiner Ansicht jede insolvenzbezogene Lösungsklausel allgemein. Es legte § 119 InsO damit weit aus.

Darüber hinaus legte das OLG den Vertrag so aus, dass auf das freie Kündigungsrecht nach § 648 BGB verzichtet worden sei. § 648 BGB ist eine Sondervorschrift für Werkverträge. Die Schülerbeförderung wird als ein solcher Vertrag angesehen. Nach der Vorschrift kann der Besteller einer Werkleistung (hier wäre das der Landkreis) vor Vollendung des Werkes jederzeit kündigen. Die Vorschrift gewährt aber eine Pauschalleistung für den Unternehmer wegen des entgangenen Werklohns.

Nach Auffassung des OLG müsse immer ein wichtiger Grund für das vorzeitige Vertragsende vorliegen. Diesen sah es aufgrund seiner Auslegung des § 119 InsO nicht im Insolvenzantrag. Es berief sich dabei auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2012.

c) Was sagte der BGH 2012?

In der Entscheidung aus dem Jahr 2012 (BGH IX ZR 169/11) hatte ein Energielieferant gegenüber dem Insolvenzverwalter den günstigen Stromlieferungsvertrag aufgrund einer insolvenzbedingten Klausel gekündigt. Der Verwalter wollte die Fortbelieferung und hielt die Klausel für unwirksam.

Der BGH war teilte diese Auffassung.

d) Was sagt der BGH bei Lösungsklauseln im Baurecht?

Im April 2016 hatte der Bundesgerichtshof in der Entscheidung VII ZR 56/15 über die Lösungsklausel des § 8 Abs. 2 der Verdingungsordnung für Bauleistungen, Teil B, (VOB/B) zu entscheiden.

Nach der Insolvenz eines Bauunternehmens hatte der Bauherr unter Berufung auf diese Klausel den Vertrag gekündigt und Schadensersatz von einem Bürgen verlangt. Die Vorinstanz hatte die Klage unter Berufung auf § 119 InsO abgewiesen.

Der BGH hat der Klage stattgegeben. Er entschied, dass § 8 Abs. 2 VOB/B mit den gesetzlichen Kündigungsrechten der §§ 648, 648a BGB im Werkvertrag vereinbar ist.

Wie oben dargestellt, ermöglicht § 648 BGB dem Besteller – also dem Bauherrn –, jederzeit von einem noch nicht beendigten Vertrag zurückzutreten. Er enthält aber auch pauschale Regelungen über die ausstehende Vergütung für den Vertragsteil, der jetzt wegen der Kündigung nicht mehr durch den Insolvenzschuldner geleistet werden kann.

Solche Regelungen fehlen in § 8 Abs. 2 VOB/B. Umgekehrt gewährt die Vorschrift sogar Schadensersatz gegen den Schuldner.

Der BGH hat die Vorschrift der VOB/B trotzdem nicht an § 119 InsO scheitern lassen. Er begründet dies mit den Besonderheiten des Bauvertrages.

Dieser sei in besonderem Maße vom Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Bauunternehmers geprägt. Ein Insolvenzantrag, erst recht aber die tatsächlich eingetretene Zahlungsunfähigkeit, zerstöre dieses Vertrauen.

Dem Bauherrn helfe es auch nicht, wenn er dem Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren eine Frist zur Erklärung über die Vertragserfüllung setze: Diese sei in diesem Stadium unwirksam. Sie müsse im eröffneten Verfahren – oft zwei bis drei Monate nach Antragstellung – wiederholt werden. Dann sei immer noch die angemessene Überlegungsfrist des Insolvenzverwalters abzuwarten. Bis dahin könne sich der Schaden des Bauherrn vertiefen. Der Bauherr müsse die Möglichkeit haben, sich zügig vom Vertrag zu lösen und ggf. neue Unternehmer zu beauftragen, ohne noch anteilige Vergütung zu schulden, wie es § 648 BGB vorsehe.

e) Neuigkeiten der Begründung aus 2022

Der BGH unterscheidet, wie bisher, ob der Insolvenzschuldner Geld oder Dienstleistungen schuldet.

Muss der Schuldner Geldleistungen erbringen, bleibt der BGH seiner Linie aus dem Jahr 2012 – dem Fall des Energielieferanten – treu und erklärt solche Lösungsklauseln in der Regel für unwirksam.

Neu ist der Lösungsansatz, wenn der Schuldner Dienstleistungen zu erbringen hat.

Die Klausel ist wie bisher grundsätzlich unwirksam, wenn sie nicht mehr den Vorgaben des Gesetzes für die Beendigung von Verträgen entspricht.

Ausnahme: Sie kann aber trotz Abweichung vom Gesetz zulässig sein. Dies ist dann der Fall, wenn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bei objektiver vorausschauender Betrachtung beider Parteien berechtigte Gründe vorliegen.

f) Bedeutung für den Einzelfall

Soweit sich die Lösungsklausel an gesetzlich bereits bestehenden Möglichkeiten orientiert, die eine Lösung vom Vertrag ermöglichen, ist sie wirksam (Beispiel: § 648 BGB oder § 8 Abs. 2 VOB/B).

648 BGB galt hier aber nicht: Dies hatten die Parteien selbst so vereinbart. Und ein Bauvertrag lag ersichtlich nicht vor.

Vereinbart hatten die Parteien aber eine Kündigung aus wichtigem Grund, wie in der Vertragsklausel für den Fall der Insolvenz vorgesehen.

Jetzt kommt die neue Linie des BGH zum Zuge: Bestehen aus objektiver Betrachtung beider Parteien dann Gründe, die die Parteien für einen in der Zukunft gedachten Insolvenzfall zur Lösung berechtigt hätten?

Einige Gründe, die im Insolvenzfall für die Beendigung des Vertrags über den Schülertransport sprechen, zählt der BGH selbst auf. So könnten nach seiner Ansicht z. B. der Wegfall von Genehmigungen durch Behörden den zukünftigen Transport unmöglich machen. Möglicherweise ist der Schuldner nicht mehr in der Lage, bei Unfällen Ersatz zu leisten.

Beide Parteien könnten daher wegen dieser Besonderheiten im Schülertransport schon bei Vertragsschluss davon ausgegangen sein, im Falle der Insolvenz der Schuldnerin solle der Landkreis sich vom Vertrag lösen können.

Das OLG hat eine Aufklärung im vorliegenden Fall wegen seiner Rechtsansicht unterlassen. Daher muss es diese auf Anweisung des BGH nachholen.

6. Zusammenfassung und Würdigung

Vorab: Die Entscheidung vom 27.10.2022 macht auf den ersten Blick die Sanierung nicht leichter.

Muss der Schuldner Dienstleitungen erbringen, besteht folgende Gefahr: Ein Gläubiger behauptet, die Parteien hätten bereits bei Vertragsschluss objektive Umstände vorgesehen, die die Fortsetzung des Vertrags bei Insolvenz unmöglich machen.

Weiterhin könnte der Gläubiger geltend machen, die konkret vereinbarte Lösungsklausel diene dazu, schwierige Rechtsfragen zu vermeiden, z. B. ob ein wichtiger Grund vorliege.

In einer Urteilsbesprechung wurde sogar schon von einer unbeabsichtigten „Öffnung der Büchse der Pandora“ durch den BGH gesprochen.

Ganz so weit geht die Entscheidung dann doch nicht. Zur Klarstellung noch einmal die drei wichtigsten Varianten:

a) Geldleistungen des Gläubigers: Lösungsklausel meist unwirksam

Nach wie vor gilt der Grundsatz: Wer Geld zu erhalten hat, muss sich im Insolvenzfall eher damit abfinden, am Vertrag festhalten zu müssen. Das hat sich seit der Entscheidung aus dem Jahr 2012 nicht geändert. In diesem Fall werden häufig nicht beide Parteien schon bei Vertragsschluss einen objektiven Grund sehen, den Vertrag in der Insolvenz vorzeitig beenden zu können: Es fehlt an einer besonderen Schutzwürdigkeit des nicht insolventen Teils.

b) Schuldner erbringt Bauleistungen: Lösungsklausel oft wirksam

Wer Bauleistungen entgegennimmt, kann sich weiterhin auf § 8 Abs. 2 VOB/B berufen. Oft ist dann eine vorzeitige Kündigung wirksam.

c) Situation bei sonstigen Dienstleistungen des Schuldners: Wertung im Einzelfall

Es bleibt somit noch der Bereich, in denen der insolvente Partner Dienstleistungen erbringen muss, die keine Bauleistungen sind (z. B. den Schülertransport).

Wenn § 648 BGB nicht ausgeschlossen wurde, ist die Lösung vom Vertrag mit der gesetzlichen Regel vereinbar. Dem Schuldner geschieht kein Unrecht, und der (vorläufige) Verwalter muss mit der Kündigung rechnen. Er hat aber auch die Ansprüche auf eine pauschalierte Gegenleistung für die entgangene Vergütung.

Zum Schwur kommt es, wenn diese Gegenleistung vertraglich ausgeschlossen wurde.

Dann kommt es auf die Wertung an, die der BGH in seiner Entscheidung aus 2022 anspricht: Haben

aa) beide Parteien

bb) in der Vorausschau einer Insolvenz eine Lösungsmöglichkeit vom Vertrag vorgesehen, weil

cc) objektive Umstände eine Schutzwürdigkeit des nicht insolventen Partners wahrscheinlich machten?

Wie diese Fragen im Einzelfall beantwortet werden können, wird in Zukunft in Kündigungsrechtsstreiten zwischen Insolvenzverwalter und Vertragspartner des Schuldners entscheiden. Das kann in folgenden Fällen passieren:

Bestimmte Dienstleitungen sind oft von der Zuverlässigkeit des Schuldners besonders abhängig. Es kann auch sein, dass laut Vertrag auf lange Zeit noch Reparatur- und sonstige Hilfsdienste geleistet werden müssen. Hat der Schuldner solche Dienstleistungen zu erbringen, kann dies im Insolvenzfall besonderes Gewicht erlangen. Ein objektiver Umstand nach der BGH-Rechtsprechung ist dann eher anzunehmen.

Kommt es darauf weniger oder im Einzelfall gar nicht an, wird dies eher für eine Unwirksamkeit der Lösungsklausel sprechen.

In der Insolvenz will häufig der Verwalter oder der Schuldner in Eigenverwaltung am Vertrag festhalten. Diese müssen also tatsächliche Umstände in einer Weise darstellen, dass ein Gericht nicht annehmen wird, es habe eine Übereinstimmung zur Beendigung im Insolvenzfall gegeben.

7.  Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG):  Lösungsklauseln stark eingeschränkt

Das Gesetz sieht zudem im Fall des StaRUG (somit im Vorfeld der Insolvenz) vor, dass die Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder Stabilisierungsmaßnahmen für sich genommen kein Grund sind, sich vom Vertrag mit dem Schuldner zu lösen. Entgegenstehende Bestimmungen sind nach § 44 Abs. 2 StaRUG unwirksam.

Dies könnte ein (weiterer) Anreiz sein, die Instrumente de StaRUG rechtzeitig zu nutzen.

Über den Autor

Rechtsanwalt Karsten Dumrath

Pressemitteilungen

Veranstaltungen

Newsletter

Bücher

Studien & Leitfäden

Videos